Hohe Ziele hatte sich die Stage Entertainment gesteckt. „Ich war noch niemals in New York“ sollte das erste komplett selbst kreierte Musical des deutschen Musical-Multis werden. Dafür hat man vier Jahre Entwicklungsarbeit, monatelange Workshops und Castings und schließlich den millionenschweren Umbau der Operettenhaus-Bühne in Hamburg investiert.
Herausgekommen ist – um es kurz zu machen – ein Stück mit viel Potential, das sich aber eindeutig noch im Entwicklungsstadium befindet. Im englischsprachigen Raum nennt man so etwas Try-Out: Ein neues Stück wird für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen dem Publikum präsentiert, um es danach anhand des Feedbacks weiterzuentwickeln und – meist erst einige Monate später – zur Broadway-Reife zu bringen. Das wäre auch im Fall von „Ich war noch niemals in New York“ ein probates Mittel gewesen; nur leider wurde die am 2. Dezember uraufgeführte Show als Weltpremiere verkauft.
Doch der Reihe nach…
Schon bei der Präsentation der Cast ließ sich die Stage Entertainment nicht lumpen und lud die Medienvertreter auf die in Hamburg ankernde Queen Mary 2 ein. Die vorgestellten Hauptdarsteller rund um Kerstin-Marie Mäkelburg und Jerry Marwig überzeugten in vier Songs und rührten den anwesenden Udo Jürgens zu Tränen. Die gewählten Stücke überraschten durch ihre Musicaltauglichkeit und auch die Story versprach ein wirklich fundiertes neues Musical.
Alles ging seinen gewohnten Gang – Bühnenumbau, Proben – alles verlief weitestgehend reibungslos. Doch dann kam der 19. November, der Tag der Mitarbeiter-Preview. Und damit änderte sich alles, denn so richtig wusste keiner der Gäste etwas damit anzufangen… Die Musik war klasse, keine Frage, die Darsteller sehr gut, aber der Rest? Die Stage Entertainment zog die Reißleine und entband Co-Autor und Regisseur (und Artstic Director des Unternehmens) Christian Struppeck von seinen Aufgaben. Kurzerhand wurde Glenn Casale aus den USA als neuer Regisseur engagiert, der für den Hamburger Konzern bereits „Die Schöne und das Biest“ in Berlin inszeniert hatte.
Die internen Diskussionen kann man sich nach kurzfristig abgesagten Previews – und diese waren mit drei Wochen schon ungewöhnliche lang angelegt – oder dem ebenso spontan gestrichenen Press Call (der Termin, an dem die filmende und fotografierende Presse, eigene Bilder von 3-4 Szenen einer Show machen kann) gut vorstellen. Die Verschiebung der Premiere war sicherlich nie eine wirkliche Option und doch hätte das Künstlerherz diese mutige und kostspielige Entscheidung begrüßt und bevorzugt.
In den folgenden drei Wochen versuchte Casale das Beste aus der offenbar recht missglückten Arbeit seines Vorgängers zu machen. In einigen wenigen Szenen ist ihm dies auch durchaus geglückt, denn das Stück hat sich – auch oder gerade weil zwei komplette Songs gestrichen wurden – enorm weiterentwickelt. Und so nahm das Premierenpublikum die Show gern an.
Die erfolgreiche Business-Frau Lisa Wartberg hat nur Augen für ihre Karriere als Moderatorin. Für Ihre Mutter Maria, die von ihr in einem nicht wirklich schönen Altersheim geparkt wurde, hat sie kaum Zeit. Auch der Vater des Alleinerziehenden Vaters Axel Staudach, Otto, ist in diesem Heim untergebracht und bandelt mit Maria an. Als die beiden rüstigen Rentner beschließen zum Heiraten nach New York durchzubrennen und sich dazu auf Kosten der erfolg(reichen) Tochter auf einem Kreuzfahrtschiff einbuchen, gewinnt die Story im wahrsten Sinne des Wortes an Fahrt. Nachdem Lisa und Axel mitbekommen haben, dass ihre Eltern gemeinsam getürmt sind, bucht Lisa ebenfalls die einzig verbliebene Suite auf dem Schiff – die Hochzeits-Suite. Doch die drei – Florian, der Sohn von Axel ist ebenfalls mit von der Partie – verpassen das Schiff in Hamburg und jagen mit Axels’ betagten Jeep quer durch Europa, um das Schiff in Genua zu erreichen. Denn Axel hat Flugangst, also kommt Fliegen nicht in Frage.
In Genua gehen die drei an Bord und stellen fest, dass ihre Eltern die Zeit auf dem Schiff aufgrund einer Verwechslung in der Hochzeits-Suite genossen haben. Leider verlaufen die Überzeugungsversuche von Lisa und Axel alles andere als erfolglos. Die Eltern stellen sich stur und wollen das Schiff nicht verlassen. Lisa denkt nur an die Verleihung des Fernsehpreises und dass sie zurück muss, doch irgendwie bleibt sie dennoch an Bord und so legt das Kreuzfahrtschiff Richtung New York ab. Kurz zuvor lässt Lisa noch ihren Visagisten Fred und dessen Freund Costa einfliegen, um die nächste Sendung zu besprechen. Die beiden freuen sich sehr über diesen unerwarteten Kurzurlaub auf dem Schiff.
Angesteckt von der zwangsläufig romantischen Stimmung auf einem Ozeanriesen entdecken Lisa und Axel, dass sie – obwohl sie so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht – sich ineinander verlieben. Lisa unterdrückt diese Gefühle eine Zeitlang erfolgreich, doch schließlich gewinnt Axels Charme. Im großen Finale vertragen sich Mutter und Tochter, Axel und sein Vater stellen fest, dass sie mehr gemeinsam haben als bisher gedacht und es wird eine Doppelhochzeit unter der Freiheitsstatue beschlossen.
Der Plot liefert eine Menge Potential für emotionale Verwicklungen; doch besteht dabei immer die Gefahr, dass die Autoren bei einer solchen Vielzahl von Charakteren den ein oder anderen blasser erscheinen lassen. Im Fall von „Ich war noch niemals in New York“ hat keiner der Protagonisten wirklichen Tiefgang. Es werden unzählige Klischees bedient, sei es nun die ewig gestresste, völlig überdrehte, egoistische Businessfrau, der raubeinige, besserwisserische Fotograf, der obercoole Teenie, das durchgestylte Schwulenpaar, dass mehr auf Schein als auf Sein Wert zu legen scheint. Leider wirken diese Charaktereigenschaften phasenweise so aufgesetzt und unnatürlich, dass man sich fragt, warum die Charaktere so stark überzeichnet wurden. Denn war nicht der ursprüngliche Ansatz eine Geschichte aus dem wahren Leben zu erzählen?
Eine Geschichte mit bekannten Songs zu erzählen, ist nicht neu, aber absolut legitim. Erfolgreiche Compilation Shows wie „Mamma Mia!“ oder „We Will Rock You“ machen es seit Jahren vor: Die Songs ergänzen eine ansonsten eher flache Rahmenhandlung und es funktioniert prächtig. 21 erfolgreiche Songs von Udo Jürgens sollen bei „Ich war noch niemals in New York“ das gleiche bewirken, nur leider misslingt dies, von ein oder zwei Ausnahmen mal abgesehen gänzlich. Viele Szenen wirken um die Songs herumgebaut. Da sagt Axel bspw. nach einem Streit mit Lisa sinngemäß „Das war’s dann wohl. Merci.“ Und plötzlich erklingt „Merci, Cherie“. Oder Lisa antwortet auf die Frage nach dem Thema ihrer nächsten Sendung „Wir sind zu dick!“ und es folgt „Aber bitte mit Sahne!“. Ähnlich konstruiert ist auch „Griechischer Wein“, der aus den sehnsüchtigen Erinnerungen Costas an sein Heimatland entsteht.
Vollends perfekt funktionieren neben dem Finale, nur die Szenen, in denen Lisa sinniert „Was wirklich wichtig ist“ und sich Fred und Costa über das gar nicht so „Ehrenwerte Haus“ aufregen, aus dem sie ausziehen müssen. In diesen beiden Passagen wirkt nichts mutwillig konstruiert und plump getextet, sondern Kontext und Song ergänzen sich optimal.
Auch wenn die Dialoge teilweise sehr witzig sind, was aber vor allem daran liegt, dass sich Kerstin Marie Mäkelburg und Jerry Marwig aufgrund ihrer gemeinsamen Bühnenerfahrung die Bälle pointiert zuwerfen können, strotzt das Buch von Gabriel Barylli nur so vor Längen. Wären nicht die hinreißenden Darsteller, man würde ziemlich schnell in Langweile verfallen… Denn auch das optische Feuerwerk bleibt bei „Ich war noch niemals in New York“ aus. Zwar sind einige Kostüme (Yan Tax) schön anzusehen (beispielsweise die roten Kostüme passend zu der Maskenball-Szene „Schöne Grüße aus der Hölle“, die „Chorus Line“-ähnlichen Silberfräcke der in Reihe tanzenden Bediensteten der Hochzeits-Suite („Bleib noch bis zum Frühstück“), oder die Matrosenanzüge der verdächtig an „On the town“ erinnernden tanzenden und singenden Matrosen zur Instrumental-Einspielung von „Buenos Dias, Argentina“ bzw. „Alles im Griff“), eine einheitliche Linie ist jedoch leider auch hier nicht erkennen. Es scheint als hätten auch in diesem Kreativbereich viele Köche die Suppe zu stark gewürzt. Zudem kommt, dass die Choreographien von Kim Duddy ebenfalls recht einfallslos wirken. Ob nun die Kick-Line in der Hochzeits-Suite oder die mit Sahnetorten tanzenden Schiffsgäste – irgendwie hat man auch das alles schon gesehen. Schade.
Die Schiffskulissen (David Gallo) sind hingegen wundervoll anzuschauen und beeindrucken durch ihre Größe und Detailgenauigkeit. Warum jedoch das Schiff, das in Hamburg ablegt, in der Mitte geteilt und dann nach links und rechts aus dem Sichtfeld gefahren wird, ist nicht nur unverständlich, sondern in einer Schifffahrtsstadt wie Hamburg mehr als unangebracht. Da schaut man sich lieber die Drehbühne an, die drei verschiedene Sets ermöglich und fragt sich, wie man so etwas in das kleine Operettenhaus gebracht hat. Die Bühnenfüllende Hochzeit-Suite kommt in penetrantem Flieder daher, ermöglicht viele Spielebenen und erinnert an die Wohnung des Regisseurs in „The Producers“. Aber das mag Zufall sein. Bei den übrigen Schiffskulissen hat man ebenfalls das Gefühl es so oder ähnlich schon gesehen zu haben, aber bei einem Stück, das auf einem Schiffsdeck spielt, bleibt das kaum aus. Denn so unterschiedlich sind auch Kreuzfahrtschiffe auf dem Deck nicht.
Das vorbeifahrende Kreuzfahrtschiff (Ist es nun die MS Deutschland oder nicht? Auf den Rettungsbooten steht es, am Schiffsbug nicht.) zum Auftakt des zweiten Akts ist schlichtweg atemberaubend. Da zieht eine halbe Schiffslänge am Publikum vorbei und alle paar Meter entspannt sich eine neue Szene, auf dem Oberdeck, an der Reling, an der Bar, am Heck, und erst später wundert man sich „Wo bitte lassen die diese Großkulissen in dem kleinen Theater? Sie werden die Seitenbühnen wohl kaum um 50m in beide Richtungen verlängert haben.“. Solche Effekte wollen wir mehr sehen. Was wir aber auf keinen Fall mehr sehen wollen, sind TUI Reisebüros und Mc Donald’s Burger-Tüten. Bei Eintrittspreisen am Samstagabend von über 120 Euro möchte man kein Product Placement sehen. Werbung gibt es im Fernsehen und Kino schon mehr als genug, das muss jetzt nicht auch noch auf der Musicalbühne Einzug erhalten.
Kommen wir zu dem, was diese Show dennoch sehenswert macht – und das sind die Darsteller. Kerstin Marie Mäkelburg darf als Lisa weiblich und mit allen Zickenallüren agieren, die man einer Prominenten nachsagt. Mit ihrem komödiantischen Talent meistert sie ihre Rolle perfekt und auch gesanglich überzeugt sie sowohl in langsamen als auch forschen Songs. Allerdings muss man Mäkelburg und ihre Art zu spielen und singen mögen, denn sie ist schon recht speziell und passt nicht in die Schublade der typischen Musicaldarstellerin. Aber wir finden sie einfach prima!
Jerry Marwig, der wie Kerstin Marie Mäkelburg in Hamburg alles andere als unbekannt ist – immerhin standen beide schon in den Schmidt Theatern auf der Bühne -, gibt einen sehr sympathischen brummigen Fotografen. Man nimmt ihm ab, dass ihm die zickige Moderatorin zunächst extrem auf die Nerven geht, spürt aber sofort, dass hinter dieser vermeintlich rauen Schale mehr steckt. Die Szenen mit Sohn Florian sind liebevoll und man schaut beiden gern zu. Gesanglich ist Marwig ebenfalls ohne Fehl und Tadel.
Das Paar Mäkelburg/Marwig harmoniert perfekt – in jeder Hinsicht. Gleiches gilt für Fred und Costa, gespielt von Veit Schäfermeier und Ronny Rindler. Die beiden geben ein wundervolles Paar ab. Ihre tiefe Zuneigung kommt absolut glaubwürdig über die Rampe. Und ja, die beiden dürfen sich küssen! Aber ist so was heutzutage immer noch erwähnenswert? Dass Rindler kein Grieche ist, glaubt ihm aufgrund seines antrainierten Akzents niemand. Schäfermeier brilliert in seinen Songs und stiehlt dem Liebespaar Axel/Lisa damit fast die Show. Dies merkt man besonders beim Schlussapplaus, wo Schäfermeier mindestens gleichviel, wenn nicht sogar mehr Beifall bekommt als Mäkelburg und Marwig.
Die „Renter on tour“ werden gespielt von Ingeborg Krabbe und Horst Schultheis. Beide geben ein süßes Paar ab, die langjährige Schauspielerfahrung ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings verhält es sich mit dem Singen nicht ganz so einwandfrei. So bleibt der Titelsong „Ich war noch niemals in New York“ kaum im Gedächtnis, weil Krabbe es nicht vermag, diesen mit Gefühl und viel Stimme zu interpretieren. Aber ansonsten begleitet man die beiden grauen Eminenzen der Show als Zuschauer gern auf ihrem Weg, auch wenn diese mit zunehmendem Fortgang des Stücks immer mehr in den Hintergrund gerückt werden.
Bleibt noch Florian, der von einer Vielzahl Nachwuchsdarstellern gespielt wird. In der Premiere war dies Robert Köhler. Die Jungen können nichts dafür, dass sie extrem cool und mit penetrantem Denglish auf der Bühne stehen. Allerdings dürfen sie in zwei Songs auch ihre gesanglichen Talente unter beweis stellen und Köhler macht dies mit Bravour und stellt damit vorübergehend all Erwachsenen auf der Bühne in den Schatten.
Auch musikalisch muss man sich an einiges, was Michael Reed dort arrangiert hat, erst gewöhnen. Der sonst vorhandene Drang bei Udo Jürgens Klassikern wie „17 Jahr, blondes Jahr“ oder „Immer wieder geht die Sonne auf“ mitzusingen, bleibt einem doch so manches Mal im Halse stecken. Aber die meisten Songs zünden und Bernhard Volk und sein im vergleich zu „Mamma Mia!“ beachtlich angewachsenes Orchester sorgen für gute Laune im Publikum.
Wie bereits eingangs erwähnt, hat „Ich war noch niemals in New York“ eine Menge Potential, das bisher nicht ausgeschöpft wird. Viele einzelne Szenen sind nett anzuschauen, doch ergeben sie leider kein einheitliches Ganzes. Das steckt noch eine ganze Menge Entwicklungsarbeit drin. In wenigen Monaten wird das Stück sicherlich „rund“ sein und das Publikum nicht nur durch seine Musik und Darsteller von den Sitzen reißen, sondern weil es ein überzeugendes Musicalwerk ist. Bisher ist es lediglich ein Try-Out, der viel zu früh als Weltpremiere auf die Bühne kam.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Theater: Operettenhaus Hamburg
Premiere: 2. Dezember 2007
Darsteller: Kerstin Marie Mäkelburg, Jerry Marwig
Regie / Musik: Glenn Casale / Udo Jürgens
Fotos: Stage Entertainment