home 2008 Gorillas im Dschungel erobern Hamburg

Gorillas im Dschungel erobern Hamburg

Das erste was dem Zuschauer auffällt, wenn er die Neue Flora in Hamburg betritt, ist, dass das „Dirty Dancing“-Pink einem allgegenwärtigen Dschungel-Grün gewichen ist. Damit wird das Publikum schon m Foyer auf den noch viel grüneren Theatersaal eingestimmt. Grün ist dann auch auf der Bühne das bestimmende Element. Das brillante Lichtdesign von Natasha Katz schafft immer wieder neue Stimmungen und macht den Dschungel so zu einem spannenden Hintergrund, vor dem sich die weltbekannte Geschichte von Tarzan und Jane abspielt.

Genaugenommen ist es jedoch die Geschichte einer Familie, die David Henry Wang mit seiner Musical-Fassung von „Tarzan“ erzählt – und zwar die Geschichte der Gorillafamilie von Kerchak und Kala. Die Tragik, wie sie ihr Baby verlieren und Kala dann ein Menschenbaby annimmt und es gegen alle Widerstände großzieht, ist herzerwärmend. In den Auseinandersetzungen des Gorillapaares erkennt sich jedes Menschenpaar im Publikum sicherlich wieder. Die tiefe Liebe, die die beiden Gorillas füreinander empfinden, zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück. Da gerät Tarzans Lebensgeschichte tatsächlich zur Nebenhandlung. Doch das stört kaum, entschädigt die turbulente Gorillasippe doch für alles, was einem bei den „Menschen“ auf der Bühne fehlen mag.

Alle drei Hauptfiguren der Gorillasippe sind perfekt ausgearbeitet: Ana Milva Gomez gibt eine tief fühlende Mutter, die der Liebe zu ihrem Menschenkind sogar ihre langjährige Beziehung zu opfern bereit ist. Ihre wunderbar samtige Stimme passt perfekt zu den Balladen und entwickelt eine unglaubliche Stärke, wenn sie sich mit Andreas Lichtenberger (Kerchak) Gesangsduette liefert. Ana Milva Gomez spielt überzeugend und man glaubt ihr in jeder Sekunde, dass sie Tarzans Leben mit jeder Faser ihres Körpers verteidigen würde.

Andreas Lichtenberger gibt einen tollen Silberrücken. Man mag förmlich in Ehrfurcht erstarren, wenn er unüberhörbar durch den Theatersaal stürzt und zollt ihm höchsten Respekt wenn er sich, als nicht wirklich zierlicher Akrobat, vom ersten Rang an einer „Liane“ hängend auf die Bühne abseilt. Genauso beeindruckend sind jedoch die zarten Gefühle, die er seiner Kala entgegenbringt und die tiefe Verletztheit, die er durchleidet als sie ihn verlässt.

Der dritte namhafte Gorilla ist Terk, der quirlige Spross von Kala und Kerchak und damit Tarzans älterer Bruder. Die Spielfreude, die Rommel Singson in dieser Rolle ausstrahlt, überträgt sich direkt aufs Publikum. Beim Showstopper „Krach im Lager“ zum Auftakt des 2. Akts verwandelt er mit seinen Gorilla-Kollegen die Bühne in ein Chaos, die Zuschauer gehen klatschend mit und haben sichtlich ihren Spaß.

Die eigentlichen Hauptakteure – Tarzan und Jane – fallen demgegenüber doch deutlich ab. Elisabeth Hübert überzeugt – trotz ihres 1. Platzes beim TV-Casting – weder gesanglich noch schauspielerisch. Sie passt sehr gut in das Kostüm der leicht affektierten englischen Forscherstochter, doch wenn es um ihre Beziehung zu Tarzan geht, kratzt sie emotional nur an der Oberfläche. Gerade im Vergleich mit weniger erfahrenen Kolleginnen sollte sich Hübert abheben können. Doch alles in allem bleibt sie unscheinbar, auch wenn sie mit „Auf diesen Tag hab’ gewartet“ eines der schöneren Lieder singt und ganz sicher eine der optisch beeindruckendsten Szenen spielen darf.

TV-Casting-Quereinsteiger Anton Zetterholm zeigt, warum er den 1. Platz im Fernsehen gemacht hat. Er ist der typische Sympathieträger; man versteht, warum Jane ihm verfällt. Gesanglich kommt er mit Phil Collins Pop-Kompositionen prima zurecht und auch die deutsche Sprache ist wahrlich kein Hindernis mehr. Einzig optisch wundert sich mancher Zuschauer über den doch recht schmächtigen Dschungelhelden. Philipp Hägeli (im Sat.1. Casting die Nummer 2) gibt da schon ein viel maskulineres Bild ab. Ihm nimmt man den animalischen Hintergrund einer Aufzucht durch ein Gorillaweibchen ab, während Anton Zetterholm von Beginn an sehr aristokratisch wirkt. Während Hägeli als Tarzan problemlos in die Schuhe als Nachfolger von Kerchak schlüpfen kann, bleibt Zetterholm ein netter Junge, aber eben kein Mann.

Diese Disney-Show besticht vor allem durch die Akrobatikelemente. Sowohl auf der Bühne als auch im Theatersaal schwingen Gorillas von Liane zu Liane, wunderschöne Schmetterlinge entfalten ihren esoterischen Charme und Blumen entfalten sich über die komplette Bühnenhöhe.

Damit diese entscheidenden Elemente immer funktionieren ist höchste Präzision geboten. Die Sicherung aller Darsteller, die sich in teilweise atemberaubender Geschwindigkeit über die Köpfe der Zuschauer hinwegbewegen, ist höchstes Gebot. Dass die Akrobaten und Musicaldarsteller, die dort unter der Theaterdecke die ausgefallenste Choreographien absolvieren, immer 100 % fit sein müssen, versteht sich. Es gibt nur wenige Shows, in denen sich körperliches Unwohlsein oder Unpässlichkeit direkt in Form schlimmer Verletzungen (in den Proben reichlich vorhanden), ausdrückt.

Was bleibt von dieser Deutschlandpremiere im Kopf, wenn man das grüne Foyer verlassen hat? Phil Collins bekannte Songs leider nicht; dafür sind diese zu unaufregend arrangiert und kommen mehr als Hintergrundmusik daher als dass sie die Show tragen würden. Die Bühnenbilder (allen voran die Auftaktszene, in der das Schiff von Tarzans Eltern untergeht und diese an Afrikas Küste stranden sowie das bereits erwähnte Blumenmeer, in dem sich Jane bei ihrem ersten Streifzug durch den Dschungel wiederfindet) sind perfekt mit dem Lichtdesign abgestimmt und es gibt auch beim zweiten und dritten Besuch des Stücks noch viele Kleinigkeiten zu entdecken. Die Charaktere, die das Publikum nachhaltig gefangen nehmen, sind ganz klar die Gorillas. Aber auch Tarzan und Jane tragen zu einem runden Showerlebnis. Japheth Myers als Jane Vater sorgt mit seiner penetrant schusseligen Art für Lacher und mach schaut ihm gern zu.

Fazit: Disney’s neues Dschungel-Musical in Hamburg ist ein optisches Feuerwerk, dass emotional mitreißt, wenn auch anders als es der Titel „Tarzan“ vermuten lässt.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Neue Flora, Hamburg
Premiere: 19. Oktober 2008
Darsteller: Ana Milva Gomes, Elisabeth Hübert, Andreas Lichtenberger, Rommel Singson, Anton Zetterholm
Musik / Regie: Phil Collins / Bob Crowley
Fotos: Stage Entertainment