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Charles Manson – Summer of Hate

Wenn ein Musical „nur“ 105 Minuten lang ist und schon bei der Uraufführung ohne Pause gespielt wird, fragt man sich unweigerlich, ob es für diese Entscheidung einen Grund gibt. Im Fall von „Charles Manson – Summer of Hate“ gibt der Untertitel „Ein musikalischer Trip zwischen L. A. und dem Death Valley” auch nur wenig mehr Aufschluss. Das Publikum wird wahrhaftig auf einen Trip geschickt – aber leider nicht auf einen positiven.

Dabei fängt es durchaus gut an: Die Bühne des Hamburger Thalia Theaters ist mit Sand ausgestreut, es liegen trockene Büsche und Steine herum, es fehlt nur noch die obligatorische Mundharmonikamelodie und das Wüsten-/Western-Feeling wäre perfekt. Die Band wird hinter einem Paravent platziert, durch dessen Fenster man das Geschehen dahinter mit verfolgen kann.

Zu Beginn tragen alle Darsteller, inkl. der Damen, einen Bart, der für Charlie Manson so bezeichnend ist. Der Paravent öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen bühnenhohen Drahtzaun. Es gibt nunmehr zwei sichtbare Spielebenen. Doch auch hinter dem Zaun passiert noch etwas. Das dortige Geschehen wird live mit einer Kamera aufgenommen und wiederum vorn auf den Zaun projiziert. Manchmal werden auch Originalvideos mit Interviews oder aus TV-Berichten dazwischen geschnitten.

So abwechslungsreich die Spielebenen, so uneinheitlich ist auch die Sprache im Stück. Die Dialoge finden mal auf Englisch, mal auf Deutsch statt. Schade ist in diesem Zusammenhang, dass einige Worte falsch übersetzt wurden. So ist zum Beispiel in einem Hintergrundvideo von einer Fesselung mit einem ‚tie‘ (Schlips / Krawatte) die Rede, was die im Vordergrund spielende Darstellerin mit ‚Handtuch‘ (im englischen: towel) übersetzt.

Viele Szenen wirken zusammenhanglos, so verwirrend wie die Titelfigur Charles Manson selbst. Dem jüngeren Publikum sagt der Name wohl eher nichts. Aber es darf auch bezweifelt werden, dass die älteren Zuschauer diese sehr amerikanische Geschichte in den 1960er Jahren bis ins Detail verfolgt haben.

Ein umfangreiches Programmheft gibt einen Überblick über die Zeitgeschichte und zeichnet Charles Mansons Lebensweg nach. Aber auch nach dem Studium dieser fast 60 Seiten hat man nicht das Gefühl, wirklich klar zu sehen.

Die Musik fügt sich gut in dieses schräge Gesamtkonzept ein. Manche Titel sind sehr gefällig, andere wiederum sind so disharmonisch, dass man sich fast die Ohren zuhalten möchte (bspw. „Your home is where you’re happy“).

Das sehr entspannte, freie Kommunenleben der ‚Family‘ wird sehr gut dargestellt. Die sexuellen Gepflogenheiten und wie man ein Teil dieser Familie werden konnte, werden sehr ausschweifend beschrieben. Hierzu erzählen fünf Frauen ihre persönliche Geschichte; im Hintergrund laufen Originalvideos und -fotos der Damen. Die Verehrung Charlie Mansons als Vaterfigur und Führer wird überdeutlich.

Nichtsdestoweniger fehlt der rote Faden in der Handlung. Denn nach dieser Beschreibung von Interna verschiedenster Art folgt ein Rock-Song mit gleich drei Charles Manson Darstellern. Das Publikum wird vollständig durch einen Scheinwerfer geblendet und man kann dem Konzert nur noch akustisch folgen. Spätestens jetzt wird klar, warum im Foyer überall kostenlose Ohrstöpsel verteilt wurden.

Der Massenmord, für den Manson schließlich verurteilt wurde, wird sehr beklemmend nachgezeichnet. Dass die zwei Blondinen im Pool darüber lästern wie über den neuesten Modetrend, wirkt einmal mehr unpassend. Die in der Folgeszene ausgeschnittenen Augen im Video einer Mittäterin gehen noch einen Schritt weiter und haben Horrorfilm-Charakter.

Nach genau 105 Minuten endet das Stück und das Publikum bleibt verwirrt zurück. Alle Darsteller (Alicia Aumüller, Franziska Hartmann, Jörg Pohl, Sebastian Rudolph, Maja Schöne, Tilo Werner) haben einen sehr guten Job gemacht. Sowohl gesanglich als auch schauspielerisch überzeugen sie gleichermaßen. Auch die kleine Band ‚Trümmer‘ unter der Leitung von Christopher Uhe hat das Theater vollständig mit ihrem Rock-Pop-Sound gefüllt. An Tabea Brauns Kostümen der 60er und 70er Jahre gibt es genauso wenig auszusetzen wie an dem sehr gelungenen Bühnenbild (Stéphane Laimé).

Doch das Buch und die Regie von Stefan Pucher geben Rätsel auf. Die Ereignisse werden nicht chronologisch nacherzählt. Wer im jeweiligen Moment der Aufführung im Mittelpunkt steht, ist auch nicht klar. Es wird nicht Position bezogen (Sind Regisseur oder Autor Fans der Musik? Oder finden sie einfach nur das Kommunenleben spannend?). Auch eine ‚Moral von der Geschichte‘ vermisst man. Wertfreie Betrachtungen von historischen Ereignissen sind sicherlich keine schlechte Sache, aber im Fall von ‚Charles Manson – Summer of Hate‘ fühlt sich der Zuschauer ohne Leitplanke und finale Aussage etwas verloren.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Thalia Theater, Hamburg
Premiere: 26. September 2014
Darsteller: Alicia Aumüller, Franziska Hartmann, Jörg Pohl, Sebastian Rudolph, Maja Schöne, Tilo Werner
Regie & Buch: Stefan Pucher