home 2005 Eine etwas andere Liebesgeschichte – großartig umgesetzt

Eine etwas andere Liebesgeschichte – großartig umgesetzt

Die Liebe – vor allem die unglückliche Liebe – war schon Stoff für unzählige Theaterstücke und Musicals. Warum also Jason Robert Brown mit „Die letzten 5 Jahre“ noch ein weiteres Werk mit diesem Thema schaffen musste, erklärt sich in erster Linie dadurch, dass er auch mithilfe dieses Musicals seine gescheiterte Ehe verarbeitet hat. Das zunächst erfolgreiche Aufführungsverbot durch seine Ex-Frau ist ein eindeutiges Indiz hierfür.

Muss man sich aber die emotionale Leidensgeschichte eines künstlerisch sehr erfolgreichen Broadway-Komponisten und –Autoren auf einer Bühne ansehen? Oh ja, man muss. Zumindest sollte man es. Denn dieses Musical nicht gesehen zu haben, wäre für alle Freunde des intelligenten Musiktheaters ein Fauxpas. Abwechslungsreiche Musik, durchdachte Texte und wandlungsfähige Darsteller – was will man mehr?!

In zwei gegenläufigen Handlungssträngen durchleben Cathy und Jamie ihre 5jährige Beziehung.

Das besondere an diesem Musical ist, dass Jamie – ein aufstrebender Buchautor – die 5 Jahre von der ersten Begegnung bis hin zur Trennung erlebt, während Cathy – eine Jungschauspielerin auf dem steinigen Weg nach oben – zu Beginn des Stücks vor den Scherben ihrer Ehe steht und ihr letzter Song im 2 Akt mit sprichwörtlichen Herzchen in den Augen und Schmetterlingen im Bauch von der großen Liebe kündet, die sie in Jamie gefunden zu haben glaubt.

„Die letzten 5 Jahre“ werden in kurzweiligen Episoden erzählt, von denen die beiden Hauptdarsteller in den knapp eineinhalb Stunden (ohne Pause) nur eine gemeinsame Szene haben („Die nächste Stunde“).

Mit Charlotte Heinke (Cathy) und Patrick Stanke (Jamie) wurden zwei Darsteller gefunden, die den beiden Figuren einen glaubhaften Charakter verleihen. Beide zeigen die gesamte emotionale Palette, die das Schauspiel hergibt und sind in jeder Sekunde überzeugend: Vom ersten Verliebtsein über den schleichenden Alltag, den ersten Streit bis hin zu Misstrauen, Selbstzweifel und Ehebruch ist alles vertreten.

Die 14 Songs scheint Jason R. Brown den beiden Protagonisten auf den Leib geschrieben zu haben. Obwohl das Stück schon vor mehr als vier Jahren seine Uraufführung feierte, scheint die Besetzung der Deutschlandpremiere ideal. Trotz einer nur sehr knappen Probenzeit von fünf Wochen hat für „Die letzten 5 Jahre“ ein perfektes Bühnenpaar zusammen gefunden.

Den schwierigeren Part hat Charlotte Heinke, die von 0 auf 100 gehen muss, das sie direkt im Eröffnungsstück ihren ganzen Trennungsschmerz zum Ausdruck bringt („Ich steh‘ weinend da“). Patrick Stanke hat es da deutlich leichter, denn er gibt zu Beginn den lebensfrohen, frisch verliebten Sunnyboy und steigert sich über seine folgenden sieben Songs zum resignierenden Ehebrecher, der seine Ehe aufgibt.

Je nachdem welcher Geschichte man mehr folgen mag: Alle Szenen bauen schlüssig aufeinander auf. Gestützt wird die Liebes- und Leidensgeschichte von Cathy und Jamie durch ein wirklich hervorragendes Bühnenbild (Tom Grasshof), dessen zerbrochener Bilderrahmen den Blick auf eine Leinwand mit Fotos aus glücklicheren Tagen des Paars freigibt. Weitere Kulissen dieser ganz in weiß gehaltenen Bühne sind vier Kisten, aus denen Stanke und Heinke die jeweiligen Requisiten hervorzaubern, die sich aber wahlweise auch in ein Bett oder weihnachtliches Wohnzimmer verwandeln lassen. Der besondere Clou ist jedoch das Multimedia-Design von Sönke Feick und Movie-Supervisor Mark Falk, mit dem einige dieser Fotos zum Leben erweckt werden und so die Hochzeit der beiden greifbar macht. Eine kleine Anmerkung am Rande: Der Pastor, der die beiden Brautleute aus der Kirche geleitet, ist Claus-Ulrich Heinke, der Vater von Cathy-Darstellerin Charlotte Heinke.

Diese enge Verbundenheit und das verzahnte Zusammenarbeiten machen diese Show so besonders. Jedes kleine detail wurde liebevoll aufbereitet. Einzig die Kostümabteilung (Alice Nierentz) gibt Rätsel auf: Während Jamie in modernem Look durch „Die letzten 5 Jahre“ geht, kommt Cathy im brav-biederen 50er Jahre Stil daher. Den Grund hierfür kann man nur raten, denn auch die sonstigen Requisiten wie beispielsweise Handys erlauben keinen logischen Rückschluss auf eine Platzierung der Handlung in den 50er Jahren.

Musikalisch wird von romantischen Balladen über energie-geladene Uptempo-Nummern alles geboten und von der 7-köpfigen Band (Leitung: Fred Van Straten) jederzeit durchdringend begleitet. Als Musical Supervisor fungierte Sebastian DeDomenico, der Musikalische Leiter von „Mamma Mia!“ in Hamburg.

Charlotte Heinkes klare Stimme ist ein Genuss und ihr komödiantisches Talent macht ihr so schnell keiner nach. Ihre Kissenschlacht mit ihrem imaginären Bettgefährten ist genauso erfrischend wie „Ein Sommer in Ohio“, wo sie die nicht wirklich vorhandenen Vorzüge von Ohio gegen die Metropole New York, in der ihr Freund arbeitet, aufrechnet. Großartig ist auch ihr von Selbstzweifeln auf der einen und Motivationsschüben auf der anderen Seite strotzendes „Ich komm voran“, das sie anlässlich einer Audition zum Besten gibt.

Dass Patrick Stanke ein größeres Publikum für sich einnehmen kann, muss er nicht mehr beweisen. Dass er vor heimischem Publikum in dem ca. 100 Plätze fassenden Rex-Theater auch ohne technische Verstärkung besteht, bewies er bei der Premiere eher unfreiwillig. Nach knapp der Hälfte des Stücks fiel sein Mikrophon irreparabel aus und Patrick Stanke füllte den Saal des ehemaligen Kinos ohne jegliche Hilfsmittel. Diese Leistung zollte den Zuschauern Respekt ab, vor allem wenn man berücksichtigt, dass in dem kleinen Studiotheater ohnehin schon Saunatemperaturen herrschten.

Großartig ist Stankes Power als ihm sein plötzlicher Erfolg zu Kopf zu steigen droht („Es geht ein bisschen zu schnell“). „Der Schmuel-Song“, ein Märchen über den Schneider Klimovich, dass Jamie seiner Angebeteten zum Heiratsantrag schenkt, wird von Patrick Stanke sehr sympathisch und gar nicht „schlimmowitsch“ erzählt. Viel Gefühl zeigt der gebürtige Wuppertaler vor allem in der Schlussszene, wo er einsehen muss, dass er mit Cathy nicht zusammenpasst („Ich konnte nie Dein Retter sein“).

Abgesehen von der zugegebenermaßen vom Tontechniker etwas unglücklich betonten Panne (er kreuzte mitten im Stück die Bühne und versuchte das Problem zu lösen), war die Professionalität in „Die letzten 5 Jahre“ allgegenwärtig. Die Idee zur Umsetzung dieses 2-Personen-Stücks hatten Christoph Drewitz und Daniel Witzke, die bei vielen kleineren und größeren Musicalproduktionen Erfahrungen in den Bereichen Regie, Stage Management und Künstlerische Leitung sammeln konnten. Sie haben als Team sehr gut funktioniert und unterhalten die Zuschauer auf anhaltend hohem Niveau. Sicherlich spielt hierbei auch eine Rolle, dass für diese an sich intime Geschichte ein Theater gefunden wurde, in dem die Bühnenkünstler zum Anfassen nah sind.

Die Texte wurden von Wolfgang Adenberg ins Deutsche übertragen, der erneut unter Beweis stellte, dass er mit seinem Handwerkszeug umzugehen weiß. Liebevoll arrangierte Monologe und Songtexte trugen maßgeblich zum Gelingen des Abends bei. Charlotte Heinke war auf der anschließenden Premierenfeier kaum zu bremsen: „Ich liebe dieses Stück und die Musik von Jason R. Brown. Die englischen Texte sind einfach großartig – ich hätte nicht gedacht, dass das auf Deutsch funktionieren würde. Aber Wolfgang Adenberg hat die Inhalte perfekt übersetzt.“ sprach’s und schloss den so gelobten Kollegen fest in die Arme. Wolfgang Adenberg konnte bei aller Bescheidenheit seinen Stolz auf diese Produktion nicht verbergen: „Ich glaube, dass ich die wichtigste Premiere dieser Spielzeit.“ Warum sollte er auch – dieses Musical ist es allemal wert, darauf stolz zu sein.

Wenn man bedenkt, dass es sich bei „Die letzten 5 Jahre“ um eine Low Budget Produktion handelt, die zwar von der Stage Holding mit Know-How unterstützt wurde, ansonsten aber komplett auf sich allein gestellt war, kann man nur hoffen, dass sich weitere Produzenten und Theaterschaffende den Mut finden, solche Shows in ihren Spielplan mit aufzunehmen.

Die Vorstellungen von „Die letzten 5 Jahre“ in Wuppertal waren schon vor der Premiere am 18. Juni ausverkauft. Von 8.-10 Juli ist das Stück im Rahmen der Wetzlarer Festspiele zu sehen. Weitere Spielstätten wie beispielsweise das Schlosstheater Berlin oder die Stage Studios in Hamburg sind in Planung, stehen jedoch noch nicht endgültig fest.

Was aber laut Christoph Drewitz so gut wie sicher ist, ist die Produktion einer CD: „Wir wollten erst einmal die Premiere hinter uns bringen und kümmern uns jetzt um alles weitere. Wir reden gerade mit einigen Produzenten und sind zuversichtlich, dass die CD zu „Die letzten 5 Jahre“ bis zum Herbst fertig sein wird.“ Wenn das keine guten Aussichten sind…

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Rex-Theater, Wuppertal
Premiere: 2005
Darsteller: Charlotte Heinke, Patrick Stanke
Texte / Musik: Wolfgang Adenberg / Jason Robert Brown
Fotos: Frank Struck