home 2013 Ein etwas langatmiger Klassiker mit kreativen Kulissen

Ein etwas langatmiger Klassiker mit kreativen Kulissen

Erneut wagt sich das Theater Lübeck zur Spielzeiteröffnung 2013/2014 an einen klassischen Musicalstoff: Mitch Leighs Tony-dekoriertes Stück „Der Mann von La Mancha“ findet in der Regie von Pascale-Sabine Chevroton seinen Weg ins 21. Jahrhundert.

Anstatt jedoch das Stück einer radikalen Verjüngungskur zu unterziehen, belässt man Kostüme und Bühne im Stil des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Der Bühnenboden ist mit Holzspänen ausgestreut, die Kostüme sind in Beige- und Brauntönen gehalten, auch die Requisiten wirken stimmig.

„Der Mann von La Mancha“ ist als Stück im Stück aufgebaut. Die Handlung spielt auf drei Ebenen: Der Schriftsteller Miguel Cervantes wartet im Gefängnis auf die Inquisition. Er muss sich zudem vor seinem Mitgefangenen als angeklagter Idealist, schlechter Dichter und Ehrenmann rechtfertigen und verteidigt sich mit der Geschichte von Alonso Quijana, der wiederum in seiner Phantasiewelt als Don Quixote de la Mancha zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat.

Gemeinsam mit seinem Knappen Sancho Pansa reitet Don Quixote ins erste Abenteuer. Dabei werden Rosinante und der Esel mit unterschiedlich hohen Leitern und verschiedenartigen Pappmaché-Köpfen stilisiert dargestellt. Das funktioniert sehr gut, zumal die Puppenspieler Augen und Ohren der Tierköpfe mit bewegen können und so die Illusion einer aktiven Teilnahme am Geschehen erzeugen. Auch die weltbekannten Windmühlen, die Don Quixote für einen Riesen hält, werden durch sich drehende Leitern im Hintergrund nur angedeutet. Doch in dieser Konsequenz ergänzen sich Bühnenbild und Requisiten ideal.

Eine immer wieder ins Geschehen eingebundene Flamenco-Tänzerin (Cornelia La Minera) zeigt überdeutlich, dass wir uns an diesem Abend in Spanien befinden. Leider fehlt es ihr ein wenig an Feuer, so dass sie mehrfach eher verstörend und fehl am Platz wirkt.

Durch den hohen Dialoganteil dauert es nach der voluminösen Ouvertüre sehr lange bis das Musical an Fahrt gewinnt. Sancho Pansas Liebeserklärung an seinen Herrn „Ich mag ihn“ ist die erste rundum gelungene Szene, die mit viel Selbstironie auftrumpft. Dies mag aber auch daran liegen, dass Theodor Reichardt (Sancho Pansa) über viel komödiantisches Geschick verfügt und seine Nebenfigur treffend in den Vordergrund zu lenken weiß.

Vasiliki Roussi gibt eine wunderbar widerborstige Aldonza, die sich zunächst im wahrsten Sinne mit Händen und Füßen gegen Don Quixotes Anhimmelung als Dulcinea wehrt. Sie zeigt gleichsam unbändige Energie als Schenken-Dirne als auch tiefe Gefühle an Quijanas Sterbebett. Ihre rauchige, ungewöhnliche Stimme ist sicherlich Geschmackssache, aber das Lübecker Publikum liegt ihr zu Füßen.

Das Finale des ersten Akts erinnert „A Chorus Line“, tanzt das Ensemble mit den „Goldhelmen des Mambino“ zumindest ansatzweise die bekannten Zylinder-Choreographien von Michael Bennett nach.

Die zweite Hälfte ist wesentlich kompakter und weniger langatmig als der erste Akt. Der Showstopper „Der unmögliche Traum“, den man von unzähligen Musical-Galas kennt, wird von Hauptdarsteller Steffen Kubach gut über die Rampe gebracht, doch seine sehr pointierte Aussprache stört die Harmonie des Songs ein wenig. Die folgende aberwitzig choreographierte Kampfszene versöhnt hierfür.

In Sachen Gesang lässt es das Ensemble an einigen Stellen sehr vermissen. So spielt Norbert Wendel den Gastwirt und Gouverneur durchweg überzeugend, doch seine Gesangssequenzen ähneln mehr einem Sprechgesang und haben mit Musical nicht viel gemein. Hingegen verkauft sich Boris Becker als Herzog und Dr. Carrasco deutlich unter Wert. Beim Finale wird deutlich, dass er gesanglich sehr viel mehr zu bieten hat als seine Rolle hergibt. Dino di Iorio holt als Pater alles aus seinen Mini-Part heraus und hinterlässt einen charmanten bleibenden Eindruck.

Pascale-Sabine Chevroton zeichnet neben der Regie auch für die Choreographie verantwortlich. Besonders gelungen die Vergewaltigungsszene, in der Aldonza erfolglos versucht, sich die Saufbolde in der Schenke vom Hals zu halten. Die Seiltuch-Choreographie fügt sich perfekt ein und komplettiert eine Szene, die sehr an experimentelles Tanztheater erinnert.

Sehr kreativ und aus der übrigen Inszenierung eher unpassend herausragend, sind die Kostüme der Inquisitoren, die einen von Cervantes‘ Zellengenossen abholen sowie des großen Magiers (Becker), der nicht nur optisch an Darth Vader erinnert, sondern durch die Stimmverzerrung auch ähnlich seltsam klingt.

Stimmig wirkt es hingegen wieder als zum Finale alle Phantasiegestalten, denen Don Quixote im Laufe seines Lebens (nicht jedoch im Rahmen des Musicals) begegnet, gemeinsam mit allen anderen Ensemblemitgliedern auf der Bühne stehen.

„Der Mann von La Mancha“ erzählt die Geschichte von einem Mann, der nur an das Gute im Menschen glaubt. Er hält „Tatsachen für die Feinde der Wahrheit“ und kann sich nicht vorstellen, dass irgend jemand das anders sehen könnte. Leider schafft es die aktuelle Lübecker Inszenierung nicht, diese positive Lebenseinstellung zu vermitteln. Dem Stück fehlt es an Schwung, obwohl Kubach seine drei Rollen mit viel Energie über die Rampe bringt. Doch es gelingt ihm nicht, das Stück allein zu tragen. Die Nebensteller Roussi und Reinhardt haben zwar ihre Highlight-Momente, doch auch sie tragen nicht zu einem gelungenen Ganzen bei. Das ist sehr schade, denn das Orchester intoniert die bald 60 Jahre alten Melodien mitreißend und die Bühne lässt viel Spielraum zwischen dem Gefängnis-Käfig und der Phantasiewelt Don Quixotes.

Vielleicht wäre es nach 60 Jahren an der Zeit, Leighs Werk einmal grundlegend zu entstauben, zu straffen und die Charaktere noch mehr auszuarbeiten. Das erfordert natürlich Mut (und die entsprechenden Rechte seitens des Verlags), aber zumindest in Ansätzen war von dem erforderlichen frischen Geist und Mut im Lübecker Theater etwas zu spüren.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Theater Lübeck
Premiere: 23. August 2013
Darsteller: Steffen Kubach, Vasiliki Roussi, Theodor Reichardt
Regie: Pascale-Sabine Chevroton
Fotos:  Jochen Quast