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Les Misérables – Kostüme, Perücken & Stage Management

„Les Misérables“ spielt im Frankreich der Studentenaufstände im frühen 19. Jahrhundert. Da ist es unerlässlich, dass die damals eher düstere Stimmung sich auch in Bühnenbild, Kostümen und Maske niederschlägt. Blickpunkt Musical hat sich einen Nachmittag lang an die Fersen der Backstage-Mitarbeiter des Theater des Westens in Berlin geheftet und viele spannende Einblicke in die unterschiedlichen Abteilungen erhalten, die jeden Abend aus Studenten Gauner, Wirtshausgäste oder eine noble Hochzeitsgesellschaft machen.

Am augenfälligsten für die Verwandlung der Darstellerinnen und Darsteller sind die Kostüme und Perücken. Alle Perücken sind aus europäischem Naturhaar handgeknüpft. Wenn man sich vor Augen führt, dass es 40-50 Stunden dauert, bis eine einzelne Perücke fertig gestellt ist, weiß man zu schätzen wie viel Aufwand es für die neun Masken-bildner im Theater des Westens gewesen sein muss, die 84 Perücken zu knüpfen, die allabendlich zum Einsatz kommen. Da sich die Geschichte von „Les Misérables“ über einen Zeitraum von 17 Jahren erstreckt, müssen die Darsteller auch während der Vorstellung immer wieder umgeschminkt werden. Bereits 90 Minuten vor Showbeginn kommen die ersten Darsteller in die Sammelmaske, um sich zu schminken. Bei den Solisten übernimmt diese Arbeit jeweils ein eigener Maskenbildner.

Während der Show sind bis zu 14 Kostümwechsel zu absolvieren – zu den verschiedenen Outfits gibt es häufig auch andere Perücken. Im extremsten Fall kümmern sich während eines so genannten Quick Change zwei Maskenbildner und zwei Dresser um einen einzigen Darsteller. Während sich die Ensemble-Mitglieder auf der Hinterbühne umziehen müssen, da sie den Weg in die Garderobe in der Kürze der Zeit nicht schaffen würden, finden die Kostümwechsel der Solisten in den eigenen Garderoben statt, die links und rechts neben der Bühne angeordnet sind. Eine Ausnahme bildet hier Oleh Vynnyk als Jean Valjean, der auch auf der Hinterbühne eine Mini-Garderobe hat, da er zwischen einigen Szenen nur extrem wenig Zeit zum Umziehen hat und von allen Darstellern auf der Bühne den Alterungsprozess am deutlichsten mitmacht.

Die 18 Dresser müssen immer einen klaren Kopf bewahren „Die richtige Einrichtung der Kostüme ist das A und O!“ bestätigt Sabine Beyer. Nachdem die Garderoben spielfähig geräumt wurden, beginnen die Dresser schon Stunden vor Showbeginn damit, die Kostüme zu schichten. „Es wird vom Bild abgebaut. Das bedeutet, wir fangen mit dem vorletzten Bild an und legen die Kostüme dann rückwärts auf einen Stuhl. Während der Show muss alles ganz schnell gehen. Da darf dann kein Handschuh oder Hosenträger fehlen.“ Bei der Zuordnung der Kostüme zu den jeweiligen Rollen haben die Dresser zwei Gedankenstützen. Zum einen gibt es so genannte ‚Plots’ – das sind Fotos von jedem Darsteller in seiner Rolle, die ihn in allen Kostümvarianten mit allen Accessoires zeigen. Des Weiteren gibt es im hinteren Bühnenbereich eine Vielzahl von Kleiderständern, von denen jeder einzelne nur einer Figur zugeordnet ist und wo alle Kostümbestandteile zusammen getragen werden. „Es ist zwar so, dass jeder Dresser eine bestimmte Anzahl von Darstellern betreut, aber wir streben an, dass jeder alles kann, damit es in Notfällen nicht zu Engpässen kommt!“ beantwortet Sabine Beyer die Frage nach einer Struktur im Kostümwechsel-Chaos.

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Neben den Umzügen zwischen den Szenen, geht es während einer Vorstellung um ‚Schadensbegrenzung’. „Vor allem in der Barrikaden-Szene werden die Kostüme extrem beansprucht. Da kommt es schon mal vor, dass eine Hose platzt, in Hosenträger reißt o. ä. In solchen Situationen müssen wir dann zaubern und schnell in den vierten Stock flitzen, um die Kostüme zu reparieren.“ erläutert Dresserin Sabine Beyer.

 Im vierten Stock befinden sich die „heiligen Hallen“ der Kostümabteilung. Marianne Schmidt und ihre vier Mitarbeiterinnen sind verantwortlich für 1.500 Kostüme, die bei „Les Misérables“ zum Einsatz kommen. Die Outfits umfassen bis zu zehn Einzelteile wie Hut, Krawatte, Hemd, Schuhe, Handschuhe, Schal, Hose, Weste, Mantel oder Gehrock. Neben den Darstellern, die jeden Abend auf der Bühne stehen, gibt es noch 13 Swings, von denen jeder einzelne 35 verschiedene (!) Kostüme maß geschneidert bekommen hat. Jeder Darsteller hat 7-8 Paar Schuhe, die ebenfalls gepflegt und repariert sein wollen.

Die Kleider und Anzüge wurden nach den strengen Vorgaben des Lizenzgebers gefertigt. Marianne Schmidt gerät ins Schwärmen, wenn sie von der meisterhaften Designarbeit von Andreane Neofitou spricht: „ Das besondere an dieser Show ist, dass alle Stoffe gefärbt sind.

Kein Stoff wird so verwendet, wie er gekauft wurde. Die Designerin hat für „Les Misérables“ eine wunderbare, faszinierende Farbklarheit geschaffen. Die Kostüme in jeder Szene haben eine andere Grundfarbe, so ist zum Beispiel die Fabrik-Szene in Blautönen gehalten, während in Thénardiers Wirtshaus alles in rot-braun erscheint. Je wichtiger jedoch eine Person ist, desto klarer und ‚lauter’ sind die Farben ihres Kostüms. Das Publikum nimmt diese Farbwelten nicht bewusst wahr und gerade das macht die Arbeit von Andreane Neofitou perfekt!“ Die meisten Kostüme wurden in London oder New York produziert und von den Kostümschneiderinnen im Theater des Westens vor Ort angepasst. Häufig wurden die Stoffe vorher bearbeitet und auf ‚alt’ getrimmt. Doch einige Kostüme, wie z. B. der Anzug von Babet, wurden zuerst zugeschnitten und angepasst und erst danach so bemalt, dass sie die Konturen haben als wären sie 100 Jahre alt. Das Herz der Leiterin der Kostümabteilung schlägt besonders für die ausgefallenen Hurenkostüme:

„Diese Kostüme sind besonders wertvoll bestickt, teilweise mit echten historischen Elementen, die sehr schön alt nachbearbeitet wurden. Für diese speziellen Details bin ich eigens nach London geflogen und habe Material eingekauft.“

Alltag gibt es in der Kostümabteilung (noch) nicht. Auch knapp sechs Monate nach der Premiere kommen immer noch neue Ensemble-Mitglieder hinzu. Der neue Darsteller muss vermessen, die Stoffe bearbeitet und gefärbt werden. Dann werden die Kostüme genäht und angepasst. „Während der Fittings, den Kostümanproben, machen wir Fotos von jedem Darsteller in seinen Kostümen, damit wir später selbst wissen, was zu wem gehört. Einen Swing in all seinen Kostümen zu fotografieren, dauert gut 4 Stunden, also schafft man nicht mehr als zwei pro Tag.“ erläutert Marianne Schmidt den Ablauf. Die eigentliche Aufgabe während einer laufenden Produktion, zu der die Kostümabteilung noch kaum kommt, ist die Ausbesserung und Reparatur der teilweise doch sehr stark beanspruchten Kostüme.

Die Kleider in der Hochzeits-Szene sind besonders aufwendig und durch die ausladenden Reifröcke sehr Platz raubend.

Da jedoch auf der Hinterbühne kein Stauraum für die Vielzahl an Kostümen zur Verfügung steht, musste man sich im Theater des Westens mit einem Trick behelfen. Marianne Schmidt führt meinen Blick in den Schnürboden über der Hinterbühne. Tatsächlich, dort hoch über den Köpfen der Backstage-Mitarbeiter hängen dreizehn wunderschöne Kleider, inklusive Cosettes Hochzeitskleid und dem knallbunten Kleid von Mme. Thénardier. Auf dem Boden finden sich die Namen der jeweiligen Figuren. So müssen sich die Darstellerinnen ‚einfach’ nur auf den richtigen Platz stellen und von oben schweben die entsprechenden Kleider auf sie herab.

Nach diesen vielfältigen kunstvollen Eindrücken ist die nächste Abteilung das Stage Management – ein eher technischer Bereich. Im Theater des Westens setzt sich diese Abteilung aus vier jungen Frauen zusammen. Zum Tagesgeschäft gehört u. a. die Planung von Probenterminen für die gesamte Cast. Abends ist der Stage Manager die Schnittstelle zwischen allen technischen Abteilungen, was gerade bei „Les Misérables“ erhöhte Aufmerksamkeit mit sich bringt. „Das gesamte Bühnenset kommt aus New York.

Das besondere an dieser Drehscheibe ist, dass sie zum einen nur als Platte auf der eigentlichen Bühne liegt und per Computer in alle Richtungen mit einer bestimmten Geschwindigkeit gefahren werden kann. Zusätzlich ist der Innenkreis auskoppelbar und erzeugt so die filmische Illusion einer Straße.“ erklärt Kirsten Timm die Besonderheiten dieser Produktion. „Abgesehen von der imposanten Barrikade haben wir bei „Les Misérables“ einen relativ minimalistischen Aufbau, bei dem durch kleinere Aufbauten, vor allem Möbel, und Licht abwechslungsreiche Bilder und Räumlichkeiten geschaffen werden können.“ Dass die Effekte genau zu der gewünschten Sekunde sichtbar werden, ist die Hauptaufgabe des Callers. Über Infrarotmonitore kann sie die Bühne aus verschiedenen Blickwinkeln einsehen. Auch der Dirigent wird direkt auf einem Monitor übertragen, da von seinem Dirigat verschiedene Licht-Cues abgenommen werden. Der Einsatz von Ton und Requisite wird vom Caller punktgenau auf die Musik abgestimmt. Die Anzahl der Calls variiert von Show zu Show. Kirsten Timm erzählt von ihrer Caller-Tätigkeit bei ‚Rent’: „ Dort haben wir fast ausschließlich mit Licht Cues gearbeitet. Die ca. 300 Calls auf diese rockige Musik abzustimmen, war ein hartes Stück Arbeit.“

Ein musikalisches Grundverständnis ist für diesen Job unerlässlich, obgleich Stage Management in Deutschland kein Ausbildungsberuf ist. Viele Stage Manager sind Quereinsteiger, haben vorher als Inspizienten oder Regie-Assistenten gearbeitet. Dieses Vorwissen hilft ungemein weiter, da man als Stage Manager mit verschiedensten Bereichen zusammen arbeiten muss. Über Headsets ist der Caller mit dem Bühnenmeister, den Operators (zwei Kollegen, die die Drehbühne und Züge steuern) sowie dem Bühnendienst verbunden. Bühnendienst ist eine sehr wichtige Kontaktperson für den Caller, denn von seinem Platz aus kann er einfach nicht alles sehen. Kay nimmt diese Position an diesem Abend ein und beschreibt ihren Job so: „Ich bin meistens im hinteren Bereich der Bühne, der vom Caller nicht so gut eingesehen werden kann, und habe direkten Kontakt zur Cast und zum Bühnenmeister, falls es zu Zwischenfällen kommt. Der Stage Manager ist die Stimme in meinem Kopf und dafür verantwortlich, dass eine Show gut durchläuft. Ich bin im Prinzip seine Augen und passe auf, dass nichts schief geht, also z. B. die Barrikade zu schnell bewegt wird. Das wichtigste ist ein schnelles Feedback. Aber ein guter Tag in meinem Job ist ein langweiliger Tag!“

Ständige Kommunikation ist das einzige, was sich Sicherheit von Ensemble, Backstage-Mitarbeitern, Orchester und Zuschauern gewährleisten kann. „Grundsätzlich ist „Les Misérables“ nicht schwer zu callen, aber es ist schon sehr gefährlich und man muss äußerst aufmerksam sein. Im amerikanischen Raum ist das, was der Stage Manager sagt Gesetz – das geht sogar noch über Regie-Anweisungen. In Deutschland ist eine detaillierte Abstimmung mit der Künstlerischen Leitung notwendig, die für den künstlerischen Verlauf des Abends verantwortlich ist. Stage Manager in Deutschland sind vorrangig für die Sicherheit zuständig.“ erläutert Kirsten Timm. „Bei „Les Misérables“ herrscht eine eher dunkle Grundstimmung auf der Bühne und es gibt viele ‚gefährdete’ Positionen auf der Bühne.

Genau darauf liegt unser Hauptaugenmerk: Bei jeder Verwandlung müssen wir darauf achten, dass wir niemanden umfahren oder irgendjemand dort steht, wo er nicht stehen sollte. Dennoch haben wir es immer mal wieder mit Prellungen oder umgeknickten Knöcheln zu tun. Obwohl die Cast genau weiß, was wann wo passiert, kommt es im Eifer des Gefechts zu kleineren Blessuren.“ Kirsten Timm spricht dem Ensemble aber ein großes Lob aus: „ Es gibt kontrollierte Darsteller, die laufen jeden Abend wie ein Uhrwerk. Hier sind alle sehr auf Sicherheit bedacht und passen gut auf. Vor allem die Zusammenarbeit mit Oleh ist hervorragend, nicht nur, weil en Valjean so fantastisch spielt, sondern weil er so zuverlässig ist. Daran erkennt man den Profi!“

Je nach Theater variiert die Ausstattung, mit der ein Stage Manager eine Show begleitet. „Im Theater des Westens läuft sehr viel übers Callen direkt und weniger über das Schaltpult. Alle Light Cues, Fly Cues – das ist alles, was von oben kommt – und die Auto Cue – die Drehscheibe – sind vom ersten bis zum letzten Einsatz durchnumeriert, computer-gesteuert und in diesem Buch festgehalten. Und es wird alles gecalled.“ Das hat den Vorteil, dass sich Stage Manager und Operator oder Tontechniker direkt verständigen können und Probleme im Vorwege feststellen und beheben können. „ Mit einem Lichtzeichen-Pult allein wäre diese Kommunikation nicht möglich.“ erklärt Kirsten Timm.

Abschließend richtet sie noch einen dringenden Appell an alle Theaterbesucher: „Dass Handys im Saal ausgeschaltet werden müssen, ist keine Schikane seitens der Theater, sondern es hat tatsächlich einen sicherheitstechnischen Hintergrund. Gerade sensorische Geräte wie die Drehscheibe sind sehr empfindlich gegenüber Funkwellen und es möchte wirklich niemand, dass plötzlich ein Zug von oben herunterfährt oder es zu anderen Störungen kommt, die die Darsteller gefährden. Es ist ähnlich wie im Flugzeug: Die Technik kann beeinflusst werden. Meistens macht sich das in knackenden oder ausfallenden Mikrofonen bemerkbar.“

Direkt über dem Büro des Stage Management befindet sich die Kinderbetreuung, die bei „Les Misérables“ eine wichtige Rolle spielt. Kindercoach Thomas Hirschfeld betreut mit seiner Kollegin mehr als 30 Kinder, von denen drei jeden Abend in der Rolle der jungen Eponine, Cosette oder des Straßenjungen Gavroche auf der Bühne stehen.  Dass die Kinder schon richtige Profis sind, erfahren wir im Gespräch mit der 12-jährigen Martha Kunicki, die in Berlin regelmäßig als junge Cosette auf der Bühne steht. Eineinhalb Stunden vor Vorstellungsbeginn werden die Kinderdarsteller geschminkt und verkabelt.

Dann warten sie in ihren eigens angefertigten Kostümen auf ihren Einsatz. Proben mit den erwachsenen Darstellern finden kaum noch statt. „Es kommt schon vor, dass ich mit einem Valjean auf der Bühne zusammen spielen muss, mit dem ich vorher nicht geprobt habe.“ erzählt uns die junge Hamburgerin. Für Martha Kunicki ist es nichts Besonderes mehr, auf einer großen Musical-Bühne zu stehen. In der Hamburger Inszenierung von „Mozart!“ hat sie an der Seite von Yngve Gasoy-Romdal das kindliche Genie Amadé gegeben. Schon seit sie fünf Jahre alt ist, macht sie Ballett und seit drei Jahren bekommt sie privaten Gesangsunterricht bei gestandenen Musical-Darstellern wie Michael Nicholson oder Alexander di Capri (zurzeit bei „Tanz der Vampire“). „Es ist toll, mit Stars wie Yngve Gasoy-Romdal oder Uwe Kröger zu spielen. Sie sind Vorbilder für mich, von denen ich richtig viel lernen kann. Sie spielen jede Show anders und ich beobachte sie dabei.“ Nervosität gehört für die blutjunge Nachwuchs-Darstellerin dazu. Doch auch damit geht sie inzwischen eher gelassen um: „Meistens bin ich sehr aufgeregt, vor allem, wenn ich mit Darstellern spiele, mit denen ich vorher nicht geprobt habe. Aber dann atme ich einmal durch und spiele meine Rolle.“ Soviel Professionalität in so jungen Jahren zollt einem Respekt ab. Man ist geneigt zu denken, dass das ganze für Martha Kunicki und ihre jungen Mitstreiter sehr anstrengend ist. Doch die Kinder bewältigen ihre Aufgaben mit viel Freude und Natürlichkeit. Da verwundert es wenig, wenn als Berufswunsch Musical-Darsteller an erster Stelle steht: „Ich finde Theater klasse. Ich habe auch schon in Filmen mitgemacht, aber da spielt man eine Szene immer wieder, so lange bis sie perfekt ist. Beim Theater ist das anders, dann kann man nicht mal eben so unterbrechen und eine Szene wiederholen, weil man einen Fehler gemacht hat – es ist eben live!“

Wie man sieht, findet man Backstage immer wieder neue und interessante Bereiche, die mehr als nur einen kurzen Blick hinter die Kulissen wert sind.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical