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Umbau vom Theater des Westens

Am 15. September 2003 hebt sich im traditionsreichen Theater des Westens der Vorhang für die Generalprobe von Alain Boublils und Claude-Michel Schönbergs Musical-Meisterwerk um Liebe, Freiheit, Ehre, Gerechtigkeit und Mut: »Les Misérables«. Zumindest steht es so im offiziellen Zeitplan.

Anfang August jedoch mag man kaum glauben, dass aus dieser beeindruckenden Baustelle innerhalb von sechs Wochen wieder eines der schönsten Theaterhäuser Deutschlands werden soll.

Geschäftsführer Thomas Lüdicke ist dennoch sehr zuversichtlich: „Es geht voran! Wir haben wieder eine Bühne im Theater. Noch vor zwei Wochen war hier ein großes Loch von 10×10 Metern Durchmesser und acht Metern Tiefe.“ Ein wenig problematisch ist die Unterbringung der beiden Großkulissen, die während der Vorstellung zu der bühnenfüllenden, schicksalshaften Barrikade zusammengesetzt werden. Thomas Lüdicke: „Eine Seitenbühne gibt es nicht.“

Die Neue Flora und das Apollo Theater haben riesige Seitenbühnen, aber als dieses Haus 1896 gebaut wurde, gab es neben dem Saal und dem Bühnenhaus nichts. Das Kesselhaus und die ganzen Randgebäude wurden erst nach und nach hinzugebaut. Wir müssen uns damit behelfen, dass wir ein kleineres Bühnenportal einbauen und die beiden Barrikadenteile rechts und links stehen lassen.“ Nicht ohne Ehrfurcht in der Stimme fügt Thomas Lüdicke hinzu: „So wie die Bühne hier jetzt steht, ist sie über 100 Jahre alt! Marlene Dietrich hat hier gespielt, Enrico Caruso hier gesungen…– wenn ich das lese, bekomme ich immer wieder eine Gänsehaut!“

Überall klopft, hämmert und bohrt es. Von den großen Zeiten, die dieses Theater erlebt hat, ist zurzeit nichts zu sehen. Doch an einzelnen Ecken lässt sich schon erkennen, welcher Glanz dem Theater verliehen werden soll. „Wenn alles so klappt, wie geplant – was bei einem Altbau zugegebenermaßen nicht immer der Fall ist – werden hier bald 1670 Zuschauer Platz finden.“ erläutert Thomas Lüdicke. „60 Sitzplätze haben wir allein dadurch gewonnen, dass im Saal die Rückwand um drei Meter nach hinten versetzt wurde, was auch bedeutete, dass die dort befindlichen Stahlträger herausgeflext werden mussten.“

Das Theater des Westens hat schon viele farbliche Wandlungen erlebt. Bald wird es wieder in klassischem Rot erstrahlen: „Der Saal wird von der Farbgebung her viel harmonischer werden. Früher waren hier graues Linoleum, beigefarbene Sitzbezüge und eine beige Tapete mit einem braunen Schneckenmuster. Das alles wirkte sehr unruhig und passte nicht zu diesem Traditionshaus. Jetzt wird alles in Rottönen gehalten: rote Tapete, roter Teppich, rote Stühle… Wir wollen es rot, ruhig und dunkel haben – es soll eben wieder ein richtiges Theater werden.“ sagt Thomas Lüdicke voller Überzeugung.

Die Saalteilung in Parkett, Hochparkett, 1. und 2. Rang bleibt erhalten. Auch an den klassischen Vierer-Logen hält man bei der Stage Holding fest. „Die sind einfach schön!“ meint Thomas Lüdicke.

Die Begründung, warum im Theater des Westens von einem ansonsten unüblichen Hochparkett gesprochen wird, liefert Thomas Lüdicke ohne Umschweife: „Wir bezeichnen es ganz bewusst als Hochparkett, da die Zuschauer hier auf der gleichen Sichthöhe sind, wie beispielsweise in den hinteren Parkettreihen in der Neuen Flora oder dem Apollo Theater. Wir haben die ganze Bühne 70 cm tiefer gelegt und das Parkett schräger gestellt, so dass die Sichtlinie insgesamt besser wird.“ Und tatsächlich ist es so, dass man vom Hochparkett aus einen besseren Blick auf die Bühne hat als in manch anderem Stage Holding Theater.

Die lange Geschichte des großen Berliner Theaters zeigt sich an den Arbeiten in den verschiedenen Foyers, die über wunderschöne altmodische Lifte erreicht werden können. Im Foyer vor dem 2. Rang werden beispielsweise die mehr oder weniger geschmackvollen Deckenmalereien entfernt und durch stilvolles Beige ersetzt. „An den Wänden wird es höchstens einige Gemälde geben.“ antwortet Thomas Lüdicke auf die Frage nach den modernen Kunstwerken, die in den anderen Theatern der Stage Holding ausgestellt werden.

Überhaupt werden die Foyers ein viel schöneres Ambiente bieten bisher. Thomas Lüdicke erklärt, dass es früher überhaupt keine Sitzgelegenheiten gab, auf denen sich die Zuschauer während der Pausen niederlassen konnten. Dies wird jetzt geändert: „Links und rechts vom Saal werden lange Bars eingebaut, dazu viele Sofas und schöne barocke Sessel.“

Mit leuchtenden Augen führt mich der Geschäftsführer in das „Haupt-Foyer“ vor dem Hochparkett.

Trotz des unglaublich hohen Lärmpegels, des Staubs und der überall umher liegenden Werkzeuge vermag man zu erahnen, welch ein Flair in wenigen Wochen von diesen Räumlichkeiten ausgehen wird. „Die jahrzehnte alte Farbe wird von Hand mit einem Schwamm von den Wänden gewaschen, um den darunter befindlichen Marmor wieder frei zu legen. Auch die großen Balkontüren sollen in den Pausen geöffnet werden, damit jeder von außen sieht, dass wieder Leben in diesem Theater ist.“

Ebenfalls beeindruckend ist (bzw. wird) auch die Eingangshalle, deren traditionelle Kassenhäuschen wohl erhalten bleiben werden. Besonders stolz ist Tom Lüdicke auf die „alten“ Bestandteile: Große Standleuchter an den Treppen und fest montierte Messing-Aschenbecher sind unverzichtbare Stil-Elemente für ein Theater von Rang.

Es liegt noch ein hartes Stück Arbeit vor den unzähligen Handwerkern. Der Zeitplan ist eng, aber die Aufbruchstimmung, die im ganzen Haus zu spüren sind, stimmt optimistisch für den erfolgreichen Abschluss der Bauarbeiten bis Mitte September, wenn die ersten Besucher das Theater des Westens zu den Previews von »Les Misérables« bevölkern werden.

Michaela Flint
veröffentlicht (gekürzt) in blickpunkt musical