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Talente, die begeistern

Als Alan Parkers Film über das Leben von Schülern einer Musicalakademie 1980 in die Kinos kam, waren die diesjährigen Absolventen der Hamburger Stage School noch gar nicht geboren. Doch David de Silvas damalige Beschreibung des Drucks, der Träume und Hoffnungen die angehende Bühnenkünstler nahezu rund um die Uhr beschäftigen, ist auch fast 40 Jahre später unverändert gültig.

Das Musical „Fame“ bietet für jeden Darsteller Elemente, die in derselben oder ähnlichen Weise in der eigenen Ausbildung erlebt wurden. Steve Margoshes’ Melodien sind auch heute noch mitreißend – ganz zu schweigen vom Welthit „Fame“ (Dean Pitchfork und Michael Gore). Die im First Stage Theater zur Aufführung gebrachte deutsche Fassung zeigt deutlich die Handschrift von Frank Thannhäuser und Iris Schumacher, denn die Dialoge und Songtexte sind lebensnah und auf die Zielgruppe perfekt angepasst.

Dass kaum jemand diese Achterbahn der Gefühle besser nachempfinden kann als Absolventen einer Musicalschule, die ihre Ausbildung gerade kürzlich erfolgreich abgeschlossen haben, macht die mehr als 20 Nachwuchsdarsteller zur Idealbesetzung für diese Show. Die jungen Künstler werden ihrem Ruf mehr als gerecht und dürfen die Vorschusslorbeeren nur allzu gern in Empfang nehmen.

Schon in der Eröffnungsnummer („Gott ich fleh, dass ich den Test besteh“) wird klar, dass Regisseur Felix Löwy der Spagat zwischen herausragenden Protagonisten und schwungvollen Ensemblenummern  („Der schwerste Beruf in der Welt“) sehr gut gelingt. Die positive Energie und Lebensfreude der jungen Menschen, die an der Schwelle zur Erfüllung ihres Lebenstraums stehen, wirken sich sofort ansteckend auf das Publikum aus.

Auch mit den Kulissen hat das First Stage Theater einen Volltreffer gelandet. Zwei Spielebenen, bewegliche Großkulissen, Straßen- und Trainingsraumszenerien – all dies wurde clever durchdacht und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Da wird dann Beethoven an der Wand des Band-Übungsraums auch schon mal durch das Tier aus der Muppet Show ersetzt. Jede Zeit hat eben ihre Helden.

Phil Kempster hat sich dieser Show choreographisch angenommen. Die Tanznummern sind raumgreifend, schwungvoll und durchweg anspruchsvoll. Dass nicht alle Absolventen der Stage School Hamburg ihre Stärken im Tanz haben, wird sichtbar, aber dadurch wirken die Szenen nur umso authentischer. Musical ist ein Drei-Sparten-Fach und kaum jemand beherrscht alle drei Sparten gleich gut.

Besonders gelungen sind hierbei die Szenen, in denen Solisten, Paare und Ensemble tänzerisch miteinander kombiniert werden.

Mit einer Ausnahme empfehlen sich alle Protagonisten für ein direktes Engagement auf einer Ensuite- oder Stadttheaterbühne. Sie sind schauspielerisch und gesanglich mehr als bereit „für die Bretter, die die Welt bedeuten.“ Allen voran Sophie Alter als Schulleiterin Ms. Sherman, die über eine beeindruckende Bühnenpräsenz verfügt und mit ihrem großen Solo „Ich seh die Kinder“ zu Tränen rührt. Alter verleiht der Direktorin durch ihre ungemein gefühlvolle Stimme viel Tiefgang. Wenn sie von den Kindern als „mein, Stolz, mein Glück“ singt, ist ihre Mimik herausragend. Dass Ms. Sherman gar nicht so streng ist, wie sie wirkt, merkt man schon daran, dass sie dem aufmüpfigen Analphabeten Tyrone ihre Unterstützung anbietet, da sie mehr in ihm erkennt als der Junge selbst. Robin Apostel gelingt es, Tyrones Fassade sehr gut herauszuarbeiten. Schauspielerisch und vor allem tänzerisch kann er seine Stärken ausspielen, was vor allem in den Paarszenen mit Melanie Hügner als Balletttänzerin Iris zum Tragen kommt. Zeitweilig verlieren sich die beiden geradezu in ihrer (tänzerischen) Zweisamkeit, was nicht nur tänzerisch durch die Kombination von Hiphop und Ballett spannend ist, sondern auch einen schönen Kontrast bildet zu Tyrones so burschikosen Auftreten gegenüber den Lehrern.

Das beste „Komplettpaket“ liefern Michaela Thurner und Fynn Duer-Koch als Serena und Nick ab. Serena schwärmt zunächst für Nick, den Werbestar, dann durchlebt sie eine leichte Stalkerphase, in der sie sich mit Freundschaft zufriedengibt, um sich schließlich ihrer Liebe zu ihm stellen. Nick hingegen ist eher schüchtern und voll auf die Ausbildung fokussiert, so dass er lange braucht, bis er merkt, dass auch er die strebsame, von Grund auf ehrliche Serena liebt. Schauspielerisch überzeugen Thurner und Duer-Koch in jeder Szene. Gesanglich jedoch setzen die beiden Maßstäbe. Sie legen gleichermaßen Gefühl und Authentizität in ihre Interpretation – ob nun Nicks „Ich will sie verzaubern“ oder Serenas „Spiel mit Liebe“ – diesen beiden schaut man nur allzu gern bei der Ausübung ihres Traumjobs zu. Thurner empfiehlt sich mit ihrem Auftritt nachdrücklich für eine Hauptrolle in „Wicked“!

Auch Marius Bingel sticht aus der Gruppe der Absolventen hervor. Er macht als Joe keinen Hehl daraus, dass auch das Vergnügen nicht zu kurz kommen darf. Und so jagt er jedem Rock hinterher („Er steht mir im Weg“). Bingel wirkt in jeder Minute glaubwürdig und man kann sich ihn schon jetzt gut in Rollen vorstellen, die in jüngerer Vergangenheit von Mark Seibert ausgefüllt wurden.

Die (aus purem Eigenschutz) zickige und selbstbewusst, beinah schon arrogant  auftretende Carmen wird von Antonia Wotberg verkörpert. Sie wirkt nervös und bleibt dadurch leider etwas steif: Beim Titelsong „Fame“ verpasst sie einige Einsätze und auch die Tonlage stimmt nicht ganz. Letzteres ist bei ihrer Ballade zum Ende des Stücks („Boulevard of broken dreams“) zwar besser, aber auch hier gelingt es ihr nicht, das Gefühl des Verlassenseins und der Verletzlichkeit in den Gesang zu übertragen. Sie singt sehr technisch (und das auch sehr gut), was aber sicherlich mit zunehmender Praxis dem Vertrauen in die eigene Emotionalität weichen wird, wodurch sie an Glaubwürdigkeit dazugewinnen wird.

Weitere Jungdarsteller, die erwähnt werden müssen, sind Inga Clauß, die als Mabel mit ihren Pfunden und den damit verbundenen Herausforderungen kämpft. Sie hat ein feines Gespür für Komik und ihre Mimik ist herausragend (insbesondere, wenn sie bei „Romeo & Julia“ nach und nach die Blütenblätter verspeist und hierbei offenbar eine lukullische Offenbarung erlebt). Zudem ist sie auch gesanglich sehr gut. Anna Vogt kann als Tanzlehrerin Ms Bell durch ihr strenges, aber liebevolles Auftreten durchaus überzeugen und zeigt in den Ensembleszenen, dass sie auch tänzerisch einiges auf dem Kasten hat.

Den von Carmen vor den Kopf gestoßenen Shlomo gibt Niklas Heinrichs. Er agiert glaubhaft als schüchterner, talentierter Pianistensohn und seine ehrliche Art und Zuneigung zu Carmen nimmt man ihm sofort ab, auch wenn die beiden ein sehr ungleiches Paar bilden.

Bleibt noch Helen Hefti, von der man gern mehr gehört hätte. Ihre Spielfreude als Drummerin Grace (inkl. Der deutlich sichtbaren Begeisterung für das Tier in Form von drei verschiedenen T-Shirts), ihre tänzerische Energie und ihre herrliche Interpretation vom „Tod eines Handlungsreisenden“ sorgen für viel Freude auf der Zuschauertribüne.

Gepaart mit schönen kleinen Regieeinfällen, wie den durch den Saal „fliegenden“ roten LED-Kugeln, die sich Serena und Nick zuwerfen, den Tänzern mit LED-Umhängen zum Auftakt des 2. Akts, den spielerischen Szenenwechseln, in denen sich bspw. der Ballettsaal in den Pausenraum verwandelt oder die Mädchenumkleide in eine Bar, ist diese Inszenierung ein rundum gelungenes Plädoyer für das Genre Musical.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: First Stage Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 12. Juli 2018
Darsteller: Sophie Alter, Robin Apostel, Melanie Hügner, Michaela Thurner, Fynn Duer-Koch, Marius Bingel, Antonia Wotberg, Inga Clauß, Anna Vogt, Niklas Heinrichs
Regie / Musik: Felix Löwy / Steve Margoshes
Fotos: Stage School Hamburg