home 2007 Eine gut gemeinte Show, die einen ziemlich kalt lässt

Eine gut gemeinte Show, die einen ziemlich kalt lässt

„Eine Geschichte auf der Suche nach Wahrheit, Liebe und Musik“ versprechen die Kreativen von „Daddy Cool“. Tatsächlich erlebt der Zuschauer eine ziemlich zusammenhanglose Handlung, deren Ansätze zwar gut sind, die sich aber nicht als großes Ganzes zusammenzufügen vermag.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Sunny (Dwayne Wint), der im Alter von zehn Jahren seine geliebte Großmutter und seine Heimat Trinidad verlassen muss, um bei seiner Mutter Pearl (Onita Boone) in London zu leben. Es folgt ein Zeitsprung. Sunny ist nun 18 Jahre alt und Mitglied bei der Subsonic Crew, fünf Freunde, deren Liebe zur Musik sie verbindet. Zu den Subsonics gehören Shake(speare), gespielt von Harvey, Flow (der begnadete Beatboxer Richard Lianhart), Isis (Helen Kurup) und G-Dog (Duane Lamonté O’Garro). Wie bei einer an die „West Side Story“ angelehnten Handlung icht anders zu erwarten, gibt es eine konkurriende Gang: die Blades. Deren Anführer Benny (Davie Fairbanks) neigt wie seine Kumpel Dex (Marc Small), Naz (Ricky Norwood) und Hype (Page) zu Aggressivität und Kleinkriminalität.

Sunny verliebt sich Hals über Kopf in die hübsche Halbschwester von Benny, Rose (Camilla Beeput), was natürlich zu Komplikationen führen muss. Als dann noch Asia Blue (Javine Hylton), das Mädchen von Benny mit Shake anbandelt, ist das Maß voll. Um einen blutigen Bandenkrieg zu verhindern, wird beschlossen, den Streit musikalisch, bei einem Open Air Band Battle beizulegen. Doch leider verläuft dieser nicht so friedlich wie geplant. Benny zeigt sich als sehr schlechter Verlierer und schießt auf Shake, der schwer verletzt ins Krankenhaus kommt. Benny schwärzt mit Unterstützung seiner Mutter, Ma Baker (Vanessa Leagh Hicks), Sunny bei der Polizei an, der daraufhin festgenommen wird.

Nach einem Besuch im Belmarsh Gefängnis überzeugt Rose Naz, der Polizei die Wahrheit zu sagen. Mitten während des Notting Hill Carnival wird Benny vor den Augen aller verhaftet und Sunny kommt frei.

Die gemeinsame Vergangenheit der beiden Mütter spielt in einem zweiten, parallelen Handlungsstrang. Margret, die junge Ma Baker (gespielt von Maria Swainson), hat in den 70ern der jungen Pearl der Freund ausgespannt. Dieser Freund war nicht irgendwer, sondern der heißeste Junge von ganz London: Johnny Cool: Er konnte tanzen wie kein Zweiter und mit seiner lässigen Aura gewann er Frauenherzen im Handumdrehen. Zu dem Zeitpunkt als Margret ihr den Mann abspenstig macht, war Pearl jedoch schon schwanger mit Sunny. Doch Johnny Cool gab einen erbärmlichen Vater ab und starb bereits im zweiten Lebensjahr von Johnny. Beide Frauen lieben den Mann auch noch als Erwachsene und als ihre Söhne aneinander geraten, treffen sie nach fast 20 Jahren zum ersten Mal wieder aufeinander. Doch Pearls Appell an die Liebe einer Mutter stößt bei Ma Baker aufgrund immer noch verletzter Gefühle auf taube Ohren. Und so bleiben die beiden Frauen Gegnerinnen.

Die Handlung an sich ist nicht schlecht, doch scheint sie zu komplex und die Charaktere nicht ausgereift genug, um am Ende stimmig aufzugehen. Für dieses Musical sind fast vier Jahre Entwicklungsarbeit ins Land gegangen; warum die Charaktere nur so oberflächlich ausgearbeitet wurden, ist ein Rätsel. Einzig die beiden Mütter haben etwas mehr Tiefgang. Doch dass beispielsweise Shake der Anführer der Subsonics ist, erfährt man genauso wenig wie die Tatsache, dass Rose nur die Halbschwester von Benny ist. Gänzlich unwichtig sind diese Informationen jedoch nicht… Aber dazu muss man schon Programmheft und CD-Booklet zur Hand nehmen.

Ein ähnliches Kopfschütteln wie die Charaktere löst die Ausstattung aus. Während die Kostüme (Christopher Woods und Christopher Applegate) noch farbenfroh, abwechslungsreich und sinnhaft (die beiden Gangs sind während des Battles in weiß-blau bzw. schwarz-rot gekleidet) sind, sind die Kulissen vor allem in Trinidad und auf dem Camden Market mehr als spärlich. Nicht, dass man notwendigerweise eine Materialschlacht erwartet hätte, doch bei einer großen und teuren Produktion wie „Daddy Cool“ mit entsprechenden Eintrittspreisen darf man doch mehr erwarten als eine bemalte Sperrholzhäuschenwand (Trinidad)oder Kleiderständer vor einer bunten Wand um den schillernden Camden Market zu visualisieren.

Im zweiten Akt schöpfen die Designer dann aus dem Vollen und präsentieren neben einem knallbunten, mit Federn und anderen Accessoires reich ausgestatteten Trinidad Karneval, einen Bühnenfüllenden Sonnengott Karu, aus dessen Körper sich eine Schlange ins Publikum windet und – nicht zu vergessen – zwei Papageien, die mit einer Spannweite von je 9m hoch über den Köpfen der Zuschauer um Einsatz kommen.

Die beiden einzigen rundum gelungenen Szenenbilder sind Ma Bakers Club – hier stimmt von den Spiegelwänden über die kleinen Table Dance-Flächen und roten Plüschsofas einfach alles und es wird ein stilvolles Nachtclub-Ambiente geschaffen – und die 70er Jahre Disco mit der 7m Discokugel, deren „erleuchtender“ Wirkung sich niemand entziehen kann.

Die in Berlin vollmundig als Weltpremiere angekündigte Show ist ein Klon der Londoner Fassung, der ab sofort auf Europa- und danach auf Welttour gehen soll. Dass man jedoch nicht einmal die Dialoge übersetzt hat, macht das Verständnis der Handlung umso schwerer. Hinzu kommt, dass die Darsteller und vor allem die beiden Gangs in ihren Rollen kein lupenreines Oxford English sprechen, sondern mal Cockney mal Rap- und Ghetto-Stil. Das dürfte für die große Mehrheit des deutschen Musicalpublikums etwas schwer zu verstehen sein.

Bedauerlicherweise agieren viele Darsteller wenig leidenschaftlich. An einer schlechten Akustik liegt es ganz sicher nicht, dass die Künstler teilweise schlecht zu verstehen sind. Denn diese ist sehr gut. Vielmehr liegt es am Nuscheln, dass man manche Dialoge oder Songzeilen schlichtweg nicht hört. Die Darsteller trifft keine Schuld an den nicht sehr differenzierten Charakteren, dennoch hätte man sich von dem ein oder anderen mehr Engagement gewünscht. Immerhin spielen Gefühle in beiden Handlungssträngen eine nicht unwesentliche Rolle. Die einzige, der man ihre Emotionen abkauft, ist Onita Boone, die als Pearl vor Sorge um ihren Sohn Sunny und aus Angst davor, dass ihn das gleiche Schicksal ereilen könnte, wie seinen Vater, fast vergeht. Ihr „I can’t stand the Rain“ ist der Showstopper schlechthin und riss das Publikum zu spontanen Standing Ovations. Alle anderen bleiben dagegen blass und scheinen austauschbar.

Neben der Optik und den Künstlern ist es aber sehr häufig die Musik, die eine Show ausmacht, wenn schon das Zusammenspiel nicht stimmt. Im Fall von Frank Farians Kompositionen scheint man auf eine sichere Bank gesetzt zu haben. Boney M kennt jeder, Milli Vanilli sicherlich noch viele, aber La Bouche, Eruption und No Mercy? Wir versichern Ihnen, auch die drei letztgenannten bzw. ihre Hits sind Ihnen geläufig. Eine der spannendsten Entdeckungen des Abends bei „Daddy Cool“ war die Vielseitigkeit von Frank Farian: Mehr als einmal fragt man sich erstaunt: „Den Song hat er auch geschrieben?“ Ja, hat er und noch unzählige mehr. Am besten zünden die Milli Vanilli Songs, die perfekt zu den Gangs passen. Und natürlich kann man sich auch 70er Jahre Discofunk ohne Boney M nicht vorstellen. Doch auch die 90er Jahre Synthesizer-Hymnen von La Bouche und No Mercy passen sehr gut ins Konzept. Einige Songs wurden eigens für die Show neu arrangiert, was ihnen sehr gut zu Gesicht steht. So wird aus der Uptempo-Nummer „Sunny“ eine gefühlvolle Ballade, in der Pearl ihrer Sorge um ihren kleinen Sohn Ausdruck verleiht. Die Balladen zwischen Sunny und Rose machen aus „Daddy Cool“ erst ein Musical. Dass am Schluss alles in einem großen Karneval endet und sogar Tänzer in den Originalkostümen von Boney M auf die Bühne kommen, ist obligatorisch und bringt das 2000 Mann Zelt zum Tanzen.

Am Schluss stimmt die Musik versöhnlich. Auch wenn das Musical „Daddy Cool“ noch die ein oder andere Überarbeitung vertragen kann, geben Frank Farians Kompositionen denjenigen Recht, die die Idee dazu hatten, aus seinem Lebenswerk ein Bühnenstück zu machen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Musicalzelt, Berlin
Premiere: Juni 2007
Darsteller: Onita Boone, Dwayne Wint
Musik: Frank Farian
Fotos: Daddy Cool Productions