home 2017 Eine gute Cast mit kleinen Schwächen sorgt für sehr gute Unterhaltung

Eine gute Cast mit kleinen Schwächen sorgt für sehr gute Unterhaltung

Nicht einmal eine Woche nach der Premiere der nur einmonatigen Spielzeit in Niedernhausen war das über 1550 Plätze fassende Rhein-Main-Theater höchstens zu 40 % gefüllt. Klar, Ticketpreise von bis zu 120 Euro in der ersten Preiskategorie locken nicht gerade viele Zuschauer auf die grüne Wiese vor den Toren Frankfurts. Auch dass „Sister Act“ seit der Deutschlandpremiere 2010 schon in allen größeren Städten zu sehen war, hilft hier eher weniger. Schon im Vorfeld war die Spielzeit von ursprünglich zwei Monaten auf nur noch vier Wochen gekürzt worden. Gute Vorzeichen für einen erfolgreichen Tourstop sehen wahrlich anders aus.

Doch die Zuschauer, die an diesem Abend vor Ort waren, wurden vom energiegeladenen Ensemble hervorragend unterhalten. Zugegeben, viele Witze sind immer noch arg flach und die auf Krampf konstruierten Szenen des nicht ganz hellen Gangstergefolges von Curtis sind nach wie vor sinnfrei (siehe Premierenkritik aus Hamburg), doch Alan Menkens schwungvolle Musik und die in ihren Rollen aufgehenden Protagonisten entschädigten dafür.

Aisata Blackman überzeugt als Deloris van Cartier nach Berlin und München auch in Niedernhausen. Einige mögen sich vielleicht noch daran erinnern, dass sie schon 2012 bei „The Voice of Germany“ Jury und Publikum gleichermaßen begeisterte. Danach ging es für die Holländerin mit einer Zwischenstation bei „Rocky“ direkt ins Kloster.

Blackman hat Soul und Sexappeal. Beides setzt sie gekonnt ein, wenn auch leider nur sehr dosiert. Gerade in Sachen Soul hätte man sich mehr von ihr gewünscht. Nur in einer Szene (bei der ersten gemeinsamen Probe mit dem Nonnenchor) zeigt sie den vollen Umfang ihrer Stimme. Ansonsten überwiegen leider Kurzatmigkeit („Fabelhaft, Baby“) und einige (zu viele) Kiekser.

Insbesondere die frechen Sprüche und Auseinandersetzungen mit der Mutter Oberin machen hingegen viel Spaß und man nimmt Blackman die große Klappe unumwunden ab.

Karim Ben Mansur – ebenfalls schon in Berlin dabei – unterstützt Deloris als Polizist Eddie in jeder erdenklichen Lage. Dass da auch tiefere Gefühle eine Rolle spielen, merkt das Publikum spätestens bei seinem Solo „Tief in mir“. Er hat einen schönen warmen Bariton und kann damit seinem Frust über den albernen Spitznamen „Schwitzefritze“ genauso gut Ausdruck verleihen wie seiner Liebe zu Deloris. Sein sympathisches Auftreten macht ihn zu einer der authentischsten Figuren an diesem Abend. Ben Mansur liefert an diesem Abend die überzeugendste Leistung ab!

Als Mutter Oberin und der eher putzige Monsignore O’Hara stehen Agnes Hilpert und Franz-Jürgen Zigelski dem Kloster vor. Auch sie waren schon in Berlin dabei und nach einem halben Jahr haben sich die Rollen gut gefestigt. Zigelski agiert als Monsignore geradezu niedlich und leicht schusselig, aber er hat das Herz am rechten Fleck und „rockt“ mit seinen Nonnen zu „Zeig mir den Himmel“. Hilpert hat eine sehr erhabene Ausstrahlung und sorgt mit ihrem Mezzosopran mehrfach für Gänsehautmomente. Doch leider hat auch sie ihre Stimme an diesem Abend nicht gänzlich im Griff, denn in den Höhen entgleiten ihr die Töne mehrfach. Nichtsdestoweniger versteht man, weshalb sie für diese Rolle gecastet wurde: Ihre Bühnenpräsenz verfehlt ihre Wirkung nicht und ihren Glaubenskampf („Mir bleibt wohl keine Wahl“) bringt sie sehr ergreifend über die Rampe.

Die größte „Sister Act“-Erfahrung bringen Mischa Mang und Abla Alaoui als Curtis Shanks und Mary Robert mit. Beide standen in ihren Rollen schon 2013 in Oberhausen mit auf der Bühne. Während Mang sichtbar Spaß daran hat, den skrupellosen Bösewicht zu spielen, gibt Alaoui eine nicht ganz so süßliche Schwesternschülerin, deren Charme sich aber keiner entziehen kann. Wenn sie in Deloris „FiMi“-Stiefeln über die Bühne flitzt, ist das schon sehr lustig.

Naturgemäß kommen auch Schwester Mary Lazarus (die eigentlich gar nicht so verdrießliche Schreckschraube) und Schwester Mary Patrick (das selbstbewusste, laut singende, ständig lachende Energiebündel) beim Publikum sehr gut an. Stefanie Irmen (Mary Patrick) und Regina Venus (Mary Lazarus) spielen ihre Rollen hervorragend. Sie meistern die Gratwanderung zur Lächerlichkeit bzw. zum Nervtötendsein sehr gut und sorgen für viele Lacher (das Weihnachtsmahl wird von Schwester Mary Lafer und Schwester Mary zubereitet) und Szenenapplaus.

Den meisten Applaus bekommen jedoch die Gangster TJ (Arcangelo Vigneri), Joey (Benjamin Ebeling) und Pablo (Alessandro Pierotti). Sie dreschen die schlimmsten Phrasen, singen und tanzen nicht sonderlich gut („Ich kenn die Braut“, „Hey, Schwester“) und doch sympathisiert das Publikum irgendwie mit ihnen. Vigneri alias TJ ist gerade zu Anfang eine echt „coole Sau“, auch seine BeeGees-Einlage im zweiten Akt ist hörenswert. Ebelings Tanz-/Aerobic-Einlage im zweiten Akt führt ebenfalls zu Begeisterungsstürmen bei den Zuschauern…

Die Nonnen gewinnen das Publikum mit ihren großartigen Gesangseinlagen für sich. Weniger natürlich am Anfang, als der Chor noch herausragend schief singt, doch nachdem sich Deloris alias Schwester Mary Clarence seiner annimmt, sind die in immer farbenfroheren Kutten gekleideten Nonnen kaum mehr zu bändigen.

Genau diese Energie und positive Ausstrahlung sind es, die „Sister Act“ sehenswert machen. Hinzu kommen einige sehr lustige Sprüche und liebenswerte Charaktere, die zumindest in Niedernhausen sehr gut mit Leben gefüllt wurden. Der Entertainment-Faktor ist hoch und mit all dem Glitzer und Leuchten während der Nonnenauftritte in der sich zusehends verändernden Klosterkirche wird auch für das Auge etwas geboten. Und wenn Musical nicht Unterhaltung in Reinkultur ist, was dann?

Michaela Flint

Theater: Rhein-Main-Theater, Niedernhausen
Besuchte Vorstellung: 10. März 2017
Darsteller: Aisata Blackman, Agnes Hilpert, Karim Ben Mansur, Stefanie Irmen, Abla Alaoui, Regina Venus, Mischa Mang, Benjamin Eberling, Arcangelo Vigneri, Alessandro Pierotti
Musik / Regie: Alan Menken / Carline Brouwer
Fotos: Stage Entertainment

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