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Große Oper im Stadttheater

Bisher waren der Fortsetzung des Musical-Klassikers „Das Phantom der Oper“ mangels Publikums-Interesse meist nur kurze Spielzeiten beschieden. Das Jahr im Hamburger Operettenhaus gehörte dabei mit zu den längsten.

Die Handlung spielt 10 Jahre nach den weltbekannten Ereignissen in Paris. Das Phantom hat sich als Mister Y in einem Vergnügungspark auf Coney Island (New York) ein neues Leben aufgebaut, Christine ist eine gefeierte Operndiva, die zu ihrem ersten Engagement nach New York eingeladen wird und die Reise mit ihrem Mann Raoul, dem Vicomte de Chagny und dem gemeinsamen Sohn Gustave, antritt.

Auf Coney Island laufen Christine und Raoul alsbald Meg Giry und ihrer Mutter in die Arme, die dem Phantom immer die Treue gehalten haben. Gustave hingegen ist fasziniert von der Kreativität, die von diesem magischen Ort auf Coney Island ausgeht.

Als das Phantom und Christine sich wiedersehen, schwelgen sie kurz in romantischen Erinnerungen an ihre bewegte und bewegende Zeit in Paris. Doch schnell wird klar, dass Christine zu ihrer Familie halten wird. Das Phantom nutzt Christines Loyalität erfolgreich aus und bringt sie dazu, noch einmal für ihn zu singen. Aufgrund dieses Auftritts kommt es zu Eifersucht seitens Meg, die kurzerhand Gustave entführt; Raoul ertränkt seinen wiederaufkeimenden Hass in Alkohol und stellt Christine ein Ultimatum, welches diese zugunsten ihrer Familie aber nicht akzeptieren kann.

Nach dem Auftritt bemerkt Christine, dass Gustave verschwunden ist und macht sich auf die Suche nach ihrem Sohn, dessen Vater – wie auch das Phantom inzwischen weiß – nicht Raoul ist. Die Handlung spitzt sich zu, Meg erschießt in ihrem fehlgeleiteten Neid Christine, die in den Armen des Phantoms stirbt. Raoul kommt zu spät, um sich mit seiner großen Liebe zu versöhnen, kann aber immerhin Gustave retten.

Das klingt nicht nur nach atemloser, dramatischer und hoch emotionaler Handlung, das ist es auch. Vielleicht ist es dieses Zuviel an verschiedensten Gefühlen, das „Love Never Dies“ den Erfolg verwehrt hat. An der Musik und starken Charakteren kann es jedenfalls nicht liegen.

In dieser Spielzeit ist dieses Drama-Musical nun am Stadttheater Lüneburg zu sehen. Das Kreativ-Team des mit drei Bühnen gar nicht so kleinen Theaters hat sich selbst übertroffen: Barbara Bloch schafft mit ihrem Bühnenbild auf mehreren Ebenen mit Coney Islands Traumwelt (nicht nur die Quallen, die sich den Weg durch den Zuschauerraum zur Bühne bahnen, sind herzallerliebst), dem Reich von Mister Y alias dem Phantom, der Suite von Christine sowie den verspiegelten Geheimgängen in „Phantasma“ immer wieder stilistisch runde Settings für die Handlung. Perfekt ergänzt werden diese durch das stimmig-kreative Kostümbild von Benjamin Burgunder, der den Kontrast zwischen geifernder Pressemeute bei Christines Ankunft in New York und den Künstlern auf Coney Island nicht deutlicher darstellen könnte: Gedeckte Brauntöne treffen auf eine überbordende Farbenpracht – sehr gelungen!

Die neun Protagonisten sowie Haus- und Extrachor werden von den Lüneburger Symphonikern unter der Leitung von Christoph Bönecker begleitet. Andrew Lloyd Webbers Kompositionen flehen geradezu nach einer klassischen Begleitung und diese live und nicht vom Tonband zu hören, ist einfach eine Wohltat – zumal, wenn sie so auf den Punkt und fehlerfrei dargeboten wird, wie am Premierenabend. Wenn die Streicher beim Titelsong „Liebe stirbt nie“ einsetzen, beginnt man sofort zu Träumen…

Diese vielen Menschen nicht nur akustisch, sondern auch tänzerisch leichtfüßig über die Bühne zu bewegen, fällt Olaf Schmidt zu. Seine Choreographien sind immer passend für die jeweils agierenden Darsteller gewählt, dennoch sieht man deutlich einige Schwachstellen.

Sich musikalische Gäste für einzelne Produktionen einzuladen, ist in Lüneburg eine liebgewonnene und bewährte Tradition. Thomas Borchert und Navina Heyne stehen nach dem „Graf von Monte Christo“ nun bereits zum zweiten Mal auf dieser Bühne: Borchert in einer ihm aus zahlreichen „Phantom der Oper“-Vorstellungen sehr vertrauten Rolle, Heyne als Christine in einer ihr auf den Leib geschriebenen Paraderolle. Beide glänzen als ihre Bühnen Alter Egos: Borchert strotzt vor Energie – seine Art Gefühle zu zeigen, ist unverkennbar – und nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise ist die verwirrend-verletzende Emotionswelt des Phantoms. Doch Heyne stiehlt ihm mit ihrem glockenhellen Sopran, ihrer Sanftheit, Verletzlichkeit und dem Selbstbewusstsein der verantwortungsvollen Mutter die Show. Aber so soll es ja auch sein, der Star ist Christine – das war schon immer so. Wen kümmert es da, dass die beiden das Spielalter der Figuren locker um einige Jahrzehnte übertreffen?

Oliver Arno ist als Vicomte de Chagny der fehlende Part dieser Ménage à Trois: Er spielt mit einer Intensität, die unter die Haut geht. Die Stimmungsschwankungen zwischen dem traurigen, kraftvollen „Welchen Grund hat sie?“ hin zum energischen Duell „Wer verliert, geht unter“ mit dem Phantom sind beeindruckend. In dieser Inszenierung sind sich Raoul und Phantom ganz klar ebenbürtig!

Anna Langer kommt als Meg die Rolle des „schmückenden Beiwerks“ zu, die sie jedoch mit einer guten Energie ausstattet. Sie hat eine tolle Jazz-Stimme, die man in diesem Stück so nicht erwartet, kann bösartig und liebevoll sein und irgendwie bekommt man Mitleid mit diesem glücklosen Mädchen.

Kirsten Patt kann die Hin- und Hergerissenheit der loyalen Mme. Giry, die ihr Leben für den Erfolg ihrer Tochter Meg aufgegeben hat, sehr glaubhaft über die Rampe bringen. Ihre statthafte Erscheinung unterstreicht ihre Zielstrebigkeit.

Die Sidekicks – Mister Y fleißige Helferlein Squelch (Steffen Neutze), Gangle (Sascha Littig) und Fleck (Sarah Hanikel) – sorgen für heitere Momente, was als mit Schaumstoff ausstaffierter „stärkster Mann der Welt“ (Neutze), etwas zu rundliche Vogelfrau Fleck (Hanikel) und nicht wirklich mysteriös-fieser Gangle (Littig) sicherlich nicht immer leicht fällt. Doch gerade dieser Auflockerungen braucht das Stück, da es ansonsten deutlich zu schwer verdaulich wäre.

Fragezeichen bleiben beim „Erinnerungswalzer“ von Meg und Christine… Beide waren im Opernballett, Walzer wurde in Paris nie getanzt. Es bleibt wohl das Geheimnis des Intendanten Friedrich von Mansberg, weshalb er sich ausgerechnet Walzer für diese Szene ausgesucht hat. Auch die Tatsache das Gustave von Mädchen gespielt wird, sorgt beim geneigten Zuschauer für Falten auf der Stirn: Gibt es in ganz Lüneburg keine Jungen im passenden Alter, die diese Rolle spielerisch und gesanglich zu meistern in der Lage sind? Ich möchte das bezweifeln. Mädchen in Jungenrollen sind heutzutage nun wirklich nicht mehr „State of the Art“.

Dass bei Christines großem Auftritt („Liebe stirbt nie“) vom Balkon über ihr rot erstrahlender Eisnebel auf die in einem roten Glitzerkleid gewandete Heyne herabfällt, erinnert tatsächlich eher an Drama & Blut und weniger an romantische Gefühle. Hier wäre weniger vielleicht dann ausnahmsweise doch mehr gewesen.

Doch Heynes Gesang versöhnt für diese kleinen Irritationen in der Inszenierung. Es ist wundervoll zu sehen, dass auch selten gespielte und durchaus anspruchsvolle Stücke wie „Der Graf von Monte Christo“ oder „Love Never Dies“ für Spielzeiten an Stadttheatern ausgewählt werden. Immer nur „My Fair Lady“ wäre auch wirklich zu langweilig. Danke für diesen Mut!

Michaela Flint

Theater: Theater Lüneburg
Besuchte Vorstellung: 1. März 2025
Darsteller:
Thomas Borchert, Navina Heyne, Oliver Arno, Kirsten Patt, Anna Langner, Steffen Neutze, Sascha Littig, Sarah Hanikel, Anneke Kramer / Lotta Wroblewski

Regie / Musik: Friedrich von Mansberg / Andrew Lloyd Webber
Fotos: Jochen Quast

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