home Filme Eine sehr befremdliche Verfilmung des Samtpfoten-Musicals

Eine sehr befremdliche Verfilmung des Samtpfoten-Musicals

Fast 40 Jahre nach der Uraufführung des Bühnenmusicals in London (1981) bringt Regisseur Tom Hooper seine Vorstellung einer modernen „Cats“-Fassung auf die Leinwand.

Es ist sehr populär, Musicals von der Bühne auf Celluloid zu bannen. Beim “Phantom der Oper“ und “Into the Woods“ gelang dies nur mäßig überzeugend. Doch „Die Schöne und das Biest“ und auch „Les Misérables“ (ebenfalls von Hooper) erzielten mehr als Achtungserfolge in der Musical-Fangemeinde. Von „Mamma Mia“ ganz zu schweigen

Zahlreiche weitere Verfilmungen sind bereits in Planung – darunter „Joseph“ und „In the Heights“. Auch von „Sunset Boulevard“ als Leinwandmusical träumt Andrew Lloyd Webber seit einigen Jahren sehr medienwirksam.

Doch 2019 sind erstmal T. S. Eliots „Practical Cats“ an der Reihe. Schon als im Sommer der erste Trailer veröffentlich wurde, ging ein Raunen durch die Musical-Gemeinde: Das was dort gezeigt wurde, hatte herzlich wenig mit dem zu tun, was man von einem Musicalfilm mit höchsten technischen Raffinessen erwartet hatte. Leider kann auch das vollständige Werk diesen Eindruck nicht bessern.

Es beginnt mit der Ouvertüre, die sehr zurückhaltend aus den Kinolautsprechern plätschert. Zudem fehlen dem versierten Theatergänger natürlich die rundum blinkenden Katzenaugen im Saal. Doch wirklich erwarten konnte man diesen Effekt im Kino nicht.

Tom Hooper hat nach eigener Aussage eine Fantasy-Version von „Cats“ geschaffen, die sich offenbar dadurch auszeichnet, dass Menschen mit computererzeugtem Fell durch London streifen. Das Größenverhältnis, wenn die menschlichen Katzen am Eros-Brunnen auf dem Piccadilly Circus tanzen, passt jedoch nicht. Auch der Trafalgar Square sieht in der Finalszene eher aus wie ein Gemälde, das im Hintergrund platziert wurde. Auch ist eher irritierend, dass die Füße und Hände der Schauspieler „original“ sind und nur in wenigen Szenen einige Katzen Schuhe tragen (bspw. in der Stepp-Szene von Skimbleshanks). Berücksichtigt man dann auch noch die von Jenny Fleckenreich dressierten Mäuse und Kakerlaken, die ebenfalls menschliche Gesichter haben, wird es vollends skurril.

Die Bewegungen der Katzen sind leider weniger geschmeidig und sehen nach Computertechnik aus, die an Computerspiele der späten 90er Jahre erinnert. Idris Elbas‘ Kopf ist schlecht in die Szenen geschnitten und die Sprünge sowie Tanzschritte der Samtpfoten sind gänzlich unnatürlich. Katzen, die beim Springen verschwimmen oder deren Füße beim Tanzen den Boden nicht berühren, sind einfach unecht. Hinzu kommen noch die Gesichter, die auf unnatürliche Art mal breiter und mal schmaler werden, sowie die Ohren, die sich häufig sehr „kreativ“ und auf keinen Fall felin durch die Gegend bewegen.

Auch wenn im Abspann gefühlt 500 Mitarbeiter aufgelistet werden, die die visuellen Effekte er- und bearbeitet haben, wird man das Gefühl nicht los, dass hier die Erfahrung mit dem Genre fehlte. Alternativ ist es natürlich auch vorstellbar, dass Hooper eine sehr spezielle Vorstellung der Bewegungsabläufe von Katzen und dem computervisuellen Aufbau der Umgebung hatte, die sich für Otto Normal Musical-Besucher nicht nachvollziehen lässt.

Doch abgesehen von den überholten Visual Effects, steht ja bei einem Musical die Musik im Vordergrund. Andrew Lloyd Webber hat an einige Songs noch einmal Hand angelegt, was im Sinne einer Modernisierung vollkommen legitim ist. Dennoch passt es zu den Chaos-verbreitenden Katzen Mungojerrie und Rumpleteazer überhaupt nicht, wenn sie anstatt zu einer flippigen Uptempo-Nummer nun zu einem Swing & Jazz Song Unfug stiften. Die Idee, Skimbleshanks, den Kater vom Nachtexpress, steppen zu lassen, verwirrt zunächst ebenfalls sehr. Doch die Art wie diese Szene sich entwickelt und die Tatsache, dass der Stepptanz durchaus „nach vorne“ geht, sorgen für ein stimmiges Gesamtbild.

Auch einige Charaktere wurden für den Film überarbeitet. Allen voran natürlich die schüchterne Victoria, die im Film durchaus Selbstbewusstsein zeigt, sich in Mr. Mistoffelees verliebt und sogar einen eigenen neuen Song bekommt, der von Taylor Swift und Andrew Lloyd Webber stammt. Apropos Mr. Mistoffelees – ihn anstatt des gewitzten, schlauen Zauberers als ängstlichen Tollpatsch darzustellen, dessen Magie eher in seinen fehlschlagenden Tricks liegt, wird viele Musicalfans ärgern.

Auch Rum Tum Tugger bekommt eine wesentlich kleinere Rolle, da viele seiner Gesangspassagen von Munkustrap übernommen werden. Frauenheld? Fehlanzeige! Growltiger verkommt gar zur Nebenrolle. Dafür sind Bustopher Jones, Jenny Fleckenreich, Macavity und Old Deuteronomy wesentlich präsenter, was aber nicht zuletzt auch an deren Besetzung liegt.

Bustopher Jones wird von einem herrlich süffisanten James Corden gespielt. Dass er auch singen kann, beweist er seit Jahren u. a. in seiner „Late Late Show“. Rebel Wilson beweist ihr Talent für Komik und Timing als Jenny Fleckenreich. Idris Elba gibt den magisch-gefährlichen Macavity, der alle Katzen, die mit ihm um die Wiedergeburt konkurrieren, kurzerhand auf ein Themseboot verschleppt.

Den größten „Aufschrei“ gab es in der Community jedoch als bekannt wurde, dass Judi Dench das Katzen-Oberhaupt Old Deuteronomy spielen würde. Old Deuteronomy eine Frau? Das kann doch nicht funktionieren! So las man überall… Doch dank der herausragenden Schauspielerin Judi Dench fällt diese wesentliche Änderung im Vergleich zur Bühnenversion nicht ins Gewicht. Sie spielt mütterlich, zeigt Herz und lässt es an nichts vermissen, was man mit Old Deuteronomy verbindet.

Schauspielerische Exzellenz beweist auch Ian McKellen als Theaterkater Gus. Man hat unfassbar viel Mitgefühl mit diesem altersschwachen Katerchen.

Weitere Weltstars, die für dieses Fantasy-Musical engagiert wurden, sind Jennifer Hudson als Grizabella, Jason Derulo als Rum Tum Tugger und Taylor Swift als Bombalurina. Mit Francesca Hayward als Victoria, Robbie Fairchild als Munkustrap und Laurie Davidson als Mr. Mistoffelees sind viele Schauspieler zu erleben, die man sonst vor allem aus TV-Serien kennt.

An Namen hat „Cats 2.0“ also einiges zu bieten…

Ja, viele Katzen sehen anders aus als man es von der Bühne gewohnt ist, dazu zählen insbesondere Old Deuteronomy, der beige und nicht mehr dunkelbraun ist, und Macavity, der schlicht braun ist anstatt orange-rot-schwarz. Doch diese Fellwechsel kann man als künstlerische Freiheit durchgehen lassen.

Dass die Katzen allerdings mit Rum Tum Tugger in einer Milchbar feiern, ist unverständlich, da Katzen schlichtweg keine Kuhmilch trinken (sollten).

Tom Hooper hat in einem Interview gesagt, dass er mit der Catnip-Szene („Macavity“) neue filmische Maßstäbe setzen wollte. Der geneigte Kinobesucher sucht diese Maßstäbe, denn eine Taylor Swift, die sich als Bombalurina auf einem Halbmond räkelt und langsam in einem Theatersaal herabgelassen wird, während alle Katzen um sie herum durch das Catnip komplett high werden, ist absolut nichts Außergewöhnliches.

Schwierig wird es auch bei Gesang und Tanz… Nicht alle Schauspieler in diesem Musicalfilm sind auch herausragende Sänger. Dafür bestechen sie mit einer gnadenlos guten Mimik (insbesondere McKellen, Corden, Wilson, Derulo). Tänzerisch kann man niemanden in diesem Film wirklich einschätzen, da sämtliche Choreographien durch die Computerbearbeitung unrealistisch wirken. Andy Blankenbuehler hat ein Händchen für moderne Choreos (siehe „Hamilton“), doch zu „Cats“ wollen diese – zumindest in der für den Zuschauer sichtbaren Fassung – nicht passen. Von Gillian Lynnes felinen Tanzsequenzen ist in Hoopers „Cats“ jedenfalls nichts mehr zu erkennen.

Nina Schneider hat einige der ursprünglichen deutschen Texte von Michael Kunze in das 21. Jahrhundert übertragen. Leider klingen diese nicht selten plump und unbeholfen (bspw. „Rum Tum Tugger“, „Einladung zum Jellicle Ball“).

Für die deutsche Fassung wurde einmal mehr einige Rolle doppelt durch einen Synchronsprecher und einen Sänger besetzt. Im Fall von Munkustrap, bei dem Patrick Stanke beide Parts übernahm, geht dies leider daneben, denn viele Sprechgesangspassagen klingen schrecklich schief. Da die raumgreifenden großen Songs von Munkustrap stark gekürzt wurden, kommt Stankes schöne Stimme leider kaum zur Geltung.

Patricia Meeden singt den weltbekannten Showstopper „Memory“, der auf Deutsch aber jetzt auch nicht mehr „Erinnerung“ heißt. Sie kann – im Gegensatz zu Jennifer Hudson – mit ihrer Interpretation vollends überzeugen.

Philipp Büttner („Aladdin“) kommt die Aufgabe zu, Jason Derulo zu „synchronisieren“. Da Rum Tum Tugger in dieser filmischen Fassung aber nicht allzu viel zu sagen hat, fällt es Büttner leicht, mit diesem Part zu überzeugen.

Manuel Straube verleiht Bustopher Jones eine sehr gelungene deutsche Stimme. Gleiches gilt für Thomas Rauscher und Pia Allgaier, die Gus und Bombalurina ihre deutschen Stimmen leihen.

Andreas Bongard (Mr. Mistoffelees) und Sabrina Weckerlin (Cassandra) verkaufen sich leider in dieser seltsamen Musicalfassung sehr unter Wert. Auch Toby Heinz und Carin Filipcic haben als Mungojerrie und Rumpleteazer so ihre liebe Müh.

Zudem muss man leider auch noch anmerken, dass man deutlich hört, dass die Songs im Studio eingesungen wurden. Man spürt keinerlei Atmosphäre, nur kalte klare Wände um den Gesang. Auch dies ist bei einem Stück wie „Cats“ sehr bedauerlich.

Insgesamt kann man sagen, dass Tom Hoopers Fantasy-Film das Lyrische und Magische gänzlich abgeht, was „Cats“ seit fast vier Jahrzehnten ausmacht. Diese Verfilmung reiht sich nahtlos in die Reihe mit dem „Phantom der Oper“ und „Into the Woods“ ein und lässt direkt auf „In the Heights“ hoffen, das im Gegensatz zu „Cats“ nach dem ersten Trailer sehr vielversprechend aussieht.

Michaela Flint

Regie: Tom Hooper
Darsteller: Judi Dench, Ian McKellen, James Corden, Rebel Wilson, Jason Derulo, Taylor Swift, Jennifer Hudson, Francesca Hayward, Robbie Fairchild, Laurie Davidson
Musik: Andrew Lloyd Webber / 1 Song mit Taylor Swift
Verleih / Fotos: Universal Pictures International
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