Mit der musikalischen Revue “Hexen” vereint der Friedrichstadtpalast all die künstlerischen Elemente, für die er seit Jahren berühmt ist: außergewöhnliche Choreographien, gute Gesangs- und Schauspielsolisten, atemberaubende Akrobatik und Live-Musik vom hauseigenen Orchester.
Gepaart mit den herausragenden Bühnenbildern von Heinz Hauser und den modernen Kostümen von Andrea Kleber entsteht daraus eine Märchenwelt, wie man sie so noch nicht gesehen hat.
Sascha Iljinski hatte die Idee zu dieser Revue, in der die vier Hexen Donna, Wicca, Bella und Clony im Mittelpunkt stehen. Die vier sind sehr unterschiedlich, haben aber alle den Traum zur Welt der Menschen dazuzugehören. Jede versucht auf ihre Weise, Zutritt in die den Hexen eher skeptisch gegenüber stehende Welt zu erlangen.
In vier Episoden wird mit der musikalischen Untermalung von Frank Nimsgern erzählt, wie jede einzelne der zum Teil recht exzentrischen Frauen die ihr zur Verfügung stehende Magie einsetzt, um an ihr Ziel zu kommen.
So sehen wir zunächst Donna (Iris Makris), die sich gemeinsam mit einer Horde düster gekleideter wild tanzender Geister ihren persönlichen Diener für Lust und Lebensfreude schafft: Adam (gespielt von Karim Khawatmi).
Es folgt eine dem Verständnis der Handlung nicht wirklich dienliche, wenn auch sehr anschauliche Akrobatiknummer von vier Pellegrini Brothers (Äquilibristik), die sich gegenseitig auf verschiedenste Weise stapeln und so interessante menschliche Bauten formen.
In der nächsten großen Szene setzt Wicca (Susann Malinowski-Märtens) ihre Geistesstärke ein. Sie fordert das Schicksal heraus, verfällt vorübergehend Adam und steht am Ende doch wieder allein da. Unbeirrbar verfolgt sie ihr Ziel jedoch weiter.
Erneut werden die Zuschauer aus der Handlung geholt, um dem Duo Sidorenko bei seiner Hochseildarbietung gebührenden Respekt zu zollen. Dies gelingt auch weitestgehend.
Zum Finale des ersten Akts stehen alle Protagonisten der Show sowie das Ballett des Friedrichstadtpalast (Leitung: Roland Gwlik) gemeinsam auf der Bühne und heizt dem Publikum mit “Hexen sind halt so” nochmal so richtig ein.
Der zweite Akt liegt zunächst in den Händen von Bella (Leah delos Santos), deren Element das Wasser ist. Zerbrechlich und zart entführt und die hübsche Hexe in ihren Zauberwald an einen See. Ihr Duett mit Adam (Karim Khawatmi) wird durch ein Tanzpaar sowie die Trapezkünstler Coppia d’amanti optisch angereichert. Dies ist das erste Mal, dass die verschiedenen Kunstformen zeitgleich auf der Bühne zu sehen sind und eine wirkliche Einheit bieten. In der zweiten Hälfte gibt es auf diese holprigen Übergänge und Längen nicht mehr, die den ersten Akt so zähl und undurchschaubar gemacht haben.
Plötzlich und total unerwartet taucht ein riesiges Aquarium aus den Tiefen der Bühne auf und zeigt, dass der Friedrichstadtpalast in diesem Bereich einigen Theatern etwas voraus hat und durch ein wandlungsfähiges Bühnenbild überzeugt.
Katja Bergs große Stunde schlägt als ihr Bühnen-Alter Ego den Menschen klarzumachen versucht, das Macht und Geld das einzig Bedeutsame in ihrem Leben sind und es in ihrer Welt nur Platz für Sieger gibt. Sowohl das Luftballett am Vertikalseil (Air Imagine) als auch das weibliche Friedrichstadtpalast-Ballett in bester Revue-Tradition sorgt hier für dir Highlights. Das Clony mit ihrer Einstellung nicht weit kommt, wird ihr von Adam eindrucksvoll vor Augen geführt.
Am Ende der Revue werden die Hexen als faszinierende Wesen von der Welt und ihren Bewohnern aufgenommen – ganz entgegen der üblichen Tradition, die Hexen als Dienerinnen des Teufels verflucht. Doch wer hat das letzte Wort? Adam. Und der ist niemand geringere als der Beelzebub in schicker Verkleidung. Also doch alles beim alten?
Die Grundidee dieser Revue ist sicherlich nicht schlecht und mit vier verschiedenen Elementen in Form vierer sehr verschiedener Hexen lässt sich auch optisch einiges konstruieren. Doch leider gelingt es Matthias Davids nicht, diese Verschiedenartigkeit so zu bündeln, dass die Geschichte spannend und dicht erzählt wird. Unzählige Brüche im Handlungsstrang machen die eigentliche Geschichte kaum nachvollziehbar für die Zuschauer. Besonders auffällig ist dies an der unpassenden Zusammensetzung von Akrobatik zwischen den eigentlichen Szene im ersten Akt.
Die Gesangssolisten machen durchweg eine gute Figur und zeigen, dass sie ihr Fach beherrschen. Lediglich Katja Berg reißt hier den schnitt ein wenig nach unten, denn ihre kreischiger Gesang und ihr gelangweiltes, überkandideltes Gestöckel wirkt sehr lästig und deplatziert. Karim Khawatmis schöne Stimme kommt in den wenigen echten Songs sehr gut zur Geltung. Besonders “Beende die Reise – Rien Ne Va Plus” bleibt haften.
Das Orchester unter der Leitung von Dieter Klemm intoniert die gefällige, manchmal arg schlagerlastige Musik sehr gut. Zwei bis drei Songs von Frank Nimsgern bleiben auch nach dem Ende der Show in den Köpfen bestehen.
Trotz nur 2:15 Std. (inkl. 20 Minuten Pause) wirkt die Revue phasenweise sehr langatmig. Von der eigentlichen Handlung bekommt man kaum etwas mit, da die Szenen zusammenhanglos aneinandergereiht sind. Ein roter Faden fehlt vollständig – da hilft dann auch die x-te Reprise des Hexen-Songs nicht weiter, sondern wirkt zusätzlich noch belastend.
Das Publikum honoriert die Akrobatik-Einlagen deutlich mehr als die Tanznummern des riesigen Friedrichstadtpalast-Ensembles. Überhaupt – die Choreographie von Adrian Allsopp, Maik Damboldt, Melissa King und Jan Linken lässt zu Wünschen übrig: Es gab kaum eine Szene, in der es nicht zu ungewollten Unsynchronitäten kam. In diesem Fall hatte ich wirklich mehr von einem bekannten Revue-Ensemble erwartet.
Fazit: “Hexen” ist eine bunte Revue ohne jeden Anspruch auf das Erzählen einer Geschichte. Wer über unsaubere Choreographien hinwegblicken kann und sich an farbenfrohen, originellen Bühnenbildern und nicht weniger opulenten Kostümen erfreuen kann, ist im Friedrichstadtpalast richtig aufgehoben.
Michaela Flint
Theater: Friedrichstadtpalast, Berlin
Premiere: 2005
Darsteller: Katja Berg, Karim Khawatmi
Musik: Frank Nimsgern
Fotos: Friedrichstadtpalast, Berlin