home 2005 Die Kaiserin hält Hof in Stuttgart

Die Kaiserin hält Hof in Stuttgart

Gut eineinhalb Jahre nachdem sich „Elisabeth“ von bundesdeutschen Bühnen verabschiedete – und laut Stage Holding Geschäftsführer Maik Klokow mittelfristig auch nicht wieder dorthin zurückkehren sollte – feierte das weltweit erfolgreiche Musical von Sylvester Levay (Musik) und Michael Kunze (Text) am 6. März seine Wiederaufnahme im Stuttgarter Apollo Theater.

Bis Ende April läuft in Wien parallel die Jubiläumsproduktion mit Maya Hakvoort in der Titelrolle, Máté Kamarás als Tod und Serkan Kaya als Luigi Lucheni. Ab Mai stehen dann einzig die knapp 40 Künstlerinnen und Künstler der schwäbischen Inszenierung im Mittelpunkt der Berichterstattung. Und genau das haben sie sich auch verdient.

Das Stück vom Erfolgsteam Levay und Kunze beschreibt die österreichische Kaiserin nicht verkitscht-romantisch wie uns die 50er Jahre Filme von Ernst Marischka Glauben machen wollen, sondern hart und schonungslos, was auch bedeutet, dass Elisabeth teilweise als kalt und herzlos erscheint. Die lebensfrohe bayerische Prinzessin endet nach einem Leben als widerspenstige und starrsinnige Kaiser-Gattin als einsame alte Frau.

Diese Rolle erfordert eine große schauspielerische und gesangliche Bandbreite und wurde entscheidend mitgeprägt von Pia Douwes – für viele die einzig wahre Bühnenkaiserin! Aber ihre Stuttgarter Nachfolgerin (mit Essener „Elisabeth“-Erfahrung), Maike Boerdam muss sich hinter ihr nicht verstecken. Sie konnte sich von dem großartigen, sicherlich auch erdrückenden, Vorbild lösen und liefert eine eigene originelle und herzergreifende Interpretation der meist-bewundertsten und zutiefst leidenden Frau des 18. Jahrhunderts. Selbst Pia Douwes kommentierte Boerdams Leistung am Premierenabend nach der Szene in der Nervenklinik („Gar nichts“) mit einem spontanen „Schön!“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Geschichte von Elisabeth wird als Rückblende erzählt. Es ist ihr Mörder, Luigi Lucheni, der dem Publikum das geheimnis-umwitterte Leben dieser einmaligen Frau näher bringt. Der Part des Erzählers beinhaltet eine hohe Kommunikationsfähigkeit, da der Darsteller das Publikum ganz in seinen Bann ziehen muss, um mit dessen Emotionen spielen zu können. Bei der Besetzung dieser Rolle hat man mit Carsten Lepper ebenfalls auf Bewährtes zurückgegriffen. Gemeinsam mit Regisseur und Choreograph Dennis Callahan hat Lepper die Figur des Lucheni weiter entwickelt (siehe Interview). Er beherrscht es perfekt, den Elisabeth-Mörder verrückt und allwissend zugleich darzustellen. Im Gegensatz zur Essener Inszenierung ist der Lucheni in Stuttgart jedoch weniger clownesque, sondern wesentlich berechnender und Leppers „neue“ Version von „Kitsch“ trieft nur so vor Sarkasmus und Geringschätzung für die leichtgläubigen Mitbürger Elisabeths.

Für die geheimnisvoll-düsteren Szenen des Abends ist Olegg Vynnyk in der Rolle des Todes verantwortlich. Es kann keinen Zweifel geben, dass Vynnyk diese ausdrucksstarke Rolle brillant verkörpert. Das Knistern der Anziehung zwischen ihm und der todessüchtigen Elisabeth ist bis in den letzten Reihen des Theatersaals spürbar. Ebenso mystisch wie leidenschaftlich zieht er das Publikum in seine Welt: Fassungslos erleben die Zuschauer, wie der Tod die Kaiserin von Österreich endgültig für sich gewinnt und im Dunkel der Bühne des Apollo Theaters verschwindet.

Der dritte Hauptdarsteller mit „Elisabeth“-Erfahrung ist Nico Gaik, der als verzweifelter, freiheitsliebender Kronprinz Rudolf eine gute Leistung abliefert. Genauso wie Ivar Helgason (Kaiser Franz Joseph) holt er aus seiner Rolle das Maximum heraus. Leider sind jedoch diese beiden Charaktere nur sehr wenig ausgereift und haben gegen Elisabeth, den Tod und Lucheni keine Chance, so dass sie während des gesamten Stück blass bleiben.

Ganz im Gegenteil zu ihren beiden letztgenannten Kollegen machen Susan Rigvava-Dumas (Erzherzogin Sophie) und Kaatje Dierks (Elisabeths Mutter / Frau Wolf) ihre Soli zu Showstoppern. Mit „Ist Das Nun Mein Lohn?“ weckt Rigvava-Dumas tiefes Mitleid für die vom Sohn zugunsten der Ehefrau verstoßene Mutter. Die Verletzlichkeit einer nach außen hin sehr starken und emotional kalten Frau (vor allem im ersten Akt: „Eine Kaiserin Muss Glänzen“) bringt Rigvava-Dumas perfekt auf den Punkt. Dierks nutzt ihre einzige Chance und gewinnt mit Energie und schöner Stimme den Theatersaal mit Frau Wolf’s Salon („Nur Kein Genieren“) im Handumdrehen für sich.

Die Stuttgarter Inszenierung besticht durch sehr klare Linien – ein deutliches Anzeichen für die Handschrift von Dennis Callahan. Leider birgt diese klar strukturierte Regie auch die Tendenz zur Eintönigkeit, doch die hervorragenden Darsteller wissen diese Klippen sicher zu umschiffen. Die Choreographie, das eigentliche Arbeitsfeld von Callahan ist, wie erwartet, aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrungen (neben „Elisabeth“ u. a. „Tanz der Vampire“ und Mozart!“) ohne Fehl und Tadel. Die für ihn typischen markant-zackigen Tanzbewegungen wurden noch detaillierter ausgearbeitet, so dass das Zusammenspiel in Ensemblenummern wie „Der letzte Tanz“ oder „Alle Fragen sind gestellt“ am Ende des 2. Akts noch stimmiger wirkt.

Die Kostüme (Yan Tax) und auch das Bühnenbild (Paul Gallis) wurden nahezu identisch aus Essen übernommen. Hier steckt der Kreativ-Teufel im Detail und wer Unterschiede feststellen will, muss schon sehr genau hinschauen. Ein gutes Beispiel ist der Frack, den Lepper zur Eröffnung des zweiten Akts trägt: Im Vergleich zu Essen wurden dort doppelt so viele Pailletten hinzugefügt; dem Funkeln dieses „kitschigen“ Kleidungsstücks kann sich nun wirklich niemand mehr entziehen.

Alles in allem wirkt die Stuttgarter „Elisabeth“-Inszenierung lange nicht so neu und anders wie es das komplett neu gestaltete Logo vermuten ließ. Statt eines an einen Totenkopf erinnerndes Elisabeth-Porträt wird jetzt wird roten Flügeln in Herzform vor einem zersprungenen Spiegel geworben. Über Sinn und Unsinn dieser Veränderung kann man sicherlich trefflich streiten.

Für die Künstler auf der Bühne ist dies jedoch zweitrangig. Sie gewöhnen sich nach der zweimonatigen Probenzeit jetzt daran, sieben Mal pro Woche auf der Bühne des Apollo Theaters zu stehen. Wenn man die Steigerung des Ensembles von der so genannten Medienpremiere hin zu einen Tag später folgenden Galapremiere erlebt hat, weiß man, dass hier eine sehr gute Truppe zusammengefunden hat, die nicht mehr an Grundsätzlichkeiten arbeiten muss, sondern sich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Spielbetrieb auf die Feinarbeit konzentrieren kann. Dies hat für die Zuschauer den großen Vorteil, dass die Charaktere deutlicher betont und verschiedene Szenen so noch intensiver gespielt werden können. Genauso stellt man sich ein gutes Showkonzept vor. Es muss ja nicht immer alles neu und innovativ sein.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Apollo Theater, Stuttgart
Premiere: 6. März 2005
Darsteller: Maike Boerdam, Carsten Lepper, Olegg Vynnyk, Nico Gaik
Regie / Musik: David Callahan / Sylvester Levay
Fotos: Stage Holding