Es kommt Großes auf die deutsche Musicallandschaft zu. Die Geschichte der Hexen von Oz ist mit Abstand das Beeindruckendste, was in den letzten Jahren den Weg auf eine Musicalbühne gefunden hat. „The Wizard of Oz“ – die Reise von Dorothy, dem Blechmann, der Vogelscheuche und dem feigen Löwen – ist sicherlich auch in Deutschland wenigstens durch den Film von 1939 vielen bekannt. „Wicked“ erzählt die Geschichte der guten und bösen Hexen Glinda und Elphaba. Elphaba kommt schon quietschgrün zur Welt und hat es nicht leicht. Natürlich weiß sie und auch sonst niemand, dass sie das Produkt einer Affäre ihrer Mutter mit dem Wonderful Wizard of Oz ist.
In der Schule lachen sie alle aus und Galinda, Hexenschul-Schönheit und die erklärte Anführerin der Klasse, lässt keine Gelegenheit aus, den grünen Neuling immer weiter zu demütigen. Immer wenn Elphaba besonders wütend wird und sich etwas wünscht, geschehen daraufhin merkwürdige Dinge in ihrem Umfeld. Madame Morrible erkennt schnell die außergewöhnlichen Fähigkeiten Elphabas und sorgt dafür, dass sie den Wizard kennen lernt. Galinda versucht, Elphaba nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. So freunden sich die beiden ungleichen Mädchen an und treten gemeinsam dem Wizard gegenüber. Während Elphaba jedoch immer das Beste für alle im Sinn hat, geht es Galinda in erster Linie darum, sich immer weiter zu profilieren.
Auf ihrem gemeinsamen Weg treffen die beiden auf Fiyero, einen verwöhnten Jungen, der seinen Lebensinhalt in Partys und Mädchen sieht. Galinda sieht in ihm den perfekten Ehemann, da er Geld hat und überdies gut aussieht, doch Fiyero hat andere Pläne.
Beim Wizard angekommen, muss Elphaba feststellen, dass er gar nicht so gut ist, wie sie immer gehofft hat. Die Enttäuschung von Elphaba ist so groß, dass sie sich gegen den mächtigen Hexer stellt und damit zum Feind für alle Ozians wird.
In ihrem strikten Glauben an das Gute, versucht Elphaba ihrer geliebten Schwester zu helfen. Sie sorgt dafür, dass ihre an den Rollstuhl gefesselte Nessarose laufen kann. Nessarose fehlt nun nur noch eins zum Glück: Die Liebe ihres Freundes Boq. Doch der ist Galinda verfallen. Er wünscht sich, keinen Herzschmerz mehr zu haben. Elphaba erfüllt ihm diesen Wunsch und verwandelt ihn … in den Blechmann.
Gemeinsam mit dem Wizard wendet sich Galinda gegen Elphaba. Beide locken sie aus ihrem Versteck: Ihre Schwester Nessarose ist in Gefahr und muss gerettet werden. Doch Elphaba kommt zu spät: Nessarose ist von einem in einem Wirbelsturm herumfliegenden Haus erschlagen worden, ein Bauernmädchen hat Nessas Zauberschuhe (die sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hat) gestohlen. Fiyero befreit seine Elphaba und flieht mit ihr.
Galinda spürt, dass sie mit ihrer Methode nicht weiterkommt und lässt sich fortan, im Gedenken an einen von ihr übel behandelten Lehrer, Dr. Dillamond, nur noch Glinda nennen. Elphaba erkennt, dass keine ihrer guten Taten ohne negative Folgen geblieben ist und fügt sich in ihr Schicksal. Vor den Augen von Glinda löst sie sich in grünen Rauch auf.
Während Glinda, beeindruckt von der Selbstaufgabe Elphabas, zur guten Hexen und zum Vorbild ihrer Mitmenschen wird, hat sich auch die „Wicked Witch of the East“ ein Hintertürchen aufgelassen: Sie befreit ihren Fiyero, den sie zuvor in eine Vogelscheuche verwandelt hat, um ihn von den Truppen des Wizards zu schützten, und erlebt mit ihm gemeinsam ein wahres Happy End.
Idina Menzel spielt nach der Weltpremiere am Broadway auch in London die grüne Hexe Elphaba. Ihre Bühnenpräsenz ist übermächtig. Wahre Jubelstürme empfangen die Amerikanerin schon beim ersten Betreten der Bühne. Nach ihrem ersten Song („The Wizard and I“) wird der Beifall ohrenbetäubend. Doch wer jetzt denkt, dass sei übertrieben, wird sich spätestens nach „Defying Gravity“ in das Jubelkonzert einstimmen hören. Menzel überzeugt mit jeder Bewegung, jedem Ton. Es gibt nur wenige Frauen im Musicalbusiness, die dieses gewisse Etwas haben, ein Theater mit 2000 Zuschauern im Handumdrehen zum Kochen zu bringen. Auf die deutsche Besetzung darf man schon jetzt gespannt sein.
Glinda wird von Helen Dallimore glaubhaft als zickiges High School Prinzesschen („Popular“) gespielt. Die Wandlung zur wirklich guten Hexe („I’m not that girl“) nimmt man ihr nicht sofort ab, dafür ist sie im Verlauf der Geschichte viel zu oft auf ihren eigenen Vorteil bedacht.
Adam Garcia ist der perfekte Fiyero: Er sieht gut aus, ist charmant, kann tanzen und singen und lässt doch in dem gefühlvollen Duett „As long as your’re mine“ mit Elphaba tief blicken.
Bleibt noch der alles andere als nette Wonderful Wizard of Oz. Auch wenn mit Nigel Planer ein augenscheinlich netter älterer
Herr auf der Bühne steht, ist seine Figur alles andere als sympathisch. Seine Auftritte sind sehr gruselig, da er von einem die Bühnenbreite umspannenden Metall-Drachen begleitet wird und er hinter einer riesigen Maske steht, durch die er mit einer grausam verzerrten Stimme spricht.
Neben den First Class Solisten und dem tollen Ensemble braucht sich auch die Ausstattung nicht zu verstecken: Das gesamte Proszenium, genau genommen das gesamte erste Drittel des Parkettbereichs verschwindet hinter einem ausgetüftelten Zahnrad-Werk.
Links und rechts finden sich versteckte Treppen und Balkone, mit einer schier unbegrenzten Bespielbarkeit. Videoprojektionen erhöhen das Gefühl im Kino anstatt im Theater zu sein. Farben, Kostüme und Requisiten sind perfekt aufeinander abgestimmt. Am Beeindruckendsten sind der Drache über dem Bühnenportal und die Art wie man Elphaba während „Defying Gravity“ und Glinda während „No one mourns the Wicked“ über die Bühne schweben lässt. An diesen Szenen sieht man, dass hier mit Joe Mantello (Regie), Wayne Cilento (Musical Staging), Eugene Lee (Kulissen), Susan Hilferty (Kostüme) und Kenneth Posner (Licht) wahre Könner am Werk waren.
Dass Stephen Schwartz eingängige Melodien komponieren kann, ist nicht neu, aber mit „Wicked“ hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt. Neben „Dancing through Life“ und dem immer wieder gern erwähnten „Defying Gravity“ sind es Songs wie „The Wicked Witch of the East“ und „No Good Deed“, die an Intensität nicht zu überbieten sind.
„Wicked“ ist nicht nur am Broadway, sondern auch in London schon vor der eigentlichen Premiere zu einem Blockbuster und Megaseller geworden. Ob das allerdings in Deutschland auch der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Die Grundvoraussetzung könnte jedoch besser nicht sein: tolle Songs, eine gigantische Ausstattung und eine schöne Geschichte.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Darsteller: Helen Dallimore, Adam Garcia, Idina Menzel
Musik: Stephen Schwartz
Fotos: Tristram Kenton