Christian H. Voss hat sich eine sehr unterhaltsame Schlagerrevue ausgedacht, die er bei den diesjährigen Burgfestspielen in Bad Vilbel zur Uraufführung bringt. Es geht um Sabine, die ungewollt schwanger ist. Michael, der Vater, freut sich sehr, doch wie sollen die beiden diese Neuigkeit ihren Eltern beibringen? Sabines Eltern sind sehr konservativ, ihr Vater führt ein strenges Patriachat, auch wenn Mutter Ursula durchaus Modernisierungstendenzen hat. Michaels Eltern, Johannes und Anni, sind das komplette Gegenteil und leben in einer bunten Kommune, in der es keine Regeln gibt und wo man lieber mit bewusstseinserweiternden Substanzen experimentiert.
Dass wir uns in den 1960er Jahren befinden, machen einige Nachrichten-Schlagzeilen zu Beginn des Stücks mehr als deutlich: „Ich bin ein Berliner“, „I have a dream“, „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“, „Rahn schießt, Tor Tor Tor!“ – diese Zitate kann nun wirklich jeder zeitlich einordnen.
Und wenn das nicht hilft, geben das kunterbunte Bühnenbild und die nicht minder farbenfrohen Kostüme mit ihren typischen breiten Hemdkragen, Schlaghosen und kurzen Röcken einen weiteren deutlichen Hinweis. Oliver Kostecka (Bühne) und Monika Seidl (Kostüme) schöpfen hier aus dem Vollen. Warum allerdings in der Hippie-Wohnung das Wort „Ecstasy“ an die Rückwand „gepinselt“ wurde, ist etwas seltsam. Denn diese Pillen wurden erst in den 1980er Jahren in größerem Stil auf den Markt gebracht.
Ernst, Ursula und Sabine sind eine wunderbare Klischeefamilie und insbesondere Ernst ist voller Vorurteile: Er sagt, wo es langgeht, Ursula folgt seinem Regiment weitgehend, schützt und versteht ihre Tochter aber auch. Kurzerhand plant sie die Hochzeit von Michael und Sabine, damit die Schwangerschaft legitim wird.
Das obligatorische Kennenlernen der beiden Elternpaare wird – wie nicht anders zu erwarten – chaotisch, lustig. Der Vergleich, dass dieses Treffen einem Tanztee von Chrustschow und Kennedy ähnelt, ist sehr treffend gewählt.
Dank eines sehr besonderen Mitternachtsimbisses entdecken in der Folge Ernst und Uschi ihre Libido neu, Ernst und Johannes entwickeln eine gemeinsame glücklich machende Produktlinie für Ernsts Bäckerei und Sabine und Michael entscheiden sich für ihr Kind, aber gegen eine sofortige Heirat.
Diese Revue lebt von Situationskomik, die die Protagonisten allesamt sehr gut beherrschen. Theodor Reichert alias Johannes spielt den Hippie-Papa sehr pointiert, steckt das Publikum mit seinem Lachen an und ist in seiner laxen, sehr entspannten Art ein großer Sympathieträger. Michaels Mutter Anni wird von Susanne Rögner gespielt. Sie kann ihrem sehr präsenten Gatten nicht wirklich etwas entgegensetzen, passt aber trotzdem sehr gut in die Hippie-Runde. Wenn dort eine große Kissenschlacht stattfindet oder die Hippies „die Internationale“ singen, ist sie die perfekte „Mutti“. Ganz anders, aber nicht weniger amüsant sind ihre Versuche, Ursula Details zu deren Sexualleben zu entlocken (Stichwort Oswald Kolle).
Zur Hippie-Kommune gehört auch Frank (gespielt von Martin Planz). Er hat eine spannende Rockröhre und spielt den irgendwie doch in traditionellen Strukturen festhängenden Möchtegern-Chef des Hippie-Clans („Frauen waschen ab“) sehr gut. „The Who“s „My Generation“ intoniert er wunderbar exzentrisch und sein Habitus ist entsprechend auslandend.
Der strenge, traditionsbewusste Ernst wird von Kai Möller gegeben. Er spielt den unerschütterlich an seinem „Das haben wir schon immer so gemacht!“ festhaltenden Vater überaus glaubhaft. Umso lustiger wird es, wenn er unter Drogeneinfluss eine doch sehr nachdrückliche Bewusstseinsänderung durchlebt. Gesanglich ist er nicht so stark, sein „Paint It, Black“ ist eher weniger harmonisch und die Intensität dieses Rolling Stones Hits geht leider verloren.
Silke Dubilier gelingt die Darstellung der aus ihrem engen Korsett ausbrechenden Ursula sehr gut. Die „Szenen einer Ehe“, als sie mit Ernst ihre neu gewonnenen Erkenntnisse für mehr Schwung im Ehebett ausprobieren will, sind brüllend komisch. Ihr „Satisfaction“ nach den gescheiterten Versuchen, ihr Liebesleben anzufachen, ist schlichtweg spitze. Hinweise auf aktuelle politische Geschehnisse („Es gibt keinen Fraktionszwang!“) sorgen für zusätzliche Stimmung!
Die gegen die Konventionen ihres Elternhauses aufbegehrende Sabine wird von Sarah Laminger sehr sympathisch angelegt. Sie weiß, was sie will und ist bereit, dafür gegen Widerstände anzukämpfen. Laminger ist gesanglich etwas unausgewogen. Wenn sie in der Bruststimme singt, ist sie herausragend, singt sie in der Kopfstimme, wirkt sie sehr unsicher. Das fällt direkt am Anfang beim Duett („I got you babe“) mit Michael besonders auf, wiederholt sich aber im Laufe des Abends noch mehrfach.
Krisha Dahlke gewinnt als Michael nicht nur Sabine im Sturm. Auch die Zuschauer schließen den liebevollen jungen Mann sofort in ihr Herz. Er ist diplomatisch und vereint die Vorteile aus beiden Welten (Hippiekultur und Kleinbürgertum). Er ist es auch, der das Geheimnis der Schwangerschaft vor den Vätern ausplappert und das ganze Chaos verursacht, welches das Publikum zweieinhalb Stunden hervorragend unterhält. Gesanglich hat er mit „Yesterday“ und „My Song“ zwei wunderschöne Balladen zu intonieren, was er auch durchaus sehr schön macht.
Diese Revue ist zwar keine Mitmach-Show, doch das hält das Publikum nicht davon ab, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitzuklatschen oder gar lauthals mitzusingen. Einerseits zeigt dies, dass Voss mit seiner Revue das Publikum perfekt abholt. Andererseits übertönen diese Gesänge mehrfach die Darsteller auf der Bühne, was man durchaus als mangelndem Respekt bezeichnen könnte. Gut, dass es in der Burgruine etwas enger ist, sonst würden sicherlich nicht wenige Zuschauer in die Tänze des Ensembles einstimmen (Choreographie: Martin Ruppel).
„Summer in the City“ macht Spaß, ist kurzweilig und eine sehr gelungene Produktion, die als Open Air Revue im Sommer perfekt platziert ist.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Besuchte Vorstellung: 29. Juni 2017
Musikalische Leitung / Regie: Philipp Polzin / Christian H. Voss
Fotos: Eugen Sommer