home 2006 Deutschlandpremiere von Jason Robert Browns Erstlingswerk

Deutschlandpremiere von Jason Robert Browns Erstlingswerk

Erneut bringt Daniel Witzke („Big Fish Theatre Productions“) ein wahres Musical-Juwel in Deutschland zur Aufführung. Jason Robert Brown hat in den USA mit Stücken wie „The Last Five Years“, „Parade“ und „Songs for a New World“ mehr als nur Achtungserfolge erzielt. Seine Kompositionen sind eingängig ohne langweilig zu sein, seine Texte sprühen vor Witz und Einfallsreichtum. Nicht ohne Grund gilt der mit 36 Jahren noch recht junge Komponist und Autor als eine der genialsten und aussichtsreichsten seit Stephen Sondheim.

„Songs for a New World“ ist weniger ein Musical mit festen Charakteren und stringenter Handlung als vielmehr ein Song-Zyklus, in dem jedes Stück eine eigene Geschichte mit eigenen Figuren erzählt. Die 19 Stücke handeln allesamt von Aufbruch – auf welche Weise auch immer: Da gibt es den Basketballprofi, der mit seiner Berühmtheit hadert, die Ehefrau, die sich von ihrem Gatten allein gelassen fühlt, das Liebespaar, dass sich traut zu seinen Gefühlen zu stehen oder die Frau von Santa Claus, die ihrem Frust stimmgewaltig Luft macht.

Die gewählte Location, der einzige noch seetaugliche Museumsfrachter Cap San Diego, und das Premierendatum, der 11. September, bildeten einen perfekten Rahmen für das Stück, in dem alle ihre Vergangenheit abschütteln und sich in eine neue, ungewisse Zukunft stürzen möchten. Die Besetzung des Vier-Personen-Stücks konnte mit Charlotte Heinke, Femke Soetenga, Volkan Baydar und Marc Seitz nicht idealer vorgestellt werden. Die vier Sänger waren so unterschiedlich und daher so vielseitig einsetzbar, dass niemals auch nur der Gedanke einer Wiederholung aufkam.

Nur zwei Lieder wurden ins Deutsche übertragen. Keine leichte Aufgabe, wenn man sich die Detailgenauigkeit der englischen Texte und die pointierten Kompositionen von Jason Robert Brown vor Augen führt. Daher konnte sich auf Wolfgang Adenberg nicht vorstellen, diese Aufgabe zu übernehmen, doch – so schreibt er auf seiner Homepage  – überzeugte ihn Jason Robert Brown zwei Stücke zu übersetzen: ““Just one step“ ist so schnell ist, dass man das Englische kaum verstehen würde, und „Surabaya Santa“ ist ohnehin eine Parodie auf Brecht/Weill und nach JRB’s Meinung daher prädestiniert für einen deutschen Text.“ Beide Stücke wurden von Charlotte Heinke gesungen, die darin erneut ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellen konnte. Sowohl als vermeintlich todessüchtige Ehefrau, die alles hat, was man sich im Leben wünschen kann und deren Selbstmorddrohung eindeutig eine leere Drohung ist („Nur ein Schritt“) als auch als genervte Ehefrau des Weihnachtsmanns, der immer zu allen lieb ist nur nicht zu ihr („Surabaya Santa“) muss sie neben den spitzfindigen Texten von Adenberg auch noch temporeiche Kompositionen bewältigen. Heinke meistert diese Anforderung scheinbar spielend und überzeugt auf ganzer Linie.

Volkan Baydar, die Stimme von Orange Blue („You’ve got that light“) arrangiert sich trotz seiner intensiven Popstimme gut mit Browns Melodien. Auch wenn er manchmal versucht, seine Musical-Kollegen an Lautstärke zu übertrumpfen, macht er dies durch lässige und natürliche Schauspiel-Improvisationen spielend wett. Besonders deutlich wird dies bei „King of the World“, wo er den typischen Basketball-Spieler mimt, der sich in seinem Ruhm sonnt.

Femke Soetenga, die schon als Magda im Hamburger „Tanz der Vampire“ aufhorchen ließ, gibt mit ihrer glockenklaren Stimme den verletzlichen Frauen genau das, was bei Männern den Beschützerinstinkt auslöst. „Christmas Lullaby“ wird so zu einem der ergreifendsten Songs. Ihr Duett mit Marc Seitz („Dirty Dancing“) – “I’d Give It All For You” – gehört zu den Highlights der Show. Auch der junge Neu-Hamburger stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass er mehr kann als in der Masse eines Ensuite-Ensembles unterzugehen und empfiehlt sich für die erste Reihe.

Die Leistung als Solisten kann nicht hoch genug geschätzt werden, als Ensemble jedoch sorgen die vier Sänger mit ihrem intensiven Zusammenspiel für Gänsehaut-Atmosphäre. „The New World“ bleibt auch Stunden nach dem Ende der Show noch im Kopf. Unterstützt werden sie von der fünfköpfgen Live-Band unter der Leitung von Carsten Paap. Browns abwechslungsreiche Melodien – von Swing über Funk bis hin zu Rock-Pop ist alles vertreten – bereiten ihnen keinerlei Schwierigkeiten und so sorgen sie für einen künstlerisch rundum gelungenen Abend.

Einziger Wermutstropfen an diesem ansonsten rundum perfekten Musical-Revue-Abend ist die doch eher unpraktische Luke im Bauch eines Frachters. Auch wenn die Akustik überraschen gut war und auch die Auf- und Abgänge über verschiedene Treppen und Hintertüren für Abwechslung in der Regie sorgen, so fühlte man sich doch etwas beengt mit den Metallwänden und der nicht gerade üppigen Beleuchtung. Bei der nächsten Aufführung von „Songs for a New World“ sollte auf die Wahl der Spielstätte noch mehr Wert gelegt werden. Dass es weitere Vorstellung von Jason Robert Browns Song-Revue in Deutschland geben wird, steht fest. Wann, wo und in welcher Form und mit welchen Sängern, erfahren Sie in Kürze bei uns.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Cap San Diego, Hamburg
Premiere: Herbst 2006
Darsteller: Volkan Baydar, Charlotte Heinke, Marc Seitz, Femke Soetenga
Musik / Regie: Jason Robert Brown / Daniel Witzke
Fotos: Big Fish Theatre Productions

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