Michaela Flint: Wie fühlt man sich als Darsteller im zurzeit erfolgreichsten deutschen Musicals?
Peggy Pollow: „Es ist super, ein richtiger Traumjob. Wir sind jeden Abend ausverkauft und haben immer Standing Ovations. Ich habe fast schon ein bisschen Angst, was danach für mich kommt – man hört von seinen Kollegen, dass viele Häuser nicht jeden Tag ausverkauft sind… Ich glaube, ich bin durch diese Produktion ein bisschen verwöhnt worden.“
Frank Logemann: „Auch nach zwei Jahren finde ich es noch spannend. Ich kann mir zwar auch andere Rollen vorstellen, aber erst einmal kann es ruhig so weitergehen. Es ist schon selten, dass man nach zwei Jahren immer noch vor ausverkauftem Haus spielt. Es ist selten der Fall, dass man Menschen für einen Abend glücklich machen kann und viele Zuschauer, die einem im täglichen Leben begegnen, bedanken sich dafür. Das ist schon sehr einzigartig.“
Für Peggy Pollow ist „Mamma Mia!“ das erste Musical-Engagement überhaupt. Nie hätte sich die sympathische Berlinerin träumen lassen, dass sie einmal in der Hauptrolle der Sophie auf der Bühne stehen würde, als sie sich im vergangenen Jahr nach dem Weggang von Florence Kasumba zu „Aida“ auf deren Rolle als Lisa bewarb. Doch die Kreativen erkannten das Potential der leidenschaftlichen Tänzerin auf Anhieb.
Peggy Pollow erinnert sich: „Als der Regisseur aus London mir sagte, ich solle einige Lieder von Sophie einstudieren und vorsingen, war ich ziemlich perplex. Denn ich bin Tänzerin; das habe ich von klein auf an gelernt. Erst seit zwei Jahren singe ich. Ich hatte keine Ahnung, dass man mich für die Erstbesetzung engagieren wollte und ging bis zum Schluss davon aus, dass ich für einen Cover von Sophie vorgesungen hatte.“
Nachdem sie die Zusage für die Hauptrolle bekommen hatte, intensivierte sie nicht nur ihr Gesangstraining, sondern musste sich auch von ihren
schönen, langen Haaren trennen. „Ich wusste sofort, dass das auf mich zukommen würde. Alle Sophies haben kurze Haare. Am Anfang war das natürlich ungewohnt und ich habe mich gefragt, wer mich da aus dem Spiegel anschaut, aber inzwischen fühle ich mich sehr wohl damit – auch, weil es sehr viel pflegeleichter ist.“
Auch für Frank Logemann sind es unter anderem optische Gründe, die den Reiz an „Mamma Mia!“ ausmachen: „Ich habe den Vertrag nur unterschrieben, damit ich das gelbe Kostüm im Finale einmal anziehen kann,“ lacht er, „denn es passt so gar nicht zu dem, was ich bisher gemacht habe.“ Fachlich abgeklärt, führt er auch die Musik als Beweggrund an, weshalb er jeden Abend immer wieder gern auf der Bühne des Operettenhauses steht: „Ich bin kein Abba-Fan und habe die Musik erst hier so richtig kennen gelernt. Besonders, wenn man sie am Klavier spielt, bemerkt man, dass viele Songs klassisch basiert sind. Wenn eine Band die Stücke spielt, wird das nicht so deutlich, aber für mich war genau das ausschlaggebend.“ Darüber hinaus stellt Frank Logemann klar, dass ihn das Buch von Anfang an sehr fasziniert hat: „Es ist im Musicalbereich wirklich selten, dass man ein Buch liest, dass Hand und Fuß hat. Es wurde von den Autoren immer wieder überarbeitet und zurückgegeben, bis eine wirklich sehr gute Geschichte entstanden war. Zudem ist es hervorragend übersetzt und ermöglicht mir als Schauspieler viele Herangehensweisen, weil es durchdacht ist. Mit fällt immer wieder eine Kleinigkeit auf, wo ich etwas ändern kann. Im Schauspiel hat man unendlich viele Variationen einen Satz auszusprechen – da lerne ich nie aus und langweilig wird es auch nicht. Und hier spiele ich so häufig, dass ich fast jede einmal ausprobieren kann.“
Für die quirlige Peggy Pollow stehen der Spaß und die einmalige Gelegenheit, ihre Hobbies zum Beruf zu machen, im Vordergrund: „“Mamma Mia!“ ist eine lustige Show, ein richtiges Gute-Laune-Stück. Ich mag zwar auch „Les Misérables“, aber um acht Mal pro Woche zu sterben, bin ich dann doch zu nah am Wasser gebaut. Auch bei uns gibt es traurige Szenen, aber zum Schluss wird alles gut.“
Diese Energie ist ansteckend – und sie wird auch auf der Live-Aufnahme der Hamburger Produktion transportiert. Für beide Darsteller ist es die erste CD-Aufnahme in einer Hauptrolle und mit entsprechend vielen Soli. Dass die CD lange überfällig war, steht außer Frage. Mit dem Ergebnis sind beide sehr zufrieden, auch wenn sie betonen, dass man bei Live-Einspielungen gewisse Abstriche machen muss.
Peggy Pollow: „Ich mag mich selbst nicht so gern hören, aber ich finde die CD klasse. Schade ist, dass man bei einigen wenigen schiefen Tönen nicht hört, dass wir in dieser Szene über die Bühne tanzen. Wenn man die Show noch nicht gesehen hat, wirkt das schon etwas anders als wenn die CD im Studio bearbeitet worden wäre.“
Frank Logemann: „Es stimmt schon, bei einer Live-Aufnahme hört man selten lupenreinen Gesang. Ich habe bei meinen beiden großen Songs das Glück, dass ich relativ still auf der Bühne stehe. Ich hätte im Studio auch nichts anderes gemacht. Eine Live-Einspielung von dieser Show ist genau das richtige und ich finde die Qualität von Klang und Sound deutlich besser als bei der englischen Studio-Aufnahme.
Lustig ist, dass meine kleine Tochter, die zwar noch nicht sprechen kann, schon sehr genau weiß, dass Lied Nummer 5 auf dem CD-Player ‚Mamma Mia!’ ist. Jetzt höre ich die Musik also Tag und Nacht.“
Seitdem die CD auf dem Markt ist, kann sich auch das Publikum intensiv mit den deutschen Texten auseinandersetzen. Frank Logemann sieht hierin eines der Erfolgsgeheimnisse: „Keiner konnte sich vorstellen, dass Abba auf deutsch funktioniert und dann redete jeder darüber, dass es doch geht. Genau das ist der Grund, weshalb wir so gut verkauft sind.“ Beide Darsteller haben schon kurze Zeit nachdem sie die deutschen Songtexte gelernt hatten, festgestellt, dass die Originaltexte immer mehr in Vergessenheit geraten. Während Frank Logemann vollkommen unvorbelastet an die Texte heranging („Ich kannte die Abba-Lieder nicht wirklich.“), hat Peggy Pollow die neuen Texte dem ultimativen Praxistest unterzogen: „Kurz nachdem wir das Textbuch bekommen hatten, habe ich mir die englische CD geholt. Die Texte passten genau und ließen sich sofort mitsingen. Heute ist es so, dass mir die englischen Texte gar nicht mehr einfallen. Wenn ein Abba-Titel im Radio läuft, singe ich die Songs nur noch auf deutsch mit.“
Wenn es um Lieblingssongs oder -szenen bei „Mamma Mia!“ geht, winkt Frank Logemann gleich ab: „Mit Lieblings-Fragen habe ich es nicht so. Das schöne an diesem Stück ist, dass Musik und Story einen immer noch mitreißen.“ Seine junge Kollegin wird da konkreter und benennt „Leg Dein Herz an eine Leine“ als ihre liebste Szene: „In dieser Szene sind wir ein bisschen freier und können improvisieren. Jörg Neugebauer (Sky) und ich versuchen jeden Tag ein paar Kleinigkeiten zu variieren.“ Diese Flexibilität genießt allerdings auch Frank Logemann, auch wenn er seine Rolle als den Spielverderber des Abends bezeichnet: „Immer wenn es gerade lustig wird, komme ich auf die Bühne und muss ernst sein. Gerade in der Hochzeitsszene ist es sehr gefährlich: Da passiert es immer wieder, dass die anderen kleine Scherze machen, aber ich habe sehr viel Text und weiß genau, wenn ich einmal anfangen würde zu lachen, wäre die Szene verloren. Deshalb spiele ich da auch immer sehr strikt und konzentriert. Auch „Der Sieger hat die Wahl“ ist solch eine ernste Szene: Wenn einer von uns auch nur anfangen würde zu lächeln, würden wir uns gegenseitig so hochschaukeln, dass wir die Szene nicht mehr spielen könnten. Dafür gibt es andere Szenen, in denen ich mir kleinere Variationen erlaube. Aber da beschränke ich mich eher auf die Tanzchoreographien, die die armen Tänzerinnen dann leider von mir – Deutschlands unbegabtesten Tänzer – nachmachen müssen. Da mache ich mir dann meistens einen Spaß daraus, irgendwas besonders absurdes zu machen.“
Auch Peggy Pollow kann etwas zum Thema Bühnenpannen beisteuern: „Einmal bin ich in das Hochzeitskleid eingestiegen, habe es hochgezogen und hatte nur die Schärpe in der Hand. Carolin Fortenbacher muss als meine Mutter Donna dann sagen „Schau Dich an!“ Aber sie konnte vor Lachen kaum sprechen, weil ich nur in Schärpe und Unterrock vor ihr stand.“
Kann Peggy Pollow als eines der jüngsten Ensemble-Mitglieder von den Erfahrungen ihrer Kollegen profitieren? „Ja, ich kann mir viel abgucken. Das fängt bei den Proben an, wo ich gelernt habe, dass es sehr sinnvoll ist, am Anfang ein Aufnahmegerät bei sich zu haben. Auch heute sitzen wir oft in der Kantine und die anderen erzählen von ihren früheren Engagements.“ Gerade mit Frank Logemann hat sie einen sehr vielseitigen Kollegen an ihrer Seite, der schon parallel zu seinem Marketing-Studium mit Schauspielen anfing. „Irgendwann musste ich mich aber entscheiden, ob ich erst mit 50 auf die Bühne will oder direkt ins kalte Wasser springe und später wieder zurückgehe. Eine Zeitlang habe ich tagsüber für RTL gearbeitet, teilweise sogar in Luxemburg, und stand abends in Köln wieder auf der Bühne. Das war anstrengend, aber schön. Ich bin nach einem 16-18 Stunden Tag immer mit einem Lächeln im Gesicht eingeschlafen, doch irgendwann hat mein Körper mir eindeutig gezeigt, dass ich mich entscheiden muss. Damals habe ich mich für „Les Misérables“ entschieden: 100% und ausschließlich Musical. So habe ich mit 30 Jahren mein erstes Engagement bei einem Bühnenmusical angenommen.“
Beide stehen als potentieller Vater Sam und Tochter Sophie acht Mal pro Woche auf der Bühne, Frank Logemann ist auch im richtigen Leben zweifacher Familienvater – bleibt da noch Zeit für Hobbies?
Peggy Pollow: „Ja klar. Ich spiele sehr gern Volleyball, aber das musste ich sehr stark einschränken, weil die Verletzungsgefahr zu hoch ist. Aber als hyperaktiver Mensch brauche ich einen Ausgleich. Deshalb habe ich mit Yoga angefangen, um mich ein bisschen zu beruhigen und mache jetzt jeden Tag Übungen wie den Sonnengruß.“
Frank Logemann: „Meine eigentlichen Hobbies sind auch von der Musik bestimmt. Ich habe hier in meiner Garderobe Laptop, Keyboard, Gitarren und Mikro – und so arbeite ich im Studio zuhause und hier im Theater. Seit zwei Jahren schreibe ich an einem eigenen Musical. Da fallen dann auch immer mal wieder Pop/Rock-Songs an, die nicht in das Schema passen. Was davon eher rauskommt, das Musical oder eine CD, weiß ich noch nicht. Im letzten halben Jahr ist in dieser Beziehung viel passiert und ich hoffe, dass das Stück in einem Jahr fertig ist und auch möglichst schnell auf die Bühne kommen kann. Wir werden sehen.“
Während Peggy Pollow sich also mit fernöstlichen Entspannungsübungen einen Ausgleich verschafft, sorgt Frank Logemann auf andere Weise für Ablenkung: „Ich habe vor einem halben Jahr in Dessau und Detmold wieder den Jean Valjean gespielt. Das war nach fünf Jahren und mit einer extrem kurzen Probenzeit eine sehr große Herausforderung. Aber es hat einen Heidenspaß gemacht. Das liegt vor allem daran, dass es meine Lieblingsrolle in meinem Lieblingsstück ist. Es gibt wenige Rollen, in denen man in drei Stunden auf der Bühne ein komplettes Leben darstellen kann. Ich werde das hoffentlich auch in Zukunft immer mal wieder spielen können.“
Die Beliebtheit von „Mamma Mia!“ zieht sich auch durch das Privatleben der Künstler. So kommt es durchaus vor, dass Frank Logemann auf dem Spielplatz von anderen Eltern angesprochen wird: „Da wir auf der Bühne alle sehr sympathisch dargestellt sind, trauen sich die Leute auch, uns anzusprechen. Es gab noch nie unangenehme Situationen, auch wenn ich auf der Straße erkannt werde, ist der Zuspruch immer positiv.“ Peggy Pollow ergänzt: „Die Fans sind sehr wichtig. Einige kommen ganz häufig her und sitzen immer auf den gleichen Plätzen. Es ist schön, wenn man hinguckt und sie wieder sieht. Wenn man einen Texthänger hätte, bräuchte man nur dorthin schauen und die würden einem dann schon den richtigen Text sagen, denn sie singen ja alles mit. Wir treffen unsere Fans auch oft Bühneneingang und unterhalten uns mit ihnen. Für uns sind die Gespräche schon von Bedeutung, weil wir von den Fans viel Feedback bekommen.“
Vor kurzem feierte eine zweite „Mamma Mia!“-Produktion in Stuttgart Premiere. Dass die Kopie bei den Hamburger Darstellern zunächst kritisch aufgenommen wurde, ist verständlich:
Peggy Pollow: „Als wir das erfahren haben, waren wir sehr erstaunt. Es ist das erste Mal, dass eine Show in Deutschland zweimal gespielt wird. Aber es hat sich auf unsere Verkaufszahlen nicht ausgewirkt. Außerdem haben viele meiner Kollegen und Freunde dort eine Rolle bekommen. Das freut mich natürlich sehr für sie.“
Frank Logemann: „Wir fanden das natürlich zuerst wenig kreativ, aber die haben in Stuttgart ihr ganz eigene Inszenierung gefunden. Das sagen zumindest alle, die es gesehen haben. Sie spielen das Stück wieder ein wenig anders als wir und das ist wahrscheinlich das reizvolle für alle Beteiligten.“
Zurzeit wird der Alltag im Operettenhaus durch die Proben für die am 27. September stattfindende Benefizgala zu Gunsten des Hamburger Kinder-Hospizes „Sternenbrücke“ bestimmt. „Normalerweise ist das Sign-In eine Stunde vor Showbeginn,“ erklärt Peggy Pollow, „aber zurzeit sind wir häufig schon am Nachmittag hier, um die wirklich sehr unterschiedlichen Songs wie den ‚Cellblock Tango’ aus „Chicago“ oder den ‚Boogie Woogie Bugle Boy’ von den Andrews Sisters zu proben.“
Für beide Darsteller ist ihr Engagement bei „Mamma Mia!“ ein Glückstreffer und sie fühlen sich sehr wohl im Operettenhaus. Kein Wunder also, dass sie gern noch eine weitere Saison als Vater und Tochter auf der Bühne stehen würden.
Mehr Informationen unter www.peggy-pollow.de und www.franklogemann.de
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical