home 2009, 2012 Alter und Aussehen egal

Alter und Aussehen egal

Ja, in dieser Show geht es um die Liebe und ihre Spielarten, aber auf keinen Fall bierernst oder steif, sondern wie man es von den Kreativen des Schmidt Theater kennt: mit jeder Menge Humor. Mitklatschen und Mitsingen sind ebenfalls ausdrücklich erwünscht. Letzteres fällt bei den zahlreichen Rückgriffen auf bekannte Musical-Songs auch nicht schwer. Da wird kurzerhand „Heiß begehrt“ aus „Wicked“ intoniert, wenn die flippige Sandy der etwas steifen Juliane zeigt, was sie alles aus sich machen kann. Elena Zvirbulis (Sandy) empfiehlt sich mit dieser Einlage spielend als Glinda, denn sowohl in Sachen Quietschigkeit als auch Tontrefferquantität steht sie ihren Kolleginnen in Stuttgart und London in nichts nach.

Auch „Haispray“- und „Chicago“-Songs werden treffsicher in die Revue eingebaut. Besonders großen Anklang findet „Good morning Altona“ frei nach „Good morning Baltimore“ aus „Haispray“, das herrlich politisch unkorrekt die augenfälligen Besonderheiten, wie den überdurchschnitt-lich hohen Anteil ausländischer Mitbürger, die in diesem Hamburger Stadtteil leben, hervorhebt.

Und doch ist die Show keine bloße Aneinanderreihung von bekannten Musicalstücken und Swing-Hits („That’s Amore“), sondern eine gelungene Mischung aus bekannten und weniger bekannten Stücken, die für die musikalische Abwechslung sorgen.

Schwach ist allerdings die Handlung: In der Hamburger WG leben das Paar Juliane und Reiner sowie die junge Sandy und der über beide Ohren in sie verliebte Lukas. Im Laufe des Abends erfährt der Zuschauer, wie sich Juliane und Reiner kennengelernt haben und dass ihre Beziehung mehr aus der Verzweiflung heraus entstand, gar keinen Partner mehr zu finden als aus wahrer Liebe. Sandy dagegen findet Lukas ebenso sympathisch wie er sie und wartet darauf, dass er den ersten Schritt macht, wozu dieser aber zu schüchtern ist. Eines Tages stellt dann Reiner fest, dass er sich zu Lukas hingezogen fühlt und Juliane möchte ihr Sexualleben unbedingt aufregender gestalten und bestellt sich einen Callboy nach Haus. Damit ist für ausreichend emotionales Chaos auf allen Seiten gesorgt und doch plätschert das Geschehen unspektakulär vor sich hin. Aber am Ende finden sich Sandy und Lukas und auch Juliane und Reiner versuchen es noch einmal miteinander.

Natürlich ruft die eine oder andere Szene Erinnerungen wach oder bedient Klischees, doch vom Schmidt Theater hätte man wesentlich mehr Spitzen erwartet. Man vermisst die Offenheit und Tabulosigkeit, mit der sonst im Schmidt Theater ausnahmslos jedes Thema verarbeitet wird.

Für die vier Darsteller auf der Bühne gibt es dennoch viele Möglichkeiten, ihre Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen: So organisiert Susi Banzhaf nicht nur als steife, „chronisch unbefriedigte“ Juliane das Leben ihrer WG-Kollegen, sondern philosophiert auch als vulgäre Ricky in lupenreinem Barmbeker Slang für eine Welt ohne String-Tangas und Männer, die sie mit ihrem BNW (kein Tippfehler, sondern ein konsequent durchgezogener Sprachfehler) und ihrer eigenen Tanke erobern.

William Danne besticht als Landei Lukas durch seine liebenswerte Schüchternheit und seinen pointierten trockenen Humor. Wenn er im orangefarbenen Ganzkörper-Strampelanzug auf die Bühne kommt und verzweifelt „That’s a Möhre“ singend nach seinem Hasen namens „Schwarze Barbara“ sucht, treibt es den Zuschauern die Lachtränen in die Augen. In der Szene, in der Danne die Auswahl als vierter Mitbewohner nachzeichnet, kann er in verschiedenen Rollen, manchmal nur für wenige Sekunden, glänzen: Sowohl als Öko-Hippie, als auch als durchgeknallte Wahrsagerin macht er eine gute Figur. Als Lukas Mutter Lisbeth, die urplötzlich ihren Sohn in der Großstadt besucht, treibt er nicht nur Reiners Halbzwillingsbruder René in den Wahnsinn. Danne hat eine starke Bühnenpräsenz, die das Publikum mit entsprechendem Szenenapplaus belohnt.

Elena Zvirbulis gibt die naive Sandy, die unbedingt beim nächsten DJ-Bobo-Casting gewinnen möchte. Mit ihren Stepp- und Gesangseinlagen gewinnt sie die Herzen der Zuschauer. Man hat sogar Mitleid mit ihr als sie das Casting wegen der geruchsintensiven Auswirkungen einer zuvor verspeisten Kohlsuppe vermasselt. Als Callboy Rodriguez mit überdimensionalem Sombrero wirkt sie eher niedlich, aber dennoch passt es zur Revue.

Der vierte im Bunde ist Mario Saccoccio, der als frustrierter und emotional unentschlossener Reiner ein Couch-Potatoe-Leben an der Seite von Juliane führt. Er ist der Schwächste dieses Quartetts, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass er während des laufenden Probenprozesses die Rollen übernommen hat, die ursprünglich Nik Breidenbach spielen sollte. Während er als Reiner zu unscheinbar bleibt, kann er als dessen Halbzwillingsbruder René – als ein alle Klischees erfüllender Franzose – auftrumpfen. Hier fallen dann auch die leichten Ausspracheprobleme kaum noch auf, während diese bei Reiner doch mehr als einmal aufhorchen lassen.

Die Personenregie von Joseph Vicaire ist durchaus gelungen. Er lässt seinen Kollegen ausreichend Spielraum für eigene Interpretationen und Improvisationen. Mit Susi Banzhaf und William Danne hat er zwei großartige Sänger im Ensemble, deren Wandlungsfähigkeit und Comedy-Talent herausragend sind. Markus Schell, der im Hintergrund am Klavier den ganzen Abend begleitet, spielt sich ebenfalls nicht in den Vordergrund und wird liebevoll in einige Szenen eingebunden.

„Schmidt in love“ ist eine kurzweilige Revue, die ganz sicher für gute Stimmung sorgt, was nicht zuletzt der ansteckenden Spielfreude des Ensembles zu danken ist. Um die vielen kleinen Anspielungen auf Musicals oder aktuelles Zeitgeschehen mitzubekommen, muss man das Stück sicherlich mehrfach sehen, was bei Eintrittspreisen von maximal 27,50 Euro durchaus machbar erscheint.

Michaela Flint
erschienen auf musicalzentrale.de

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Premiere: 6. Oktober 2009
Darsteller: Susi Banzhaf, William Danne, Mario Saccoccio, Elena Zvirbulis
Musik / Regie: Markus Schell / Joseph Vicaire
Fotos: Schmidt Theater


Nachtrag zur Wiederaufnahme am 01.05.2012

Auch in diesem Jahr haben sich im Vergleich zur Vorjahresfassung viele Details verändert. Nicht alle Gags zünden, was aber vielleicht auch an dem sehr jungen Publikum liegen mochte, das sich nicht auf die schräge WG einlassen wollte. Alle anderen hatten aber viel Spaß an dem unglaublich schüchternen Lukas und seiner notgeilen Mutter Lisbeth (beide hinreißend gespielt von William Danne), am sexuell unentschlossenen Reiner und seinem etwas sehr übertrieben schmalzigen Halbzwillingsbruder René (Mario Saccoccio), an Juliane auf der Suche nach sexueller Erfüllung und Ricky Busch mit ihrem BNW (Susi Banzhaf) sowie last but not least dem pinken Tanz-Girlie Sandy und dem gar nicht kleinen Rodriguez (Elena Zvirbulis).

Die Besetzung ist unverändert und harmoniert auf der Bühne perfekt. Auch spontane Texthänger werden durch wunderbare Improvisationen umschifft oder einfach herzlich weggelacht.

Mein Lieblingszitat (von Mutter Lisbeth): „Scheiße am Stil ist auch ne Blume!“ Wunderbar offen und ohne jeglichen Anspruch auf inhaltliches Niveau. Was hier zählt ist Unterhaltung – und die gelingt musikalisch und schauspielerisch einmal mehr aufs Allerbeste.

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