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Skurrile Puppenshow

„Villa Sonnenschein“ ist die erste Musical-Eigenproduktion, die im neue renovierten Schmidt Theater zur Aufführung kommt. Die Produktion verlangt den Darstellern einiges an Vielseitigkeit ab: Neben Singen, Tanzen und Schauspielen müssen sie in diesem Musical auch noch Puppenspieler sein. Und damit sind nicht nur Handpuppen gemeint, sondern auch ein Wildschwein, Lampen, Pflanzen, die Sonne, eine Bettpfanne und Kissen.

Die Gestaltung der Puppen erinnert auf den ersten Blick sehr an die amerikanischen „Avenue Q“-Kollegen und kaum jemand wird eine gewisse Inspiration durch die erfolgreiche Broadway-Show ernsthaft abstreiten, doch steckt der Teufel hier im Detail: Die Bedienung der Puppen erfolgt beispielsweise nicht mit Stöcken, sondern die Hamburger Darsteller stecken mit einem Arm in ihrer Puppe, während die Arme sich nicht einzeln bewegen lassen.

Das junge und im Schmidt’s mehrfach bewährte Kreativ-Team bestehend aus Martin Lingnau (Musik), Heiko Wohlgemuth (Texte), Thomas Matschoß (Buch) hat sich ausgerechnet ein Altenheim als Spielstätte für die ungewöhnliche Show ausgesucht. Dort verbringen Carlotta und Hubert (Ingrit Dohse und Uli Pleßmann) zusammen mit dem ewig meckernden Gustav (Corny Littmann) ihren Lebensabend und sind den Allüren der rücksichtslosen Heimleiterin Mechthild (Carolin Spieß) hoffnungslos ausgeliefert.

Unruhe bringt der Zivi Felix (Benjamin Zobrys) in die Villa Sonnenschein. Nicht nur, dass er die rüpelhaften Behandlungsmethoden nicht mitmacht, er verliebt sich auch noch in Melanie(Miriam Lotz), die Tochter von Mechthild. Als dann plötzlich Dr. Mathieu (Nik Breidenbach), der neue Arzt, auftaucht und für einige emotionale Verwirrung bei Mechthild und Melanie sorgt, ist das Chaos komplett.

Auch wenn es zunächst so scheint, als würden Mechthild und Dr. Mathieu das Altenheim nach ihren Vorstellungen von Grund auf und ohne Rücksicht auf (geplante) Verluste umgestalten können, am Ende siegt – dank der tatkräftigen Unterstützung von Wildschwein und Lampe und der nicht zu verachtenden Lebenserfahrung von Carlotta, Hubert und Gustav – doch das Gute.

Lediglich drei Personen treten „nur“ als Menschen auf – der Rest des Ensembles hat immer eine Puppe zu bedienen. Das Zusammenspiel von Puppe und Mensch funktioniert lückenlos und ohne holprige Stellen. Es macht viel Spaß erwachsenen Menschen beim Puppenspielen zuzusehen. Man ist mehr als einmal hin- und hergerissen, wem man beim Fortgang der Geschichte folgt: den Puppen oder den Menschen hinter ihnen.

Nik Breidenbach kann sich im Laufe des Abends sowohl als schleimiger Verführer austoben als auch als allwissende (mit fließend französischem Akzent parlierende) Pflanze die Heimbewohner mit seinen Weisheiten nerven. Corny Littman scheint mit der rollstuhlfahrenden (Zuschauer durch riskante Bremsmanöver erschreckenden) „Kodderschnauze“ Gustav, wiederum eine ideale Rolle gefunden haben. Permanent schlechte Laune verbreitend, versucht er die jungen Menschen von der Nutzlosigkeit des Seins zu überzeugen – natürlich ohne Erfolg. Carolin Spieß macht als unsympathische machthungrige Heimleiterin richtig Spaß und überzeugt genauso wie Benjamin Zobrys als schüchterner Zivi Felix. Etwas blass bleibt lediglich Miriam Lotz als Melanie.

Die Kulissen auf der wesentlich vergrößerten Bühne des Schmidt’s sind zweckdienlich und halten mal als Aufenthaltsraum oder auch als Umgebung für ein schräges Kasperle-Theater her. Über plappernde Bettpfannen oder einen Mini-Sensenmann muss sich hier nun wirklich niemand wundern. Während eine der Türen im Hintergrund die ganze Zeit über verschlossen bleibt, befindet sich hinter der anderen die Patientin „Piep“ – eine Dame, die nur noch auf ihr Ableben zu warten scheint, von den anderen Heimbewohnern jedoch als vollwertige Leidensgenossin angesehen wird. Die Querverweise auf die sterbende Piep sind ganz eindeutig die Handschrift vom Schmidt Theater. Genauso so schräg und unangepasst erwarten die Zuschauer „ihr“ Schmidt’s.

Was man jedoch als Stammgast so nicht erwartet hat, ist die etwas unstimmige Musik. Teilweise könnte man sie sogar als langweilig bezeichnen. Üblicherweise bestechen Martin Lingnaus Kompositionen durch Geschwindigkeit und Witz, doch in diesem Fall passt sich die Musik dem Thema Rentner an und dümpelt recht unaufregend dahin. Das ganze Gegenteil sind die Texte von Heiko Wohlgemuth, die phasenweise erfrischend frech, verliebt säuselnd, herrisch befehlend oder einfach nur motzig daherkommen.

Das Gesamtbild bei der „Villa Sonnenschein“ stimmt. Man bekommt zu großen Teilen, das was man vom Schmidt’s kennt und wird nicht von soviel Neuem überrascht, dass man meint, man säße im falschen Theater. Die Idee mit den Handpuppen ist sicherlich nicht neu, aber sie ist in dieser Form das erste Mal in Europa zu sehen und macht Lust auf mehr.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Premiere: August 2005
Darsteller: Nik Breidenbach, Carolin Spieß, Benjamin Zobrys
Buch / Musik: Thomas Matschoß  / Martin Lingnau
Fotos: Schmidt Theater