home 2016 Kurzweilige Unterhaltung, in der sich jeder irgendwo wiederfindet

Kurzweilige Unterhaltung, in der sich jeder irgendwo wiederfindet

Jimmy Roberts und Joe DiPietros vielfach ausgezeichnetes Musical über die Spielarten der Partnerschaft braucht nur wenig inszenatorischen Aufwand, um zu begeistern. Die Songs sind abwechslungsreich, und die konstant wechselnden Charaktere sind trotz ihrer Überzeichnung so erfrischend normal, dass man sie einfach mögen muss.

Lediglich sechs Darsteller schlüpfen in mehr als 40 Rollen und decken von Dating Shows über den ersten Sex, Hochzeiten, das leidige Elternsein und das Alter den kompletten, zugegebenermaßen sehr klischeebehafteten Lebenszyklus einer modernen Partnerschaft ab.

Da sind die emanzipierte Immobilienmaklerin und der erfolgreiche IT-Manager, der „Hengst“ und die Blondine, die aufdringliche „Freundin“, die ihren Tennispartner um jeden Preis erobern will, die Eltern, die den perfekten Lebensweg für ihren Sohn geplant haben und erschüttert sind, als dieser plötzlich eigene Entscheidungen trifft. Nicht zu vergessen die frisch gebackenen Eltern, die irgendwie die schon fast gänzliche verschüttete Libido wieder zum Leben erwecken wollen (super gespielt von Mariella Köhlert und Benjamin Geipel), die Single-Frau, die immer Brautjungfer, aber niemals die Braut ist, und schlussendlich der Witwer, der alleinstehende ältere Damen auf Beerdigungen aufreißt. Die Vielfalt an Persönlichkeiten ist schier endlos.

Sechs Nachwuchsdarsteller des Jungen Staatstheaters Wiesbaden schlüpfen in die so unterschiedlichen Rollen – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Die Ouvertüre bestreiten sie im Bademantel und sie ziehen sich erst im

Laufe der ersten Minuten vollständig an. Begleitet werden sie von Michael Geyer am Piano und der Cajon. Mehr braucht es für einen unterhaltsamen Abend nicht.

Natürlich können nicht alle sechs in jeder Rolle vollends überzeugen, doch jeder hat sein besonderes Highlight. Anna Heldmaier setzt mit „Männernotstand“ direkt mal ein Ausrufezeichen. Gesanglich nicht 100%ig überzeugen, macht sie aber mit ihrer ausdrucksstarken Mimik vieles wett. Klasse sind auch Constanze Kochanek und Tim Speckhardt in der „Lasagne-Szene“. Der sprichwörtliche „Idiotenknopf“ wird von Kochanek mit sehr viel komödiantischem Talent bedient. Beide sind herrlich unsicher im Umgang miteinander, da stört es dann auch wenig, dass „Ich werd’ geliebt“ etwas unsicher dargeboten wird.

Wenn Anna Heldmaier und Rainer Maaß als Eltern mit ansehen müssen, dass ihnen ihr Sohn anstatt einer Verlobung eine Trennung verkündet, ist ihre Reaktion urkomisch. Heldmaier als Mutter ist schon fast etwas zu entrüstet und Maaß guckt als Vater herrlich bescheuert und geschockt aus der Wäsche.

Auch zwei Puppen (gespielt und gesungen von Anna Stecking und Fabian Kastl) geben ihr Wissen an die Zuschauer weiter: Der „Penis-Song“ geht zwar schwerlich als jugendfrei durch, lehrreich ist er jedoch allemal. Außerdem lernt das Publikum, dass man sexuelle „Nicht-Befriedigung“ ganz vortrefflich mithilfe von Anwälten lösen kann. Alle vier Darsteller spielen in dieser Szene herausragend!

Immer wieder lernt das Publikum verzweifelte Singles kennen, die sich von einer Dating Show (moderiert von Benjamin Geipel) die große Liebe erhoffen. Natürlich klappt dies nicht, aber wenn ein Insasse des „Hessischen Staatsgefängnisses“ (Tim Speckhardt) zwei eigentlich gar nicht aneinander interessierte Singles (Mariella Köhlert, Rainer Maaß) mit Waffengewalt zu ihrem Hochzeitsglück zwingt, ist das einfach herrlich abstrus.

Der bekannteste Song dieser Show ist „Brautjunger immer, niemals die Braut“. Constanze Kochanek glaubt man sofort, dass ihr das Brautjunger-Dasein auf den Keks geht. Ihr Cocktailkonsum ist beachtlich und so torkelt Kochanek mit bedrohlicher Schlagseite über die Bühne. Klasse!

Auch Beerdigungen scheinen – glaubt man Joe DiPietro – ein guter Ort zu sein, einen neuen Partner zu finden. Rainer Maaß ist da als Witwer ziemlich konkret und findet in Anna Heldmaier ein williges Opfer. Die Annäherung dieser beiden älteren Herrschaften wird von beiden sehr liebevoll umgesetzt. Anna Heldmaier ist wunderbar begriffsstutzig, doch es gelingt Maaß schließlich, sie zu erobern.

Gesanglich stechen besonders Tim Speckhardt, Constanze Kochanek und Rainer Maaß hervor, doch auch ihre Mitstreiter wissen vor allem mit einem guten Gefühle für Pointen und gekonnt eingesetzter Mimik zu überzeugen. Iris Limbarth hat ihren jungen Darstellern regieseitig viel Freiraum gelassen. Es wirkt alles locker und nicht einstudiert. So viele Charakterwechsel in so kurzer Zeit sind auch für erfahrene Darsteller eine Herausforderung. Die Nachwuchsdarsteller haben hier eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass mit der richtigen Förderung und in der richtigen Umgebung Musiktheater auch jenseits der großen Ensuite- und Tourproduktionen exzellent funktionieren kann.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 10. November 2016
Darsteller: Rainer Maaß, Anna Heldmaier, Tim Speckhardt, Constanze Kochanek, Benjamin Geipel, Mariella Köhlert, Anna Stecking, Fabian Kastl
Musik / Regie: Jimmy Roberts & Joe DiPietro / Iris Limbarth
Fotos: Andreas Etter