home 2015 Schön und stilvoll inszeniertes Musical mit Hitpotential

Schön und stilvoll inszeniertes Musical mit Hitpotential

Nur zehn Monate nach Whitney Houstons vieldiskutiertem Drogentod in Beverly Hills hob sich im Dezember 2012 in London der Vorhang für die Weltpremiere von „Bodyguard“, dem Musical, das den Songs dieser einmaligen, unerreichten Souldiva huldigt. Knapp drei Jahre danach erreicht eine adaptierte Fassung den Kölner Musical Dome und verspricht einen „Musical-Megahit“.

Das Willkommen im fast 20 Jahre alten Musical Dome ist nicht unbedingt angenehm, denn die Sitze sind derart durchgesessen, dass man eher auf einem Holzbrett sitzt – von der ursprünglichen Polsterung ist nichts mehr übrig geblieben. Doch direkt nach der Verdunkelung hallen extrem laute Schüsse durch den Saal und lassen das Publikum von den Sitzen aufspringen. Auch das Konzert-Feeling in der ersten Szene („Queen of the Night“) ist derartig laut, dass einige Zuschauer direkt ihre Ohren schützen. Hier hat Sound Designer Richard Brooker die Akustik im Musical Dome eindeutig falsch eingeschätzt.

Die Kölner Produktion wurde vom Londoner Kreativteam für die kleinere Bühne angepasst. Regie führt auch hier Thea Sharrock mit ihrem Associate Director Frank Thompson, das Set- und Kostümdesign stammt von Tim Hatley. „Bodyguard“ ist nach Angabe des Veranstalter BB Promotion die aufwändigste Produktion, die jemals im Musical Dome gezeigt wurde. Neben der variablen (leider bei jeder Bewegung leicht fiependen) Guckkasten-Technik, die es ermöglicht, mit wenig Aufwand immer neue, pragmatische Szenenbilder zu erschaffen, beeindruckt natürlich die zweistöckige Blockhütte, die mit 2 Tonnen ein beachtliches Gewicht auf die Bühne bringt. Dass gerade in puncto Lichtdesign hier exzellente Arbeit geleistet wurde (300 kopfbewegte, einzeln programmierbare Lampen und moderne LED-Technik sind keine Kleinigkeit), ist dem mit BAFTA-, Laurence Olivier und Tony Award ausgezeichneten Mark Henderson zu verdanken, der mit Duncan McLean (Video Designer) einen sehr stimmigen und effektvollen Rahmen für die Geschichte der Soulsängerin Rachel Marron geschaffen hat.

Basierend auf Lawrence Kasdans Drehbuch zum 90er Jahre Film „Bodyguard“ (mit Whitney Houston und Kevin Costner in den Hauptrollen) wird im Musical ebenfalls erzählt, wie sich die Diva Rachel und ihr Personenschützer Frank Farmer langsam immer näher kommen. Doch vor allem Rachels Schwester Nicki wird im Musical mehr Beachtung geschenkt – auch hierbei spielen verirrte und unterdrückte Gefühle eine nicht unwesentliche Rolle. Und auch Rachels Sohn Fletcher hat auf der Bühne seine großen Momente. So direkt zu Beginn, wenn er mit Rachels Tänzern die Choreographie zu „How will I know“ einstudiert. Lamin T. spielt seine Rolle mit viel Energie und hat tänzerisch und schauspielerisch viel Potential. Man kann ihm seine Konzentration und Aufregung in vielen Szenen ansehen, aber er gehört ganz klar zu den Sympathieträgern des Abends.

Tertia Botha steht als Schwester Nicki im Schatten der erfolgreichen Schwester. Dass dies gesanglich mitnichten gerechtfertigt ist, wird schon bei ihrem ersten Solo deutlich: „Saving all my love“ – von der Schwester unbemerkt, aber unter den wachsamen Augen Franks im Nachtclub gesungen – sorgt für Gänsehautschauer. Unnötig zu erwähnen, dass sich Nicki Chancen bei Frank ausrechnet…

Botha trifft Höhen wie Tiefen gleichermäßen souverän und legt viel Gefühl in die Songs. Das Publikum lauscht ihr gebannt und kann gar nicht genug bekommen von dieser „Nebenfigur“. Kein Wunder, dass Botha auch als Cover für Rachel auf der Besetzungsliste steht.

Als Erstbesetzung der Rachel Marron wurde Patricia Meeden gecastet, die über eine beachtliche Musicalvergangenheit verfügt und dem breiten Publikum durch ihre Teilnahme an der ersten Staffel von „The Voice of Germany“ bekannt ist. Meeden ist sympathisch, lacht viel und hat ihren Hofstaat im Griff. Die Zickigkeit und Verspanntheit der Diva wirkt manches Mal aufgesetzt, doch insgesamt überzeugt Meedens Leistung. Auch gesanglich stellt sie ihr Können nachdrücklich unter Beweis – auch wenn der Wow-Effekt ausbleibt. Ein Beispiel hierfür ist der Promo-Auftritt im Mayan Club. Die bekannten Hits wie bspw. „I wanna dance with somebody“ zünden sofort, der Gesang bleibt hier etwas zurück. Die Bedrohung durch den Stalker wird sehr gut nachgezeichnet.

Dagegen geht die Rettung Rachels durch Frank – immerhin das Titelmotiv der Show – inszenatorisch im Tumult etwas unter. Hier wären etwas weniger Effekte deutlich mehr gewesen. Warum die Szene hinter einem Vorhang aus Rauchsäulen zu Ende geht, erschließt sich dem geneigten Zuschauer nicht wirklich.

Rachels und Nickis Wettkampf gipfelt – musikalisch wie emotional – im Showstopper „Run to you“. Dieser direkte stimmliche Vergleich offenbart die Unterschiede zwischen den beiden Leading Ladies. Botha stielt Meeden hierbei mühelos die Show.

Die kurz darauf folgende Szene in der Karaoke-Bar, in der Rachel und Frank ihr erstes Date haben, ist rundum gelungen: Frank löst seine Wettschulden ein und stellt sein nicht vorhandenes Gesangstalent unter Beweis. So gewollt schauderhaft hat man „I will always love you“ sicherlich noch nie gehört. Die Darsteller haben auf der Bühne ebenso viel Spaß wie die Zuschauer im Saal.  Dass Jürgen Fischer als Frank Farmer andere Qualitäten mitbringt als seinen Gesang, wird hier mehr als deutlich. Doch so wenig er in dieser Szene singen kann, so sehr überzeugt der Bühnen- und TV-Schauspieler in seiner Rolle als fokussierter Bodyguard, den langsam die eigenen Gefühle übermannen.

Nickis Eifersucht bricht sich zu Beginn des 2. Akts Bahn: Rachel hat ihr gegenüber damit angegeben, dass Frank bei ihr übernachtet hat und verletzt ihre Schwester damit schwer. Während alle anderen Rachels neue Energie und Lebensfreude bewundern, platzt Nicki der Kragen. Während Meeden in dieser Sequenz etwas zu nett wirkt, legt Botha volle Intensität in ihr Spiel.

Eine der optisch ansprechendsten Szenen der Show ist der von Rachel herbeigesehnte Auftritt in Miami, der als Probelauf für die Oscar-Verleihung gelten soll. Lichtdesign und Staging bilden hier eine sehr gute Einheit und man kann diesen Moment zu „I’m every woman“  in vollen Zügen genießen. Leider zeigen sich in der Choreographie auch hier Schwächen. Die von Karen Bruce ersonnenen Tanzelemente passen sehr gut zum Pop & Soul, sind jedoch nicht besonders komplex. Umso erstaunlicher ist es, dass selbst diese wenigen Abläufe häufig unsauber ausgeführt werden.

Während Rachels Auftritt wird Fletcher von ihrem Stalker in der heimischen Villa „besucht“. So aufgebracht alle darüber sind,, dass anstelle von Fletcher ein Rachel zuvor gestohlenes Kleid in dessen Bett liegt, so überraschend ist es, dass Fletcher zwei Szenen später – als Frank Rachel und ihre Familie in seiner Blockhütte in Sicherheit bringt – wieder dabei ist.  Hier scheint eine Szene zu fehlen.

Die Ereignisse spitzen sich zu. Der Stalker – ein ehemaliger Ranger – schleicht sich in die Hütte und nähert sich Nicki von hinten, da er sie für Rachel hält. Im darauf folgenden Handgemenge ersticht er Nicki und flieht. Trotz aller Trauer erfüllt Rachel ihre Pflicht und tritt bei der Oscar-Verleihung auf. Sie möchte den Goldjungen für ihre Schwester gewinnen. Doch dazu soll es nicht kommen…

Die Security-Kollegen von Frank verteilen sich im Saal – so kurz nach den verheerenden terroristischen Anschlägen in Paris ein eher beklemmendes Gefühl – und versuchen Rachels Auftritt abzusichern. Rachel kommt in einem Traum aus Gold auf die Bühne und singt „One Moment in Time“ bis Frank einen roten Punkt auf ihrem Kleid entdeckt und sich gerade noch rechtzeitig zwischen die Kugel und die Souldivawirft. In dieser Szene sind die Schusswechsel eindeutig zu leise, um wirklich präsent zu sein. Nichtsdestoweniger ist diese Szene nicht nur optisch, sondern auch dramaturgisch gut inszeniert.

Der traurige Abschied von Rachel und Frank folgt zu „I will always love you“. Natürlich nicht, ohne am Ende noch einmal alles zu zeigen, was Musiktheater ausmacht: einen Welthit, der ins Herz trifft, Videoprojektionen, die emotional zum Finale hinbegleiten, eine große Robe, ein Lichtdesign, das seinesgleichen sucht und eine Sängerin, die alle ihre zur Verfügung stehende Energie in diesen einen Moment legt. Das Publikum ist begeistert! Genau das haben alle erwartet!

Eine Anmerkung am Rande: Die gesamte Sequenz weckt bei Musicalbesuchern doch Erinnerungen: die erwähnte Robe (ein elegantes schwarzer Kleid mit ausladender Federschleppe), eine Sängerin, die allein auf der Bühne, auf einem Hubpodest dem Publikum entgegenschwebend in zentrierten Lichtkegeln, einen hochintensiven Song interpretiert, das gab es doch schon mal? In der Tat: „Defying Gravity“ aus Stephen Schwartzs „Wicked“ sieht auf der Bühne nahezu identisch aus.

Insgesamt hat diese Show viel Potential für einen wirklich unterhaltsamen, emotionalen Theaterabend. Alles steht und fällt in diesem Fall mit der Hauptdarstellerin. Das Publikum hat zurecht hohe Erwartungen an die Sängerin, die Whitney Houstons Songs zum Besten geben soll. Diesbezüglich ist man in Köln vielleicht einen Kompromiss eingegangen. Aber abgesehen davon, ist „Bodyguard“ durchaus sehenswert.

Michaela Flint

Theater: Musical Dome, Köln
Premiere: 21. November 2015
Darsteller: Patricia Meeden, Tertia Botha, Jürgen Fischer
Regie / Licht: Thea Sharrock / Mark Henderson
Fotos: BB Promtion (Nilz Böhme & Hardy Müller)
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