Eine Realverfilmung des Disney-Klassikers von 1991. Das freut sicherlich nicht nur all jene, die sich schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert in Alan Menkens Melodien verliebt haben, sondern auch diejenigen, die die Geschichte von Belle und dem Biest seit ihrer Broadway-Premiere im April 1994 gefesselt hat.
Regisseur Bill Condon (u. a. „Dreamgirls“, „Twilight“-Trilogie) hat für seine Idee eine illustre Schar an Schauspielern um sich versammelt, um – wie er selbst sagt – das Genre Musical wieder neu zu beleben: „Ich möchte, dass sich das Publikum in dieses Genre verliebt, es soll verstehen, dass Musik und Film und Musical-Einlagen in Filmen nicht ablenken, nicht unterbrechen, sondern die Handlung vertiefen [und ihr] Bedeutung verleihen.“ Condon hatte eine genaue Vorstellung, wie der Erzählteil und die Musik zueinander stehen sollten.
Zudem grenzt er sich mit seinem neuesten Werk ganz bewusst von den Filmen ab, in denen versucht wurde, bekannte Geschichten neu zu erfinden oder aus dem Blickwinkel anderer Figuren zu erzählen. Condon ging es darum, den vertrauten Figuren mehr Tiefe und Größe zu geben und die Geschichte so realer zu machen.
Emma Watson („Hermine“ in den „Harry Potter“-Filmen) stand als Belle direkt fest. Die Belle in der Realverfilmung ist keine zerbrechliche Prinzessin, sondern eine selbstbewusste Heldin. Belle ist belesen und Condon erkannte genau dies in Emma Watsons Intelligenz, Welterfahrenheit und Kultiviertsein wieder. Die herausfordernde Aufgabe, dem Biest „Leben einzuhauchen“, fiel Dan Stevens zu, der sich insbesondere im britischen Fernsehen („Downtown Abbey“) und auf britischen Theaterbühnen einen Namen gemacht hat. Gemeinsam mit Condon und Watson erarbeitete er Wege, die „menschlichen Momente zu finden, die [das Biest] weniger animalisch, sondern mehr zu einem in dieser Kreatur gefangenen [Menschen] machten.“
Gaston und sein Diener LeFou werden von Luke Evans (in jüngeren Jahren als Musicaldarsteller u. a. in „Taboo“, „Rent“, „Miss Saigon“ und „Avenue Q“ zu sehen, heutzutage eher als Filmschauspieler („The Hobbit“, „Fast & Furious“) bekannt) und dem US-amerikanischen Comedian Josh Gad (spricht im Original den Olaf in „Frozen“) gespielt. Als Belles Vater, Uhrmacher Maurice, ist Kevin Kline zu erleben.
Die verwunschenen Gegenstände werden großteils von namhaften Schauspielern zum Leben erweckt (auch wenn diese erst ganz am Schluss wirklich zu erkennen sind): Ewan McGregor (u. a. „Moulin Rouge“) als Lumière, Ian McKellen („Harry Potter“, „X-Men“) in seiner ersten Musicalrolle als Cogsworth (in der deutschen Fassung: Herr von Unruh), Emma Thompson („Sinn und Sinnlichkeit“, „Eine zauberhafte Nanny“) als mütterliche Madame Potts (auch Madame Pottine genannt), Audra McDonald („Ragtime“, „Porgy and Bess“, „Private Practice“ (TV-Serie)) und Stanley Tucci („Burlesque“, „Tribute von Panem“) als die neu hinzugefügte Operndiva Madame de Garderobe und ihr Dirigent „Maestro Cadenza“ sowie Gugu Mbatha-Raw („Miss Sloane“) als Staubwedel Plumette (sonst auch Babette genannt).
Das ist – mit Ausnahme von Audra McDonald – nicht gerade die erste Garde an erfahrenen Musiktheater-Darstellern, die man sich vielleicht für einen so gesangslastigen Film gewünscht hätte. Doch im Großen und Ganzen geht Condons Idee auf und die Charaktere gewinnen durch ihre sehr ausgeklügelte Besetzung stark hinzu.
Um hier auf Nummer Sicher zu gehen, hat das Team die Songs und auch die Dialoge, die in Lieder übergehen, vorab aufgenommen und beim eigentlichen Dreh dann die entsprechenden Playbacks abgespielt. Davon merkt man aber natürlich im fertigen Film nichts mehr.
Inhaltlich wurde an einigen Stellen geschraubt. So bekommt das Publikum zu Beginn einen Eindruck davon, wie unsympathisch und herablassend der Prinz sich gegenüber seinen Mitmenschen verhält, als er eine alte, um Obdach bittende Frau an der Türschwelle abweist, weil sie ihm nur eine Rose als Gegenleistung anbieten kann. Diese alte Frau entpuppt sich aber als Zauberin, die den Prinz und seinen Hofstaat mit einem Fluch belegt, der nur durch die wahre Liebe aufgehoben werden kann.
Schon beim Aussprechen des Fluches und der Verwandlung des Prinzen in das Biest zeigt sich die Magie dieser Realverfilmung: Jedem ist klar, dass es sich um hohe Kunst der Animationstechnik handelt, die man hier sieht, und es sollten noch weitere solcher magischer Momente folgen.
Belles erster Song, in dem sie das Dorf besingt, in dem sie sich (nicht nur intellektuell) gefangen fühlt, offenbart Emma Watsons warme, gefühlvolle Stimme, mit der sie im Gegensatz zur Zeichentrick- und Bühnenfassung nicht das Zerbrechliche betont, sondern allein schon durch ihre tiefere Stimmlage eine gewisse Robustheit an den Tag legt. Beeindruckend sind auch die über 150 Statisten, mehr als 100 Tiere und 28 Wagen, die in dieser Szene („Belle“) zu sehen sind. Der komplette Marktplatz mit seinen anliegenden Gebäuden wurde eigens in den Shepperton Studios außerhalb Londons in liebevoller Kleinarbeit aufgebaut. Diese Detailbesessenheit macht die Szene umso wirkungsvoller.
Das folgende Solo von Maurice („How does a moment last forever“ / „Ein Augenblick ist manchmal zeitlos“) gehört zu den drei neuen Songs, die Alan Menken eigens für den Film geschrieben hat. Kevin Kline ist nicht der beste Sänger, aber er legt so viel Zärtlichkeit in diese fast schon romantische Liebeserklärung an seine bis ins Feinste ausgearbeiteten Spieluhren, dass man ihm dies gern nachsieht.
Während sich Maurice auf den Weg in die Stadt macht, „erfindet“ Belle mit Hilfe eines Fasses, eines Esels und des Dorfbrunnens eine höchst effektive Waschtrommel. Dabei nutzt sie die Zeit, um einem kleinen Mädchen das Lesen beizubringen. Leider zieht sie damit Neid und Missgunst der Dorfbewohner auf sich, die sie nur umso seltsamer finden. Gaston nutzt die Gelegenheit und versucht einmal mehr, Belle von seinen Vorzügen zu überzeugen. Luke Evans ist ganz klar einer der überzeugendsten Sänger in diesem Film. Sein „Gaston“ ist zudem nicht nur gut gesungen, sondern auch exzellent gespielt. Den selbstverliebten, eitlen Gockel mit Impulsivitätsproblem gibt der Waliser herausragend.
Unterwegs verirrt sich Maurice im Wald und landet beim verwunschenen Schloss des Biests. Zunächst freut er sich, dass er sich dort aufwärmen kann und auch etwas zu essen findet. Doch als ihn die kleine Tasse Chip (in der deutschen Fassung Tassilo) plötzlich anspricht, nimmt Maurice Reißaus. Im Garten läuft er an einem Rosenbusch vorbei, von dem er eine Rose abbricht, die er seiner geliebten Tochter Belle versprochen hat. Doch das Biest kann diesen „Diebstahl“ nicht hinnehmen und sperrt Maurice ein. Dessen Pferd Philippe galoppiert wie vom Teufel besessen ins Dorf zurück.
Schon in diesen ersten Szenen im Schloss erkennt man, wie viel Liebe zu Einzelheiten der Regisseur und seine über 40 Animationstechniker in die Gestaltung jeder einzelnen Figur und jedes Raumes gesteckt haben. Insbesondere auf Lumière wurde hier ein besonderes Gewicht gelegt: Der Kerzenleuchter sollte soviel von Ewan McGregors Persönlichkeit bekommen wie möglich. Dazu wurde McGregor mit der „Performance-Capture-Technologie“ gefilmt, um einzufangen, wie er sich die Tanzbewegungen und Gestiken von Lumière vorstellt. In der Postproduktion wurden diese Bewegungen mit dem digital erschaffenen Kerzenleuchter in Einklang gebracht.
Belle reitet mit dem Pferd ihres Vaters ins Schloss und sucht dort mutig nach ihrem Vater. Sie bittet das Biest, ihren Vater frei zu lassen und sie stattdessen einzusperren. Mit einer List erreicht sie ihr Ziel und ihr Vater kehrt ins Dorf zurück. Lumière und Cogsworth (ebenfalls von überbordender Detailtiefe) befreien Belle und bringen sie in ein im reichhaltigen Rokoko-Stil eingerichtetes Zimmer.
Nach und nach lernen die Kinobesucher auch die anderen Gegenstände kennen: den Staubwedel Plumette, der als wunderschöner, eleganter weißer Pfau durchs Schloss fliegt, Madame Potts und ihren Sohn Chip, die ihr Dasein als Teekanne und Teetasse mit viel britischem Humor und Cockney-Charme versüßen, Madame de Garderobe, die herrlich divenhaft agiert und aus ihren Schubladen die wundersamsten Kleiderkreationen für Belle hervorzaubert.
Die Gegenstände überreden das Biest, nett zu Belle zu sein, denn die Rose, die ihr Schicksal besiegelt, verliert immer mehr Blätter. Doch nachdem Belle dem Biest eine Abfuhr erteilt, ist es mit seiner Freundlichkeit dahin.
Die verzauberten Bediensteten überzeugen Belle davon, ihr Zimmer zu verlassen und etwas zu essen. Es folgt „Be our guest“ / „Sei hier Gast“ ist auf der Bühne eine der eindrucksvollsten Szenen und auch hier im Film kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Zum einen singt Ewan McGregor diesen Song wirklich sehr schön und der Charakter Lumière wird zu einem formvollendeten Gastgeber, zum anderen ist die Szene so phantasievoll umgesetzt, dass man von wahrer Animations-Magie sprechen kann. Das, was man kennt – die im Halbrund fliegenden Teller, die sich im Kreis drehenden Tassen, Federfächer à la „Razzle Dazzle“ – fehlt nicht und wird perfekt in Szene gesetzt. Der Blackout danach und der abrupte Szenenwechsel zu Belle, die den ausdrücklich verbotenen Westflügel betritt, ist allerdings eher störend.
Dem Biest gefällt das gar nicht und er macht der neugierigen Belle unmissverständlich klar, dass er ihren Ungehorsam nicht duldet. Belle flüchtet in den Wald, wo sie von Wölfen angegriffen wird. Das Biest rettet sie – nicht ohne selbst dabei schwer verwundet zu werden. Belle zögert kurz, bringt das verletzte Biest aber dann zurück ins Schloss und pflegt es gesund. Diese Szene markiert den Wendepunkt in der Geschichte.
War das Biest vorher schlecht gelaunt, wortkarg und hatte einen miesepetrigen Gesichtsausdruck, beginnt es nun zu lächeln, führt die Leseratte Belle in seine beeindruckende Bibliothek und erlaubt sich sogar kleine Späße. Man spürt, dass sich die Beziehung der beiden ändert. Mehr als das, man sieht es auch: War das Biest bisher in düstere Farbtöne gekleidet und trug einen in Fetzen an ihm herunterhängenden Mantel, trägt es nach seiner Genesung die bekannten Blautöne und einen aufwendig bestickten blauen Gehrock.
Die zunehmende Sympathie gipfelt in dem weltbekannten Tanz von Belle und dem Biest („Beauty and the Beast“ / „Die Schöne und das Biest“). Zunächst gleiten die beiden durch einen großen barocken Ballsaal (der ebenfalls in den Londoner Studios nachgebaut wurde) – ganz ohne Extravaganz. Doch wer denkt, dass dieser Purismus der Szene sehr gut zu Gesicht steht, wird einmal mehr von Bill Condons Phantasie überrascht: Er lässt das Paar in einen farbenfrohen Sternenhimmel abheben, und die Instrumente an den Ornamenten der Kuppelgalerie begleiten die beiden mit vollem Einsatz.
An dieser Stelle kurz ein lobendes Wort zum Kostümdesign. Jacqueline Durran hat Kostüme ersonnen, die nicht nur perfekt zu den Charakteren und der Zeit passen, in der „Die Schöne und das Biest“ spielt, sondern sie hat auch ausschließlich ökologische und nachhaltige Stoffe dafür verwendet. Natürlich gibt es tausende Swarowski-Steine auf Belles gelbem, aus 55m Stoff genähtem, Ballkleid, doch einen umweltbewussten Umgang mit Ressourcen (der bis hin zu den verwendeten Farben und dem Holzschnitt-Druck geht) findet man im Film- und Theaterbereich heutzutage leider eher selten.
Über das Design dieses so wichtigen Kleides kann man streiten: Es sollte laut Designerin fließen und fliegen. Am wichtigsten war die Bewegungsfähigkeit von Emma Watson, weshalb auch auf Korsett und Reifrock verzichtet wurde. Jedoch sieht das Kleid durch seine symmetrischen Abstufungen und die offene Vorder- und Rückseite eher blockig aus. Man wollte keine grazile Prinzessin erschaffen, sondern eine aktive Heldin. Ob dies mit diesem Entwurf gelungen ist, mag jeder für sich entscheiden.
Während Belle und das Biest sich näherkommen, versucht Maurice die Leute im Dorf davon zu überzeugen, mit ihm das Schloss zu suchen und seine Tochter zu befreien. Selbstdarsteller Gaston wittert seine Chance, den Vater seiner Angebeteten für sich zu gewinnen und fährt mit Maurice und LeFou in den Wald. Doch Maurice findet den Weg nicht mehr. Gaston reißt der Geduldsfaden und als ihm Maurice auch noch nachdrücklich versichert, dass Gaston niemals sein Schwiegersohn werden wird, fesselt er ihn kurzerhand und lässt ihn im Wald zurück. Zum Glück findet die im Dorf als „wunderliche Jungfer“ verachtete Agathe Belles Vater und pflegt ihn in ihrem Waldhaus wieder gesund.
Maurices erneuter Versuch, die Dorfgemeinschaft um Hilfe zu bitten, scheitert als er von Gaston als Lügner dargestellt wird. Das gelingt dem aalglatten Kriegshelden aber nur, weil der pflichtschuldige LeFou seinem Herrn trotz sichtbarer Zweifel beipflichtet und nach dem Mund redet.
Parallel erfüllt das Biest Belle einen Herzenswunsch: Um endlich zu verstehen, was mit ihrer Mutter geschah, wünscht sie sich nach Paris in die elterliche Wohnung kurz nach ihrer Geburt. Belle muss erschüttert mit ansehen, wie ihr Vater sich und das Kind schweren Herzens in Sicherheit bringt, denn die Mutter hat die Pest. Belle ist tief getroffen und sie vermisst ihren Vater nun umso mehr. Das Biest lässt sie in den Spiegel schauen, wo Belle sehen muss, dass ihr Vater im Dorf eingesperrt wird. Das Biest fühlt, wie sehr Belle ihrem Vater helfen will und lässt sie frei.
Es folgt ein weiterer neuer Song: „Evermore“ / „Ich warte hier auf dich“ ersetzt den Bühnen-Showstopper „If I can’t love her“ / „Wie kann ich sie lieben“. Die Aussage des neuen Songs ist eine gänzlich andere: Das Biest ist nicht von Selbstzweifeln zerfressen, sondern voller Zuversicht, dass Belle irgendwann wieder an seiner Seite sei wird. Als Grund für diesen Austausch nennt Condon, dass der ursprüngliche Song als Finale des 1. Akts des Bühnenmusicals einen anderen Schwerpunkt setzen musste. Doch auch der neue Song endet dramatisch und voller Energie, insofern ist – abgesehen von der inhaltlichen Botschaft – keine wirkliche Sinnhaftigkeit im Austausch erkennbar.
Belle gerät im Dorf unterdessen in große Schwierigkeiten als sie dem aufgebrachten, ungläubigen Mob im Spiegel zeigt, dass es das Biest wirklich gibt, und ihr Vater mitnichten der Spinner ist, als der er hingestellt wird. Kurzerhand ergreift Gaston den Spiegel und Belle wird zu ihrem Vater gesperrt. Das gesamte Dorf ist auf den Beinen, um das Biest zu erledigen.
Während das Biest noch seiner einzigen Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem normalen Leben nachtrauert, bekämpfen seine ehemaligen Dienstboten die Eindringlinge. Hierbei greifen sie zu allen möglichen Tricks und schlagen die Menschen in die Flucht. Diese Massenszene ist erneut mit viel Phantasie, Augenzwinkern und Tempo umgesetzt.
Gaston gelingt es, sich dem Biest unbemerkt zu nähern. Er schießt auf den traurigen Fellklotz. Doch plötzlich steht Belle hinter ihm, die sich mit ihrem Vater dank ihres Erfindergeists aus dem Gefängnis befreien konnte, und greift ihn an.
Es kommt zum entscheidenden Kampf! Das Biest gewinnt seine Kraft zurück als es bemerkt, dass Belle seinetwegen zurückgekehrt ist. Das Schloss löst sich langsam in seine Bestandteile auf, während die beiden Männer sich jagen. Gaston schießt immer wieder auf das Biest. Plötzlich stürzt er jedoch in den Tod und das Biest rettet sich durch einen gewagten Sprung in Belles Arme. Doch zu spät…
Noch bevor Belle ihm ihre Liebe gestehen kann, fällt das letzte Rosenblatt und das Biest stirbt.
Zum Glück ist Agathe, die sich als Zauberin entpuppt, Zeugin dieser Szene und leitet die Rückverwandlung ein. Plötzlich steht Belle vor einem Prinzen, und die beiden versinken in einem erlösenden Kuss. Die Sonne geht auf, Schnee und Eis schmelzen und das Schloss erstrahlt in warmen Rot- und Gelbtönen. Auch alle Gegenstände erlangen nach und nach ihre menschliche Gestalt zurück.
Beim abschließenden Ball kann man seine Augen kaum von den prachtvollen Kleidern und dem üppig dekorierten Saal wenden. Ein weiterer Beweis, dass in dieser Real-Verfilmung auf jedes noch so kleine Detail geachtet wurde.
Doch es gibt auch einige wenige Kritikpunkte. Beispielsweise, dass Belle offenbar vor ihrem überstürzten Aufbruch zur Rettung ihres Vaters noch ein zweites Kleid sowie ein zweites Paar Schuhe eingepackt hat. Denn wie sonst wären die wechselnden Outfits während ihres Schlossaufenthalt zu erklären?
Auch, dass Emma Thompson den durch Angela Lansbury weltbekannten Titel-Song auch nicht nur ansatzweise gut singt, ist sehr bedauerlich. Der Song ist gefühlvoll und sanft, doch so recht will der harte Cockney-Akzent, den Thompson als Madame Potts hat, nicht dazu passen. So wundervoll es ist, ihrer Sprechstimme zu lauschen und die Oscar-Gewinnerin spielen zu sehen, singen ist nicht ihre Stärke.
Kurz vor der Veröffentlichung des Films wurde in Medien kolportiert, dass Condon den ersten „ausschließlich schwulen Moment“ in einem Disney-Film angekündigt hat. Natürlich ist das eine große Sache für den amerikanischen Zeichentrick-Riesen. Doch ehrlich gesagt fällt dieser Moment, der sich zwischen Gaston und LeFou ereignen soll, kaum auf. Natürlich wird LeFou von Josh Gad sehr soft und leicht tuntig gespielt. Und ja, er himmelt seinen Herrn und Meister sehr an. Doch einen schwulen Moment zwischen diesen beiden kann man nicht ausmachen. Auch dass LeFou beim finalen Ball im Schloss plötzlich mit einem anderen Mann tanzt, lockt heutzutage niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Interessantes Detail am Rande: Luke Evans, der den Macho Gaston spielt, steht schon seit jeher zu seiner Homosexualität.
Spannend wird natürlich die deutsche Fassung (bei der Pressevorstellung wurde die englische Version gezeigt) sein. Disney hat sich entschieden, für jeden Schauspieler einen Synchronsprecher für die Dialoge zu engagieren, sowie die Songs gesondert von Profis einsingen zu lassen. Zu letzteren zählen Sascha Rothermund als Biest, Julia Scheeser als Belle und Tommy Amper als Lumière. Der Soundtrack erscheint am 10. März 2017, eine Woche vor dem offiziellen Filmstart, von daher kann sich das Publikum hier schon vorab ein Bild machen.
„Die Schöne und das Biest“ ist eine Real-Verfilmung, in der fast nichts real ist. Es gibt weder das Schloss noch das Dorf wirklich. Alles wurde in den Studios und im Computer nachgebaut. Und doch ist alles bezaubernd greifbar. Die Charaktere sind – natürlich mit Ausnahme von Gaston – allesamt liebenswert und haben niedliche Macken. Die Neckereien zwischen Lumière und Cogsworth sind genauso süß wie Chips vorlaute Kommentare. Madame Potts ist eine äußerst liebenswerte Teekanne und Plumette ist gleichzeitig zart und schwungvoll. Doch, diese Figuren haben viel an Tiefe hinzugewonnen.
Auch die neue, selbstbewusste Belle gefällt sehr. Ob man allerdings soweit gehen muss, diesem Disney-Märchen die Aufgabe aufzupfropfen, dass es in ihm explizit darum geht, Frauen Freiräume zu erschaffen, möchte ich stark bezweifeln.
Das Biest ist eine komplett digitale Figur und doch hat man das Gefühl, dass man sein Fell berühren zu könnte. Die Zusammenarbeit von Dan Stevens mit den Experten für Performance- und Facial-Capture ist beeindruckend. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, viele Szenen auf Stelzen in einem grauen Ganzkörperanzug spielen zu müssen, ohne zu wissen, wie die Mimik nachher digital wirken würde. Was für ein Glück, dass die MOVA-Facial-Capture-Technik rechtzeitig für diesen Film ausgereift war.
Schöne Details wie die prunkvollen Rokoko-Elemente im Ostflügel des Schlosses, die nach einer portugiesischen Vorlage gebauten Bibliothek, für die eigens tausende Buchattrappen erstellt wurden, sowie das düstere italienische Barock im Westflügel runden diese künstlerisch hochwertige Arbeit ab. Diese Designer sind garantiert Kandidaten für einen Oscar!
Es gibt in dieser Musical-Verfilmung wirklich viel zu entdecken. Auch wenn hier kaum etwas „real“ ist, wird die eingesetzte Animationstechnik der Magie der Zeichentrick- und Bühnenvorlage gleichermaßen gerecht.
Und so bleibt man beim Abspann gern noch eine Weile sitzen und lässt die Bilder auf sich wirken. Dazu bekommt man dann noch drei Spezialversionen von Songs aus dem Film auf die Ohren, die unbedingt hörenswert sind: „How Does A Moment Last Forever“ gesungen von Céline Dion (der dritte neue Song, der im Laufe des Film einige Reprisen erlebt), den Titelsong „Beauty and the Beast“ von Ariana Grande und John Legend, sowie „Evermore“, gefühlvoll interpretiert von Josh Groban.
Bill Condons „Die Schöne und das Biest“ öffnet dieses zauberhafte Musical-Märchen für eine neue Generation. Das gelang in den letzten Jahren nicht vielen Verfilmungen bekannter Musicals. Insofern scheint sicher zu sein, dass Disney mit seiner neuesten Produktion wieder einmal einen Volltreffer landen wird.
Michaela Flint
Regie: Bill Condon
Darsteller: Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Emma Thompson, Kevin Kline, Josh Gad, Ewan McGregor, Ian McKellen, Audra McDonald, Stanley Tucci
Musik / Kostüme / Set Design: Alan Menken / Jacqueline Durran / Sarah Greenwood
Verleih / Fotos: Disney