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Ein anspruchsvolles Semesterprojekt

„Rent“, Jonathan Larsons unvergleichliches musicalisches Vermächtnis, berührt seit Jahrzehnten Zuschauer rund um den Globus. In diesem Jahr haben sich die Studierenden der Stage School die ungeschönte Geschichte über das Leben von Mitzwangzigern im New York der 1990er Jahre als Semesterprojekt ausgesucht und bringen Wohnungsnot, Perspektivlosigkeit, Homosexualität, Drogenabhängigkeit und AIDS auf die Bühne des First Stage Theaters in Hamburg.

Die Studierenden des 2. Jahrgangs haben in kompletter Eigenarbeit von den Kulissen über die Kostüme, von den Choreografien über die musikalische Leitung bis hin zu Maske und natürlich Regie alles selbst geschaffen und nur bei Bedarf Unterstützung eines Supervisors erhalten. Was die 38 Nachwuchsdarstellenden hier auf die Beine gestellt haben, ist aller Ehren wert. Nichts erinnert mehr an „A Chorus Line„, welches auf derselben Bühne gezeigt wird. Die Kostüme sind zeitgenössisch, die Kulissen und Requisiten stimmig, das Licht passt. Die Choreografien sind gut erdacht, wirken jedoch manchmal einfach sehr überladen, als wolle man unbedingt zeigen, was man kann, obwohl dies in diesem Stück in der Form nicht notwendig wäre. Der „Tango Maureen“ ist beispielsweise sehr gut inszeniert, aber tänzerisch offenbaren sich jedoch deutliche Schwächen bei den vier Paaren. Gerade in solchen Szenen wäre hier ein größerer Fokus wünschenswert gewesen. Dafür funktionieren Szenen wir Maureens Protest („Flieg mit mir zum Mond“) oder Mimis Auftritt im KitKat Club („Raus heut Nacht“) ganz hervorragend.

Was am Premierenabend leider so gar nicht überzeugen kann, ist der Sound. Üblicherweise gehört das Sound Design im First Stage Theater mit zu den besseren in Hamburgs Theater, doch bei „Rent“ klingt es durchgehend so, als würden die Sängerinnen und Sänger hinter einer Wand stehen. So gut die Ensemblenummern auch einstudiert sind (die „Selbsthilfegruppe“ ist herausragend), so bedauerlich ist es, dass man solistisch dargebotene Zeilen kaum versteht.

Wenn man acht Protagonisten aus den Reihen von Studierenden zu besetzen hat, ist dies sicherlich kein leichtes Unterfangen, denn die jungen Künstler sind vielfach noch im Findungsprozess und haben ihren künstlerischen Schwerpunkt noch nicht vollumfänglich ausgebildet. Daher kann man natürlich auch keine Idealbesetzungen erwarten.

Mit Lorin Goltermann wurde der in seinen bittersüßen Gedanken gefangene Roger sehr gut ausgewählt. Er zeichnet die depressiven Züge des jungen Rockmusikers genauso gut nach wie die schüchternen Annäherungsversuche an Mimi und das gebrochene Herz, als sie sich Benny zuwendet. Auch gesanglich kann Goltermann absolut überzeugen. Duygu Yüzbasioglu erinnert optisch sehr an Fran Dreschers „Nanny“ und wirkt weniger zerbrechlich als in anderen Inszenierungen. Sie hat eine tolle Energie, man merkt jedoch, dass gleichzeitiges Singen und Tanzen – wie bspw. bei „Raus heut Nacht“ – sie sehr stark fordert.

Von den weiblichen Hauptfiguren sticht Annika Müller als Joanne heraus: Sie ist genauso so stark und selbstbewusst, wie man es von einer Anwältin erwartet, zeigt sich aber auch gefühlvoll und emotional aufbrausend im Umgang mit Maureen. Jessica Schaffler gibt Joanne’s exzentrische on/off-Liebe Maureen. Schaffler kniet sich richtig in die Rolle hinein: Ihr Protest ist frech, ihre Auseinandersetzungen mit Joanne kraftvoll. Auch gesanglich kann Schaffler diese so wichtige Rolle gut ausfüllen. Das Duett der beiden („Lass mich oder verlass mich“) gehört zu den Highlights dieser Inszenierung.

Babak Malekzadeh und Dominik Krumschmidt geben das ungleiche, aber wahnsinnig liebevolle Paar Tom Collins III. und Angel. Beide spielen die so unterschiedlichen Charaktere sehr authentisch und mit viel Einsatz. Malekzadeh wirkt auf den ersten Blick nicht wie der erfolgreiche MIT-Professor, doch es gelingt ihm, Collins die nötige Souveränität zu verleihen. Krumschmidt ist anfangs noch sehr technisch und es fehlt ihm das Herz im Ausdruck und Gesang. Doch das Potential ist mehr als erkennbar. Während „Mit Liebe bedeck ich Dich“ leider nicht so verliebt-romantisch über die Rampe kommt, wie man es sich wünscht, ist Angels Sterbeszene eine der stärksten (und verstörendsten) des Abends. Malekzadeh verleiht dieser Szene eine greifbare Intensität.

Als Dokumentarfilmer Mark und Hausbesitzer Benny komplettieren Philip Rakoczy und Tobias Graiger die Riege der Protagonisten. Beide spielen rollendeckend, offenbaren aber auch noch viel Luft nach oben. Das mag aber auch einmal mehr an der unausgewogenen Tontechnik liegen, die Songs wie „La vie bohème“ mit stark gebremster Energie zu Gehör bringt. Dieser Inszenierung von „Rent“ fehlt es an „Wumms“, wofür aber schlussendlich keiner der Nachwuchsdarsteller etwas kann.

Neben den Protagonisten gibt aber noch zwei Studierende, die aufhorchen lassen: Anna Fix ist eine herrliche überspannte Alexi Darling und sorgt mit ihren akkuraten Anrufbeantworter-Nachrichten für viele Lacher. Auch Sophie Brommund setzt mit ihrem in perfektem Sopran intonierten Solo-Satz „Lass Dein Maß die Liebe sein“ zum Auftakt des 2. Akts Maßstäbe.

Einmal mehr liefern die Studierenden eine beeindruckende Leistung ab. Ein abendfüllendes Musical von A-Z selbst umzusetzen, zudem noch eines, das so kontroverse Themen behandelt, verdient Respekt. Dass man hierbei künstlerisch an Grenzen stößt und diese auch manchmal überschreiten muss, ist mehr als verständlich. Der Mut, dieses Semesterprojekt so durchzuziehen, wird am Premierenabend durch nicht enden wollende stehende Ovationen belohnt. Verdient haben diesen Applaus ganz sicher alle Beteiligten!

Michaela Flint

Theater: First Stage Theater, Hamburg
Premiere: 28. Juli 2024
Darsteller:
Studierende der Stage School of Music, Dance and Drama

Creative Team: Studierende der Stage School of Music, Dance and Drama
Fotos:
Patrick Sobottka