Die Großstadtkulissen (Britta Lammers), die sämtliche Szenen umrahmen, sind sehr gelungen und übertreffen die Erwartungen, die man gemeinhin an ein Jugendmusical im Stadttheater hat. Die Kulissen verleihen dem Stück etwas Kompaktes, manchmal Bedrohliches, lenken aber von den handelnden Charakteren zu keiner Zeit ab. Auch die sehr dosiert eingesetzte Hubbühne des Kleines Hauses vom Staatstheater Wiesbaden sorgt für Staunen. Nein, soviel gut genutzte Technik hätte man wirklich nicht erwartet.
Was man sich aber immer wieder vor Augen führen muss, ist, dass man es hier mit Nachwuchskünstlern zu tun hat. Insofern sollte man über mangelndes Gesangstalent, nicht ganz synchrone Choreographien und etwas hölzern vorgetragene Dialoge hinwegblicken. Das klappt beim Gros der Darsteller auch problemlos. Schwieriger wird es jedoch bei den Protagonisten: Donald’s Mutter (Felicitas Geipel) hat ihre Stärken im Schauspiel und weniger im Gesang. Dafür rührt sie mit ihren Sorgen als Mutter eines todkranken Jungen zu Tränen. Sven-Helge Czichy steht ihr als Donald’s Vater zur Seite. Die Gratwanderung zwischen besorgtem Elternteil und liebendem Ehemann, der durchaus auch noch andere Bedürfnisse hat, gelingt ihm sehr gut. Highlight ist natürlich die Kifferszene, in der er mit seinem Sohn einen Joint raucht, um ihm die Schmerzen zu nehmen.
Eben dieser Sohn, Donald Delpe, wird von Marcel Herrnsdorf gespielt. Der Teenager spielt die schwere Rolle zu jeder Zeit glaubhaft. Man leidet mit ihm, wenn er versucht, sich gegen die Krankenhausbehandlungen aufzulehnen, man freut sich mit ihm, wenn er sich endlich das erste Mal verliebt, schmunzelt über seine tollpatschigen Versuche, diesem Mädchen näherzukommen und weint als er schließlich den Kampf gegen den Krebs verliert. Schauspielerisch muss man vor Herrnsdorf den Hut ziehen. Einen solch komplexen Part würde ein erwachsener Darsteller kaum besser spielen können. Gesanglich gibt es bei ihm noch Potentiale zu erarbeiten: Der Rap am Anfang ist sowohl vom Tempo her als auch melodisch eine zu große Herausforderung.
Ähnlich fällt das Urteil zu Dr. Gummifinger (Benjamin Geipel) aus: Er erinnert mehr an eine Persiflage aus der Rocky Horror Show als an einen ernsthaften Gegner von Miraculous Man. Doch dieses Aufgesetzte, Gekünstelte gelingt ihm ganz hervorragend. Ein stimmiges Komplettpaket liefert Anna Heldmaier als Krankenschwester ab: Sie spielt beide Rollen – gut und böse – glaubwürdig und lässt auch gesanglich nichts vermissen.
Donald’s Alter Ego, der Miraculous Man, wird von Johannes Meurer gegeben. Meurer ist ein großer Sympathieträger. Er spielt rollendeckend und zeigt vor allem in den Duetten mit Herrnsdorf, dass er ein wirklich guter Sänger ist.
Doch der mit Abstand kompletteste Musicaldarsteller ist an diesem Abend Tim Speckhardt alias Dr. Adrian Kling. Er zeigt viele Facetten – vom typischen Therapeuten über den gehörnten Ehemann zum vermeintlichen Draufgänger –, lässt dabei aber immer die gebotene Disziplin und Besonnenheit mitschwingen, die man von einem Ratgeber in seiner Position erwarten würde. Er singt sauber und bringt auch hier die richtige Dosis an Emotionen über die Rampe. Sein Date-Duett mit Mira Keller (Krankenschwester Angela) gehört zu den schönsten Szenen des Abends.
Mira Keller und Mariella Köhlert (Donald’s Angebetete Shelly) komplettieren die Riege der Hauptfiguren. Erstere überzeugt als umsorgende Krankschwester genauso wie als selbstbewusste junge Frau, die sich nicht auf einen verheirateten Mann einlassen möchte. Köhlert sticht aus dem Ensemble der Nachwuchsdarsteller durch ihre Energie deutlich heraus. Sie spielt mit viel Einsatz und führt das Publikum glaubhaft durch die Lebens- und Liebeswelt eines weiblichen Teenagers.
Eine so komplexe und hochemotionale Handlung wie den Krebstod eines Teenagers als Musical umsetzen zu wollen, ist durchaus ein Wagnis. Doch da der Romanautor Anthony McCarten auch das Buch zum Stück geschrieben hat, konnte hier nicht viel schiefgehen. Iris Limbarth inszeniert die ergreifende Handlung erfreulich unaufgeregt und setzt zu jeder Zeit den richtigen Schwerpunkt. Auch die eigentliche Sterbeszene von Donald ist pietätvoll umgesetzt und der zu erwartende Kloß im Hals löst sich sehr schnell wieder auf.
Leider ist Limbarth choreographisch zu sehr auf ihre jungen Tänzer eingegangen. Besonders einfallsreich oder anspruchsvoll sind die Tanzszenen sind, dafür entsprechen sie einem Stil, den die Jugendlichen im Zuschauerraum sofort übernehmen und nachtanzen würden.
Für die Kompositionen zeichnet Paul Graham Brown verantwortlich. Er hat einen jungen, aktiven Rahmen für diese phasenweise doch recht komplexe und verwirrende Handlung geschaffen. Einige Songs sind für die jungen Sänger wohl doch eine Nummer zu groß, aber insgesamt fügen sich die Melodien sehr gut in das Gesamtbild des Stücks ein. Beeindruckt ist das Publikum aber durchaus als es beim Schlussapplaus merkt, dass jeder Titel live gespielt wurde. Das Orchester leistet ganze Arbeit und spielt so sauber, dass man manches Mal geneigt ist zu denken, man lausche einer CD.
Auch wenn wir beim Kartenkauf gewarnt wurden, dass wir besser unsere Taschentücher parat haben sollten – es ging ohne. Allerdings liefert „Superhero“ viel Gesprächsstoff – und die Zeit sollte man auf jeden Fall einplanen.
Michaela Flint
Besuchte Vorstellung: 26. April 2015
Darsteller: Marcel Herrnsdorf, Tim Speckhardt, Benjamin Geipel, Mira Keller, Mariella Köhlert, Felicitas Geipel, Sven-Helge Czichy
Musik / Regie: Paul Graham Brown / Iris Limbarth
Fotos: Lena Obst