home 2006 Wird aus dem Kult-Film ein Kult-Musical?

Wird aus dem Kult-Film ein Kult-Musical?

Die Antwort lautet ganz sicher: Nein! Denn das, was Film- und Stück-Autorin Eleanor Bergstein in Hamburg auf die Bühne brachte, ist kein Kult, sondern provinzielles Tanztheater mit Musik vom Band. Weder inszenatorisch, noch technisch, musikalisch oder von der Ausstattung her, bietet „Dirty Dancing – Das Original live on Stage“ kultige Ansatz-punkte. Das, was den Zuschauern dort geboten wird, facht die Preis-Leistungs-Diskussion erneut an: Dass die Stage Entertainment mit den Eintrittspreisen ihrer Ensuite-Produktionen nie da gewesene Schranken sprengt, ist nichts Neues, aber immerhin bekommt man in anderen Musicals etwas für sein Geld geboten – sei es die Partystimmung bei „Mamma Mia!“, die Ausstattung bei den „3 Musketieren“ oder „Tanz der Vampire“ oder herausragende Einzelkünstler wie derzeit beim „Phantom der Oper“ oder der „Best of Musical“-Gala. Sicherlich wartet auch „Dirty Dancing“ mit einem erfahrenen Kreativ-Team auf, auch stehen dort sehr gute Sänger, Tänzer und Schauspieler auf der Bühne – doch bedauer-licherweise lässt die strenge filmische Regie es kaum zu, dass das Publikum etwas von dieser Qualität wahrnimmt.

Doch beginnen wir am Anfang, genau genommen mit dem Satz: Es war im Sommer ‚63…“ Die Einleitung schürt die Hoffnung auf eine filmnahe Umsetzung der Bühnenfassung, doch schon bei den Klängen des ersten Songs zuckt man zusammen: „This Magic Moment“ wird – wie in der Folge noch einige durch den Film bekannt gewordene Songs – von Sabrina Weckerlin auf Deutsch gesungen. Die Absolventin der Joop van den Ende Academy ist eine hervorragende Wahl als „Lead Sängerin“. Die wenigen Stücke, die überhaupt live gesungen werden, lassen erahnen, wie viel Potential in der jungen Sängerin steckt. Doch leider darf sie ihre Songs nur mit gebremstem Schaum interpretieren. Insgesamt hält sich der Anteil der übersetzten Stücke in Grenzen, so dass man festhalten, dass von der zwanghaften Übersetzung jedes gesungenen Wortes (wie in „Mamma Mia!“) Abstand genommen wurde. Zum großen Glück wurde „The Time of my Life“ nicht angetastet und ist in Originalsprache zu hören. Dass Songs wie der „Hula Song“ und die Kellerman-Hymne zum Finale übersetzt wurden, ist verständlich und macht in dieser Form auch Sinn.

Wenn wir schon bei der Musik sind: Das ehemals große Orchester von knapp 30 Mitgliedern wurde auf eine gerade einmal zehnköpfige Band zusammengeschrumpft. Diese Band ist in einer Handvoll Szenen auf der Hauptbühne zu sehen, ansonsten verstärkt sie die Bandeinspielungen, die in großer Zahl eingesetzt werden, durch einzelne Instrumente.

Doch das größte Ärgernis ist, dass „She’s like the Wind“, einer der bekanntesten Songs aus dem Film, nicht gesungen wird. In der entsprechenden Abschiedsszene hört man stattdessen die ersten 30 Sekunden des Songs in instrumentaler Fassung mit einem Saxophon als „Gesangsstimme“. Und dabei steht Johnny-Darsteller Martin van Bentem vollkommen verloren auf der Bühne… Hier ist eine herausragende Chance für einen Showstopper nicht genutzt worden.

Generell ist der Wiedererkennungseffekt bei der Bühnenfassung vor allem dann hoch, wenn Original-Zitate zu hören sind: „Mein Baby gehört zu mir, ist das klar?!“ ist ein solcher Satz. Wann immer die Darsteller auf der Bühne die gleichen Worte wie im Film einsetzen, johlt das Publikum. Doch auch hier gibt es eine Schattenseite: Einige Dialoge sind umgeschrieben, modernisiert und dadurch verschlimmbessert worden: Vivian Pressman wird von einer ‚Bungalow-Prinzessin’ zu einem ‚Hotel-Häschen’, die ‚nicht so schönen Schwestern’ direkt zu ‚Schreckschrauben’ und aus der ‚Klugscheißerin’ Baby wird ein umständliches ‚Fräulein weiß immer alles’. Ganz extrem ist auch die gestelzte Ausdrucksweise: Statt Hebungen wird immer von Hebefiguren gesprochen. All diese Änderungen sind absolut unnötig. Während in den genannten Beispielen noch eine gewisse „Andersartigkeit“ und Abgrenzung vom Original deutlich wird, sucht man die Originalität in anderen Dialogen komplett, bspw. in der Szene, in der Baby Johnny zum ersten Mal in seinem Bungalow besucht: Johnny sagt:

„Ich weiß, dass ist kein tolles Zimmer. Du hast bestimmt ein tolles Zimmer.“ Baby wirft ein: Nein, es ist ein tolles Zimmer.“ Zwei Sätze weiter sagt Johnny dann: „Es ist toll, was Dein Vater mit Penny gemacht hat. Dein Vater ist ein toller Mann.“ Hallo? Geht’s noch? Ein Musiktheater-Stück sollte, auch wenn eigentlich Musik und Tanzen im Mittelpunkt stehen, doch ein gewisses künstlerisches Niveau auch in den Dialogen haben.

Die Show wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass zahlreiche kleine Szenen hinzugefügt wurden, die die Charaktere mehr ausbauen sollen, letztlich aber doch nur den Handlungsstrang aufhalten. Beispielsweise ein Schwesternstreit, der im Film bewusst gestrichen wurde, bei dem Baby Lisas Unterstützung erpresst. Dass sich die beiden Mädchen nicht ganz grün sind, weiß man auch ohne diesen Einschub. Am überflüssigsten ist jedoch die Szene („This Land is your Land / We shall overcome“), in der Neil Kellerman verkündet, dass er in den Süden gehen und für die Gleichberechtigung der Schwarzen kämpfen will. Zum einen zerstört diese Absichtserklärung den ansonsten klaren, wenig sympathischen, aufstrebenden Managercharakter des Kellerman-Sprosses, zum anderen unterbricht diese Szene den kompletten Handlungsfluss, da man sich urplötzlich in Hippiezeiten und „Hair“ wieder zu finden glaubt.

Doch es gibt auch einige Szenen, die dem eingefleischten Film-Fan gefallen dürften. Die Tanzszene auf dem Baumstamm, die Tanz- und folgende Bettszene in Johnnys Bungalow, die Cha-Cha-Cha lernende Baby auf den Treppen, die Wassermelonen-Szene, Hula-Hannah und natürlich „Love is strange“, das als Bandabspielung von Mickey & Silvia zu hören ist. In diesen Szene ist das Flair zu spüren, dass den Kult am Film ausmacht. Hierzu tragen neben den Original-Choreographien aus dem Film auch das ausgeklügelte Lichtdesign (Tim Mitchell) und die Videoprojektionen (The Crazy Circle) bei. Sowohl der Golfplatz, auf dem Baby ihrem Vater das Geld für Pennys Abtreibung ‚aus der Tasche zieht’ als auch der Wald, in dem Johnny und Baby Gleichgewichtsübungen machen, sind brillant umgesetzt. Auch die Kostüme wurden von Jennifer Irwin wunderbar an die Sechziger Jahre angepasst und erinnern mehr als einmal an die Filmvorlage.

Da die Show mit recht wenig Kulissen und Requisiten sowie einem spartanischen, aber gut gelösten Bühnenbild auszukommen versucht, müssen es also die Darsteller sein, die die Show tragen. Der Casting-Prozess hat für eine Stage Entertainment Show verhältnismäßig lange gedauert. Noch zu Probenbeginn wurde für diverse Rollen nachgecastet. Die Künstler, die schließlich am 26. März die Europapremiere von „Dirty Dancing“ spielen durften, sind sehr gut ausgewählt. Ina Trabesinger überzeugt von den Hauptdarsteller am meisten: Sie spannt den Bogen vom unschuldigen Landmädel zu erwachsenen Frau, von der unbeholfenen Möchtegerntänzerin zum Tanzprofi sehr glaubhaft. Auch Jörg Neubauer ist als Neil Kellerman perfekt besetzt. Die Rolle des ehrgeizigen Aufkömmlings passt wie maßgeschneidert und auch wenn er nur die Kellerman-Hymne zu singen hat, holt er aus dieser Kultszene alles heraus. Die Profi-Tänzer und Sommer-Tanzlehrer Johnny Castle und Penny Johnson werden von Martin van Bentem und Rachel Marshall gespielt. Beide sind technisch hervorragende Tänzer, die jedoch bei all ihrer Technik die Leidenschaft des Tanzen vermissen lassen. Martin van Bentem strahlt noch nicht die Coolness aus, die er als Schwarm aller Frauen, haben sollte. Viele Dialoge kommen noch zu steif und auswendig gelernt über die Bühne. Er ist eine hervorragende Wahl für den Hauptdarsteller, doch Patrick Swayze lässt der gebürtige Holländer nicht vergessen. Und das war das erklärte Ziel von Casting-Chefin Simone Linhof als im letzten Sommer die Europa-Premiere von „Dirty Dancing“ angekündigt wurde. Sowohl im echten Leben als auch auf der Bühne sind Masha Karell und Martin Timmy Haberger ein Ehepaar. Als die Housemans spielen sie ihre Rollen gut und auch der kleine ihnen zugedachte Song („If you were the only Girl in the World“) zeigt ihr liebevolles Zusammenspiel. Ralf Schaedler hat als Billy einen großen Auftritt, wenn er drei Wassermelonen über die Bühne trägt. Er meistert die Szene mit viel Witz und holt das Bestmögliche aus seinem kurzen Auftritt heraus. Den meisten Szenenapplaus erntet Franziska Lessing als Lisa mit dem Hula-Hannah-Song, der auf Deutsch genauso skurril bleibt wie im Original. Ihre Interpretation ist eines der Show-Highlights. Alle vorgenannten Künstler sind nicht nur gute Tänzer und/oder Schauspieler, sie beherrschen auch alle das gesangliche Fach.

Doch beim „Original live on Stage“ kommt das, was musikalisch zu hören ist, meist vom Band. Nur wenige Songs werden live von den fünf Gesangssolisten gesungen. Dazu gehören zum Glück auch Stücke wie „Do you love me“, „The Time of my life“ und „In the still of the Night“. Neben der bereits erwähnte Sabrina Weckerlin gehören noch Lemuel Pitts, Oeceana Mahlmann, Marc Seitz und Avren Pekgelegen zu den Sängern. Alle anderen in dem durchaus nicht kleinen „Dirty Dancing“-Ensemble singen nicht oder nur in extrem kurzen Szenen. Zu letztgenannten zählt auch Kerstin-Marie Mäkelburg („Mamma Mia!“), die als Vivian Pressman kaum Gelegenheit bekommt, dieser Rolle das Verruchte zu geben, dass die Film-Vorlage zeigt. Lediglich in zwei kurzen Stücken klingt unterschwellig der Grund an, weshalb die „Bungalow-Prinzessin“ sich im Urlaub bei Kellermans aufhält.

Die großzügig hinzugefügten Szenen und Dialoge lassen das Tanzen in den Hintergrund rücken. Auch die nicht sehr ausgefeilten Arrangements der zu hörenden Songs tragen dazu bei, dass das Tanzen nicht das Augenfällige an dieser Show ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich das leidenschaftliche, durchaus erotische Tanz-Gefühl auch beim Ensemble nicht so recht einstellen wollte. Lediglich beim Finale springt der Funke über und die Zuschauer springen von den Sitzen auf und tanzen zu „The Time of my Life“. Die neun überdimensionalen Discokugeln verwandeln den Theatersaal der neuen Flora in eine riesige Tanzfläche. In den letzten 10 Minuten passt alles zusammen: Die Dialoge sind ‚richtig’ und werden souverän vorgetragen, die Tänzer sprühen vor Energie und Leidenschaft und die kleine Band heizt dem Publikum zusammen mit ihren Sängern so richtig ein. Wenn man diese Szene als Grundlage zur Beurteilung nehmen würde, müsste man sagen: „Großartige Show, hervorragende Darsteller, genau das, was man erwartet hat!“.

Doch leider krankt die Bühnenfassung des Kultfilms in den vorangegangenen knapp zweieinhalb Stunden an Regie- und Stagingfehlern, umständlichen Dialogen, unzureichend dargebotener Musik und vor allem an einem Buch, das sich für die Arbeit auf der Bühne nicht eignet. Ein Kult-Musical nach dem Erfolg des Films wird aus dieser Vorlage sicherlich nicht hervorgehen können. Doch der Neuen Flora und ihren Mitarbeitern sei der sicherlich für einige Monate anhaltende Erfolg nach drei nur mäßig erfolgreichen Produktionen vergönnt.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Neue Flora, Hamburg
Premiere: 26. März 2006
Darsteller: Martin van Bentem, Ina Trabesinger, Ralf Schaedler
Buch / Regie: Elenore Bergstein
Fotos: Stage Entertainment