home Interviews mit Kreativen Wolfgang Adenberg: Es ist einfacher, fünf Blockbuster zu übersetzen als einen zu schreiben

Wolfgang Adenberg: Es ist einfacher, fünf Blockbuster zu übersetzen als einen zu schreiben

Wolfgang Adenberg hat sich in den letzten Jahren vor allem durch seine Adaptionen großer Ensuite-Musicals einen Namen gemacht. „Titanic“, „The Scarlet Pimpernel“, „42nd Street“ und „The Wild Party“ sind nur einige dieser Shows. Kürzlich hinzugekommen ist die Adaption von fünf Queen-Songs für „We Will Rock You“ sowie die Adaption der kompletten Songtexte für die „3 Musketiere“ in Berlin und „The Last 5 Years“ in Wuppertal. Dass der gebürtige Kölner wesentlich mehr macht als einfach nur Texte zu übersetzen, sondern sich in erster Linie als Autor eigener Stücke sieht, erzählte er blickpunkt musical im Interview.

Michaela Flint: Wie gefallen Ihnen die „3 Musketiere“ in Berlin?

Wolfgang Adenberg: Ich bin sehr froh, dass wir eine so gute Show auf die Beine gestellt haben, denn es war ein langer Weg. Die „3 Musketiere“ waren in Rotterdam noch nicht wirklich fertig. Das lag unter anderem auch daran, dass Paul Eenens, der Regisseur, das Stück erst sechs Wochen vor der Premiere übernommen hatte. Die holländische Fassung galt von Anfang an als Try-Out für eine andere Stadt – sozusagen Rotterdam als Boston und Philadelphia für Berlin.
In Berlin hat man dann das Gute aus Holland beibehalten und das Unausgegorene geändert. Dazu zählen beispielsweise die Charaktere der Musketiere: In Berlin ist nicht mehr nur Athos ein zentraler Charakter, sondern die beiden anderen stehen ihm gleichberechtigt gegenüber.

Michaela Flint: Wieso wird bei der Übersetzung der Texte getrennt zwischen Dialog- und Songtexten?

Wolfgang Adenberg: Das liegt daran, dass Ruth Deny, die Dialogübersetzerin, schon die unglaubliche Zahl von 1000 Filmen ins Deutsche übertragen hat. Ihre Erfahrung auf diesem Gebiet ist unschlagbar. Theoretisch hätte ich auch die Dialoge und sie die Songtexte übersetzen können. Aber die Stage Holding wollte in jedem Bereich einen Spezialisten, und deshalb wurde das getrennt.

Michaela Flint: Sie haben ja auch schon früher mit Ruth Deny zusammen gearbeitet. Wie muss man sich den konkreten Prozess vorstellen?

Wolfgang Adenberg: Das hängt maßgeblich davon ab, wie früh wir mit dem Übersetzen anfangen können. Mir kommt es sehr entgegen, wenn ich ein halbes Jahr Vorlaufzeit habe, doch das kommt immer seltener vor, da die Spielplan-Entscheidungen recht kurzfristig getroffen werden.
Ruth Deny und ich ergänzen uns sehr gut, deshalb kann jeder für sich seinen Teil der Arbeit erledigen, und wenn das Ganze dann zusammengesetzt wird, wirkt es trotzdem wie aus einem Guss. Unsere Arbeit muss zwar beendet sein, bevor die Proben beginnen, aber auch während der Probenzeit gibt es öfters noch Änderungen.
Bei den „3 Musketieren“ hatten wir große Freiheiten in unserer Arbeit. Ich konnte im Prinzip machen, was ich wollte – solange ich die Quintessenz der Songs beibehielt. So kommt es, dass aus „Ik ben een vrouw, ik ben een vrouw“ „Wer kann schon ohne Liebe sein?“ wurde.

Michaela Flint: Wieviel musikalisches Fachwissen muss man als Übersetzer von Songtexten haben? Muss man auch selbst komponieren können?

Wolfgang Adenberg: Man braucht vor allem rhythmisches Verständnis. Vielleicht würde es helfen, wenn man selbst komponieren könnte, aber leider kann ich das nicht. Ich kann gerade mal leidlich Klavier spielen. Man muss wissen, wie der Sprachrhythmus auf die jeweilige Musik funktioniert und muss insoweit kompositorisches Verständnis haben, dass man erkennt, wo Auftakte möglich sind, d. h. wo Noten eingefügt werden können, ohne dass die Melodie darunter leidet.

Michaela Flint: Worin genau besteht eigentlich der Unterschied zwischen einem Übersetzer und einem Adapteur?

Wolfgang Adenberg: Den Begriff des Adaptierens hat Michel Kunze geprägt, um zu verdeutlichen, dass es sich bei Liedtexten eben nicht um eine Übersetzung handelt. Vielmehr schreibt man den Text komplett neu: Der Reim muss stimmen, Silbenzahl und Betonung müssen dieselbe sein wie im Original, der Geist eines Textes muss erhalten bleiben. Es ist ein Nachdichten, aber kein Übersetzen. Ich selbst bevorzuge es, auf eine Funktionsbezeichnung ganz zu verzichten und stattdessen zu schreiben: „Deutsche Fassung von…“

Michaela Flint: Inwieweit beeinflussen der Klang und die Rhythmik der Originalsprache Ihre Texte?

Wolfgang Adenberg: Am Anfang ist es immer schwierig, die Originalsprache auszublenden. Wenn ich mich nur auf sie konzentriere, ist es fast unmöglich, eine deutsche Entsprechung dafür zu finden. Ich muss also bewusst mein Unterbewusstsein einschalten: Ich höre die Lieder so oft, bis sie mir in Fleisch und Blut übergegangen sind. Wenn ich sie schließlich auswendig kann, passiert dieser besondere Moment, dass mir ein Melodiefetzen durch den Kopf schießt und ich ihn mit der deutschen anstatt der fremdsprachigen Bedeutung verknüpfe. Und plötzlich ist die Lösung da. Durch die Gewöhnung wird die Sprachbarriere ausgeschaltet.

Michaela Flint: Es gibt in Deutschland ja nicht gerade viele Texter, die Musicals aus anderen Sprachen ins Deutsche übertragen… Muss man sich als Adapteur trotzdem genauso bewerben wie die Künstler auf der Bühne?

Wolfgang Adenberg: Es werden öfters Ausschreibungen veranstaltet, bei denen man Lieder zur Probe übersetzen muss. „Titanic“ ist so ein Beispiel. Ich befürworte solche Ausschreibungen auch und beteilige mich ohne falschen Stolz daran. Bei „We Will Rock You“ musste ich mich beispielsweise einer Konkurrenz stellen. Das kam für mich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, da ich genau in dieser Woche Vater einer kleinen Tochter geworden und mit meinen Gedanken ganz woanders war. Ich dachte, meine Karriere sei endgültig zu Ende, weil mir beim besten Willen nichts einfallen wollte. Wir hatten zwar eine echte, ständig schreiende Killer-Queen zu Hause, aber zu einem Text hat sie mich damals noch nicht inspiriert. Ein paar Tage später musste ich dann mit dem Zug nach Stuttgart fahren, und auf dieser Bahnfahrt habe ich den kompletten Text für „No One But You“ geschrieben, der in der Show genauso geblieben ist, wie er mir damals einfiel. Der Text für „Killer Queen“ kam dann auf der Rückfahrt.

Michaela Flint: Wovon hängt es Ihrer Meinung nach ab, ob Sie für ein Projekt geeignet sind oder nicht?

Wolfgang Adenberg: Zum einen spielt hier die Musikrichtung eine Rolle, aber auch der Stil eines Stücks. Ich würde meinen persönlichen Stil mit dem unübersetzbaren Wort „sophisticated“ beschreiben, also etwa kultiviert-witzig. Womit ich eher Probleme habe, ist das schwülstige Pathos.

Michaela Flint: „We Will Rock You“ zählt genau wie „Mamma Mia!“ zu den derzeit sehr erfolgreichen Compilation Shows. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass diese Popmusicals zurzeit so aus dem Boden schießen? Haben die Autoren keine Ideen mehr oder sind die Produzenten nicht mutig genug?

Wolfgang Adenberg: Es ist eine ganz simple Win-Win-Situation: Das Publikum bekommt genau das, was es will – nämlich das, was es schon kennt. In unserer unsicheren Zeit scheinen die Zuschauer im Theater etwas Vertrautes zu brauchen, woran sie sich festhalten können, das ihnen Sicherheit gibt. Genau das bieten die Musicals mit bekannten Melodien. Aber auch die Theater freuen sich, weil sie immer ausverkauft sind, die Schauspieler sind zufrieden, weil sie Abend für Abend bejubelt werden, und die Autoren verdienen auch nicht schlecht daran. Also sind alle zufrieden – oder nicht?
Für mich sind diese Shows jedenfalls eine gute Fingerübung.

Michaela Flint: Was genau meinen Sie damit?

Wolfgang Adenberg: Ich habe zwar als Übersetzer einen höheren Bekanntheitsgrad, aber ich sehe mich in erster Linie als Autor eigener Stücke. Jedes Jahr kommt mindestens eine Uraufführung von mir heraus, die auch immer erfolgreich ist, aber natürlich nicht zu vergleichen mit den großen Musicals, hinter denen eine riesige Marketingmaschinerie steht. Es ist nun mal einfacher, fünf Blockbuster zu übersetzen als einen zu schreiben.
Und zu meinen eigenen Stücken zählen mit „What A Feeling!“, „Swing Sisters“ und „Fred vom Jupiter“ auch Compilation Shows. Natürlich kann man sagen, dass hierbei die hehre Kunst mit Füßen getreten wird. Aber wenn es gut gemacht ist, wie beispielsweise „Our House“, dann kann man diese Art von Musicals gut akzeptieren.  Als Autor habe ich dabei den Ehrgeiz, die Songs nicht in eine hanebüchene Handlung hereinzupressen (zugegeben: „Fred vom Jupiter“ war da eine Ausnahme, aber hier war die Absurdität Stilmittel), sondern etwas zu schreiben, das auch ohne die Songs funktionieren würde, mit glaubhaften Charakteren, die man ins Herz schließen kann, und spritzigen, intelligenten Dialogen – ein Stück, dem man gerne folgt und bei dem man nicht nur darauf wartet, dass endlich das nächste Lied gesungen wird.
Die Königsdisziplin ist aber weiterhin ein Originalmusical mit neuem Buch, neuer Musik und neuen Liedtexten. Mit „Fletsch“, „Cyrano de Bergerac“ und „Emil und die Detektive“ habe ich davon bisher drei geschrieben.

Michaela Flint: In den letzten Jahren haben Sie viele größere und kleine Musicals übersetzt. Wann finden Sie die Zeit noch eigene Stücke zu schreiben?

Wolfgang Adenberg: Das funktioniert ganz gut. Beispielsweise habe ich parallel zu „We Will Rock You“ an „Pinkelstadt“ gearbeitet und „Swing Sisters“ geschrieben. Wenn man bei dem einen Stück nicht weiterkommt, geht man einfach zum nächsten über.

Michaela Flint: Kleinere Musicals wie „Pinkelstadt“ oder “The Last 5 Years“ werden in erster Linie an Stadttheatern gespielt, obwohl sie durchaus das Potential hätten, größere Säle zu füllen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Wolfgang Adenberg: Produzenten nehmen sich lieber den Musicals an, die sich schon in anderen Ländern bewährt haben. Schließlich müssen sie für Produktion und Marketing eine Menge Geld investieren. Aber die Stage Holding entwickelt immerhin zurzeit viele eigene Musicals. Und man darf nicht übersehen, dass sie auch bei „Pinkelstadt“ und „The Last 5 Years“ als Co-Produzent mit im Boot ist.

Michaela Flint: Welche eigene Stücke würden Sie als Ihre größten Erfolge bezeichnen?

Wolfgang Adenberg: Ganz klar “What A Feeling“ und „Emil und die Detektive“. „Emil“ läuft zurzeit an vielen kleinen Theatern und wird auch oft von Schulen aufgeführt. Wir, d. h. der Komponist Marc Schubring und ich, hoffen, dass es so etwas wie das deutsche „Joseph“ wird, das ja zunächst auch hauptsächlich an Schulen aufgeführt wurde.
Als Übersetzer ist es für mich ein besonderer Erfolg, im Theater des Westens gespielt zu werden. Ich war schon vor 20 Jahren das erste Mal dort, und damals stand es für das Höchste, was man im deutschen Musical erreichen konnte. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Michaela Flint: Was sind Ihre aktuellen Projekte? Haben Sie Ziele, auf die Sie hinarbeiten?

Wolfgang Adenberg: Aktuell habe ich gerade „The Last 5 Years“ beendet, das im Juni Premiere in Wuppertal feiert. Als Übersetzer würde ich sagen, dass ich meine Ziele erreicht habe. Das gleiche nun als Autor zu schaffen, ist das nächste Ziel. Zurzeit arbeite ich mit Marc Schubring an einem neuen Originalmusical, das auf einem britischen Film mit Alfred Molina basiert. Im Sommer werden wir unsere Arbeit daran beendet haben und dann daran gehen, eine geeignete Bühne zu finden.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass mehr Produzenten erkennen, dass sie mich nicht ausschließlich als Übersetzer, sondern ebenso gut als Autor beauftragen können.

Michaela Flint: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre aktuellen Projekte und hoffen, Ihr neuestes Werk bald auf einer deutschen Bühnen sehen zu können.

Mehr Informationen unter www.adenberg.de

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical