home 2017 Mitreißender Punkrock, eine charmante Story und wenig überzeugende Sänger

Mitreißender Punkrock, eine charmante Story und wenig überzeugende Sänger

„Loserville“ kennt hierzulande kaum jemand. Das Stück feierte im Oktober 2012 seine West End Premiere. Das Musical ist aus dem Album „Welcome to Loserville“ der Band „Son of Dork“ entstanden. James Bourne (Band-Mitglied bei „Son of Dork“ und „Busted“) sowie Elliot Davis haben die zugegebenermaßen klischeebehaftete Geschichte von Computer-Nerds sowie Highschool-Traumpaaren und deren Mitläufern für die Musicalbühne adaptiert, was ihnen sehr gut gelungen ist. Nicht nur musikalisch war die Richtung durch Bournes Punkrock- und Pop-Hintergrund festgelegt. Mit ihrem Album erzählten „Son of Dork“ im Prinzip auch schon die Geschichte von Michael, Holly, Lucas, Eddie und Leia, so dass für die Bühnenfassung eigentlich „nur noch“ die Charaktere kreiert werden mussten.

„Loserville“ spielt 1971 in einer Highschool. Michael, Lucas. Francis und Marvin sind Computerfreaks – auch „Geeks“ genannt. Michael hat bei Arch Industries an der Kommunikation zwischen vernetzten Computern gearbeitet. Da er sich dafür aber in Sicherheitssysteme gehackt hat, verliert er seinen Nebenjob und auch alle seine Aufzeichnungen dazu. Auch die beiden neuen PCs der Schule darf er zur Strafe bis auf weiteres nicht benutzen.

Holly, ein bildhübsches, hochintelligentes Mädchen, deren erklärtes Ziel es ist, die erste Frau im All zu werden, erhofft sich von einem Schulwechsel, dass sie um ihrer Selbst willen wahrgenommen wird und nicht bloß wegen ihres Aussehens. Um hier auf Nummer Sicher zu gehen, kleidet sie sich entsprechend wie ein Mauerblümchen. Ihre Strategie hat Erfolg und schnell freundet sie sich mit Lucas und Michael an, die sie in ihre Pläne der netzwerkbasierten Kommunikation einweihen. Natürlich verlieben sich beide Jungs in Holly, was zu den zu erwartenden Verwerfungen führt. Holly entscheidet sich für Michael, was Lucas sehr frustriert, da er nun ganz allein dasteht: Michael hat Holly, Francis und Marvin tüfteln an ihrem Projekt für die Science Fiction Convention, und die anderen Kids interessieren sich eh nicht für den kreativen Jungautor, der an einer Geschichte über Sternenkriege arbeitet. Sternenkrieg? Leia? Klingelt da was?

Dann gibt es noch Eddie, einen egozentrischen, ziemlich hohlen Schönling, der nur auf seine Karriere bei Arch Industries, der Firma seines Vaters, aus ist, und Leia, eine oberflächliche Blondine, die in Eddie ihren Ehemann und den Vater ihrer Kinder sieht. Natürlich haben beide das übliche, speichelleckende Gefolge.

Zugegeben, die Charaktere sind wandelnde Abziehbildchen von 1970er Jahre Highschool-Kids, doch ehrlich gesagt funktionieren diese wenig komplexen Figuren in der klischeebeladenen Handlung sehr gut.

Als Hollys Geheimnis entdeckt wird, erpresst Eddie sie kurzerhand, um dem drohenden Militärdienst zu entgehen. Holly ringt mit sich und möchte Michael nicht verlieren, doch sie fügt sich. Sie löst das Kommunikations-Problem (ohne Adresse kann eine Nachricht nicht zugestellt werden). Doch auf der finalen Pressekonferenz lässt sich Eddie auflaufen. Sie hatte zuvor Michael gebeten, dass er die erste Nachricht absendet, damit diese dann live während der Pressekonferenz ankommt, noch bevor Eddie sich mit fremden Lorbeeren schmücken kann. Der Plan geht auf, Michael verzeiht Holly, Lucas entdeckt in Leia eine Prinzessin und alle (bis auf Eddie) sind glücklich: „Die Schöne und der Geek verändern die Welt!“

Das Bühnenbild (Britta Lammers) in der Wartburg, dem ehemaligen Saal des Wiesbadener Männergesangsvereins, ist sehr spartanisch und dennoch effektvoll: Auf dem Boden führen Reihen aus Binärcodes zu einem zentralen Punkt, im Hintergrund prangt eine mit zahlreichen, durch Kabel miteinander verbundene Bildschirmen dekorierte Wand. Das Spielgeschehen findet hauptsächlich auf und vor dem Podium statt, zu dem bei Bedarf noch bis zu drei Computerarbeitsplätze (ebenfalls sehr liebevoll gestaltet) hinzugefügt werden.

Iris Limbarth zeichnet für die Regie dieser Deutschlandpremiere verantwortlich und hat mit 14 Nachwuchsdarstellern des Jungen Staatsmusicals Wiesbaden ein großes Ensemble, von dem alle drei Sparten des Musicalfachs verlangt werden: So simpel die Charaktere auch gestrickt sein mögen, so schwierig ist die Gratwanderung, diese nicht ins Lächerliche abdriften zu lassen. Dies gelingt allen Darstellern sehr gut. Schwieriger war es aber offenbar die Einsätze in den vielen von Dialogen unterbrochenen Songs zu treffen. Hier hakt es mehrmals im Laufe des Abends.

Choreographisch versucht Myriam Lifka den Punkrock-Songs gerecht zu werden, in dem sie viel Bewegung in die Ensemblenummern steckt. Die Tanzfolgen an sich sind nicht sehr anspruchsvoll, doch in der Menge und der notwendigen Geschwindigkeit kommen die jungen Tänzerinnen und Tänzer doch so manches Mal aus dem Tritt. Während das Ensemble mit seiner Energie bei der Eröffnungsnummer „Die Zukunft fängt schon an“ noch überzeugen kann, lässt das Niveau in den weiteren Tanzszenen („So ein Loser“, „Ticket aus Loserville“) doch stark nach.

Auch gesanglich war bei dieser Besetzung noch deutlich Luft nach oben. Maja Dickmann hat als Holly hier das deutlichste Ausrufungszeichen gesetzt: Sie hat eine tolle Ausstrahlung und verleiht ihrem Part als verkanntes Talent Nachdruck („Schlau und auch noch schön“).

Mike Burs gibt einen sehr selbstherrlichen Eddie, dem kaum auffällt, wenn er von anderen hochgenommen wird. So gut Burs spielt, so wenig kann er gesanglich überzeugen. In Sachen unangenehmes Selbstbewusstsein steht ihm Lisa Krämer als Leia in nichts nach. Auch sie gängelt vermeintlich unangepasste Mitschüler, wo sie nur kann und ist über alle Maßen von sich selbst überzeugt. Doch auch hier bleibt stimmlich nichts haften.

Die Freunde Michael und Lucas werden von David Rothe und Nils Hausotte gegeben. Rothe konnte schon in der vergangenen Spielzeit als Moritz in „Frühlings Erwachen“ überzeugen und so verwundert er wenig, dass er auch den Nerd mitsamt seiner verwirrenden Gefühlswelt gut über die Rampe bringt. Von den Männern ist er gesanglich noch der Stärkste, auch wenn es auch bei ihm noch viel Licht und Schatten gibt. Hausotte nimmt man den verletzten, frustrierten Geek sofort ab, allerdings wird er den Anforderungen, die die Rolle gesanglich an ihn stellt, nicht gerecht.

Tontechnisch war am Abend der besuchten Vorstellung der Wurm drin, denn die sechsköpfige Live-Band klang sehr dumpf und die Darsteller waren phasenweise überhaupt nicht zu verstehen. Dass hat dieser mitreißenden Show durchaus einen Dämpfer verpasst, denn Punkrock lebt von pointierter Akustik, die in der Wartburg fehlte.

Trotz dieser offensichtlichen Schwächen wird das Publikum mit „Loserville“ aber sehr gut unterhalten, wozu auch nicht zuletzt die zeitgemäß übersetzten Dialoge und Songtexte von Christian Poewe beitragen.

Das Stück ist ideal für Aufführungen mit jungen Künstlern, da diese sich auch sehr gut mit Themen wie erste Liebe, Berufswahl oder Mobbing identifizieren können. Auch die moderne Musik passt sehr gut zu Nachwuchs-Inszenierungen. Und davon gibt es ja in Deutschland nicht wenige. Insofern werden wir „Loserville“ sicherlich auch hierzulande in Zukunft häufiger sehen.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Wartburg, Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 12. März 2017
Darsteller: Camillo Guthmann, David Rothe, Nils Hausotte, Christian Sattler, Maja Dickmann, Daniel Weldemann, Mike Burs, Fabian Kastl
Musik / Regie:  Elliot Davis & James Bourne / Iris Limbarth
Fotos: Bettina Müller