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Weltpremiere mit viel Potential

Als Sönke Wortmanns Film 1994 die Massen ins Kino zog, machte Ralf König keinen Hehl daraus, dass er von der Verfilmung seines Comics nichts hielt, insbesondere da die homosexuellen Protagonisten im Gegensatz zu den Heteros sehr überzeichnet wurden. Mehr als 23 Jahre später bringt das Hamburger Thalia Theater im Rahmen des Thalia Sommers die Musicalfassung von Christian Gundlach und Craig Simmons auf die Bühne. Die Weltpremiere wird von Harald Weiler inszeniert, während Stephan Sieveking Gundlachs Kompositionen mit der 5-köpfigen Band intoniert.

In den 30 Jahren seit der Erstveröffentlichung des Comics hat sich die Welt weitergedreht, Themen wie Homosexualität werden in der Öffentlichkeit lange nicht mehr als so anrüchig wahrgenommen wie damals – auch wenn man leider sagen muss, dass unsere Gesellschaft nicht müde wird, die Unterschiede zu betonen anstatt die Menschlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Man könnte also annehmen, dass Theatermacher die Chance nutzen, ein Stück, das mit den Klischees von Hetero- und Homosexualität spielt, ins Hier und Jetzt zu übertragen. Doch weit gefehlt, „Der bewegte Mann“ ist eine ungeschönte Reise zurück in die späten 1980er Jahre…

Lars Peter (Ausstattung) versteckt die Hinterbühne mitsamt Band hinter einem Lametta-Vorhang und baut die Schlafzimmer von Norbert und Doro im Vordergrund nebeneinander auf. Die Handlung spielt abwechselnd in einem der beiden Schlafzimmer, doch manchmal lässt Weiler Doro auch mitten im Song in Norberts Schlafzimmer wechseln und sich an der Schulter des Metzgers ausweinen. Verstehen muss man diese Vermischung der Schauplätze nicht…

Die Idee, die Geschichte von Axel, Doro und Norbert abwechselnd in einem der beiden Schlafzimmer zu erzählen, ist nicht schlecht, wird aber nach dem dritten Wechsel von Dialog und Song zunehmend fad. Anstrengend und phasenweise sehr bedauerlich ist auch, dass die Schwulen-Klischees auch in der Bühnenfassung Überhand nehmen: Waltraud und Fränzchen laufen permanent im Fummel herum, der Metzger hat offenbar einen Lack- & Leder-Fetisch, und überhaupt zählen für sie nur „Sahnehintern“. Der Mensch, der diesen Hintern trägt, scheint unwichtig.

Wenn also Bühne und Handlung schon nicht überzeugen können, wie schaut es dann mit der Musik und den Darstellern aus? Die 17 Songs, die das Publikum im Laufe des Abends zu Hören bekommt, sind poppig und seicht. Stücke, die das Potential zu einer Hymne haben (bspw. Waltrauds „Sei einfach Du“, „Waltraud weiß Bescheid“) verpuffen im klischeetriefenden Nebel.

Apropos Waltraud, diese Figur bringt viel mit, um der eigentliche Star der Show zu sein, doch leider verschenken Gundlach und Weiler auch hier viele Gelegenheiten. Es gibt zwar einige sehr witzige Dialoge, doch die reißen es leider auch nicht raus. Mark Weiler, der die Rolle erst drei Wochen vor der Premiere vom erkrankten Tim Koller übernahm, kann man hier keinen Vorwurf machen. Er ist der sympathische Kopf des Dreiergespanns mit Norbert und Fränzchen und redet Norbert immer wieder ins Gewissen. Jan Kersjes gibt eben diesen hochgradig in Axel verliebten Norbert sehr gefühlfühl und authentisch. Gesanglich kann er – genau wie der Rest des Ensembles – nicht überzeugen, doch er darf die mit Abstand sympathischste Rolle spielen und weiß diesen Vorteil zu nutzen.

Der – in der Musicalfassung leider nicht besonders überzeichnete – Macho Axel wird von dem erst 21-jährigen Elias Krischke gespielt. So schön sein durchtrainierter Körper – insbesondere in den viel zu ausgedehnten Nacktszenen – anzuschauen ist, so wenig gelingt es ihm, die Rolle glaubwürdig über die Rampe zu bringen. Dafür wirkt er auch im Vergleich zu seinen Kollegen einfach noch zu jung. Gesanglich zeigt er nach „Fast normal“ 2016 in den Kammerspielen einmal mehr, dass er viel Potential hat. Doch Gundlachs Kompositionen geben ihm dazu leider keine Möglichkeit.

Die von Axel gleichermaßen betrogene und geliebte Doro wird von Jennifer Siemann verkörpert. Viel Charakter vermag sie der auf einer emotionalen Achterbahn fahrenden Doro nicht zu geben, und auch gesanglich kann sie ihr Können nicht zeigen. In beiden Fällen liegt dies aber nicht an ihrem Unvermögen, sondern an der schwachen Personenregie und den wenig gehaltvollen Songs.

Aus der Besetzung sticht Sascha Rotermund als Metzger und Doros alternder Onkel hervor. Seine Sprüche treffen genau ins Schwarze. Er wirkt sowohl als norddeutscher Onkel, der sich mit Männern in Frauenkleidung konfrontiert sieht, als auch als homosexueller Metzger, der nach einer Ladung Bullenspray auch einer nymphomanen Frau nicht abgeneigt ist, sehr authentisch und hat viele Lacher auf seiner Seite.

Das Premierenpublikum spendet eher braven Applaus, wirkliche Begeisterung klingt anders. Aber man kann es ihm nicht verdenken, die Musicalfassung von „Der bewegte Mann“ ist über lange Strecken altbacken und voller Klischees, musikalisch unaufgeregt und die Charaktere zu oberflächlich. Schade, dass bei einer immer noch aktuellen Thematik so viele Möglichkeiten ungenutzt verschenkt wurden.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Thalia Theater, Hamburg
Premiere: 26. Juli 2017
Darsteller: Elias Krischke, Jennifer Siemann, Mark Weiler, Sascha Rotermund, Jan Kersjes
Musik & Buch / Regie: Christian Gundlach & Craig Simmons / Harald Weiler
Fotos: G2 Baraniak