home 2015 Sauberes US-Vorstadtmusical mit knackigem Überraschungseffekt

Sauberes US-Vorstadtmusical mit knackigem Überraschungseffekt

Als Nathan Leopold und Richard Loeb 1924 in Chicago wegen des Mordes an Bobby Franks festgenommen und zur lebenslanger Haft verurteilt wurden, ahnte wohl keiner, was wirklich hinter dieser Tat der so genannten „Thrill Killers“ steckte. In zahlreichen Filmen und Theaterstücken wurde diese dramatische Geschichte verarbeitet, doch Stephen Dolginoff war der Erste, der daraus ein Musical machte.

Seit seiner Uraufführung 2003 wurde das Kammermusical „Thrill Me“ auf allen Kontinenten in zahlreichen Produktionen gezeigt. Nun kommt es gleich in zwei Produktionen nach Deutschland: In Ahrensburg nimmt sich Musical Creations Entertainment des Stoffs am 23. Mai an. Und das Hamburger English Theatre zeigt das Musical in der aktuellen Spielzeit in einer Inszenierung von Paul Glaser – seines Zeichens selbst erfahrener Musicaldarsteller und Regisseur einer Vielzahl von Firmenveranstaltungen mit musicalischem Hintergrund.

Als Hauptdarsteller wurden Guy Woolf (Leopold) und Sebastian Hill (Loeb), zwei erfahrene britische Musical- und Theaterdarsteller, engagiert. Begleitet werden die beiden live am Piano von Gleb Pavlov.

Als Kulissen reichen schwarze Wände, zwei Holzkisten und ein exzellentes Lichtdesign (Geoff Humphrys), das die Bühne spielend von einem brennenden Lagerhaus in eine dunkle Gefängniszelle oder das Schlafzimmer von Richard verwandelt.

Die grausige Tat wird in Rückblenden erzählt: 1958 steht Nathan vor Gericht, um eine Begnadigung zu erwirken. Die Richter (hervorragend aus dem Off gesprochen von Ralph Fellows und Lee Peterson) sind unbarmherzig und wollen noch einmal jedes Details hören. Nathan erzählt, wie eng Richard und er von Anfang an befreundet waren. Dem Zuschauer wird schnell klar: Hier gibt es ein klares Abhängigkeitsverhältnis: Nathan liebt Richard so sehr, dass er alles für ihn tun würde. Richard hingegen weiß diese Zuneigung rücksichtslos für seine Geltungssucht auszunutzen.

Sowohl Woolf als auch Hill spielen ihre Rollen beklemmend: Hill gibt den arroganten, selbstherrlichen Richard, der immer auf der Suche nach einem noch größeren Kick ist. Woolf spielt den unterwürfigen, liebenden Nathan sehr mitleiderregend.

Das Stück ist vollständig durchkomponiert und Glasers Inszenierung lässt auch dem Zuschauer keine Zeit zum Luftholen: Gerade noch brennen die beiden Teenager ein Lagerhaus nieder und zumindest Richard erfreut sich am Ergebnis, da erschallen schon wieder enervierende Taktschläge auf dem Klavier und man findet sich im Gerichtssaal wieder.  Szenenapplaus wird so im Keim erstickt.  Dabei gäbe es hierfür reichlich Anlass:

Ob nun das von Hill herrlich oberflächlich gegebene „We will kill my brother“ oder „We’re both superior to all“, indem die Unterschiede der beiden Charaktere sehr akzentuiert auch im Gesang aufgezeigt werden – Dolginoff liefert mit „Thrill Me“ eine ganz feine Charakterstudie ab!

So klar die Story erscheint, so abrupt wandelt sich das komplette Bild im zweiten Akt: Nathan schildert dem Gericht, dass er bei dem Mord an Bobby nur mitgemacht hat, um den Rest seines Lebens gemeinsam mit Richard in einer Zelle verbringen zu können.  Natürlich hat er seine Brille mitnichten zufällig am Tatort verloren. Und den entsprechenden Deal für die gemeinsame Zelle hat er mit der Staatsanwaltschaft im Alleingang ausgehandelt. Mit einem Mal wird Nathan der Berechnende von beiden und Richard zum Opfer von Nathans bis ins kleinste Detail durchdachten Ränkespiel. Plötzlich bettelt Richard darum, dass Nathan ihn aus seinem sprichwörtlichen Griff entlässt und Nathan ist der, der die Regeln aufstellt. Wer hätte das gedacht?

Die Wandlung der Charaktere stellen Hill und Woolf sehr glaubhaft dar. Ihre Mimik, die Körperhaltung – alles ändert sich. Hat man in der Pause noch Mitleid mit dem armen Nathan gehabt, weiß man nun nicht mehr, ob man ihn abstoßend finden soll oder einfach nur hinterhältig.

Zum Schluss erfährt das Publikum, dass Richard schon nach einigen Jahren im Gefängnis umgebracht wurde und Nathan seit 20 Jahren in Einzelhaft sitzt. Doch Nathan wird begnadigt und darf 1958 das Gefängnis als freier, einsamer Mann verlassen.

Am Ende spenden die Zuschauer all den Applaus, den sie zwischen den Szenen nicht losgeworden sind. Dieser ist wahrlich mehr als verdient. „Thrill Me“ überzeugt in jeglicher Hinsicht: Die Sänger sind sehr gut, die Musik abwechslungsreich, die Dialoge sehr pointiert formuliert. Die Regie von Paul Glaser macht aus diesen Grundlagen ein gelungenes Gesamtpaket und schafft so ein „Must-See“ dieser Saison.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: English Theatre, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 2. Mai 2015
Darsteller: Guy Woolf, Sebastian Hill
Musik / Regie: Stephen Dolginoff / Paul Glaser
Fotos: English Theatre Hamburg