Am 3. Juni ging im Kölner MusicalDome die 1000. Vorstellung von „We Will Rock You“ über die Bühne. Das neue Ensemble überzeugte in fetzigen Choreographien und den bekannten Queen-Klängen gleichermaßen. Allen voran Charly Luske, der im Wechsel mit Sascha Alexander Lien und Alex Melcher (der als erster deutscher Galileo der Figur seinen unvergleichlichen Stempel aufgedrückt hat) als Galileo Figaro zu sehen ist. Mit jungenhaftem Charme erobert Luske alias Galileo nicht nur Scaramouches Herz und wenn er zur legendären ‚Bohemian Rhapsody’ ansetzt, schweigt das Publikum ehrfurchtsvoll. Genau das ist es, was für Vera Bolten eine der Herausforderungen an ihrem Job darstellt: „In den gut 600 Shows, die ich gespielt habe, waren es gerade die Timings für die Gags und die wechselnden Galileos, die mich auf Trab gehalten haben.
Die gebürtige Rheinländerin ist nach ihrem Studium und einigen Engagements in Berlin – zuletzt am Theater des Westens (Eponine in „Les Misérables“) – wieder in die Heimat zurück gekehrt und steht seit der Premiere im Dezember 2004 als kratzbürstige Scaramouche sechs Mal pro Woche auf der Bühne des blauen Zelts am Rhein. „Es ist ein super Job, der mir auch nach mehr als zweieinhalb Jahren noch richtig viel Spaß macht. Diese Rolle ist sehr komplex, weil ich – im Gegensatz zu vielen anderen Charakteren, in denen nur eine einzelne Facette einer Figur gezeigt wird – eine ganze Entwicklung spielen kann. Anfangs ist Scaramouche schroff und zickig und zeigt nur selten ihr gutes Herz. Im Laufe der Show, gerade auch in den Szenen mit Galileo, wird sie immer liebenswerter.“ Aber nicht nur die Verwandlung von der Zicke zur Rockerbraut mit weichem Kern und die tägliche Suche nach dem ausgewogenen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen, machen die Rolle für Vera Bolten einmalig.
„Auch der Comedy-Faktor spielt eine große Rolle. Es war toll mit Ben Elton gemeinsam an den Gags und den Timings zu arbeiten. Er hat eine unnachahmliche Art, einem bildlich vorzumachen, wie die Gags platziert sein müssen.“
Bolten ist die erste deutsche Scaramouche. In der Vorbereitung auf diese Rolle hat sie sich auch die Show in London angesehen. Dennoch hat sie die Rolle nicht einfach „kopiert“. „Ich finde es zwar grundsätzlich nicht falsch, wenn man gute Ideen seiner Kollegen für sich adaptiert und Hannah Jane Fox ist eine brillante Kollegin. Dennoch musste ich die Rolle ganz anders anlegen, da der deutsche Humor sich vom englischen unterscheidet. Ich konnte während der Proben viel von mir und meiner eigenen Sprache einbringen, was die Figur noch authentischer macht.“ Dass es gewisse Ähnlichkeiten zwischen der aufmüpfigen Scaramouche und der erfolgreichen Musicaldarstellerin Vera Bolten gibt, streitet die 30-Jährige gar nicht ab: „Ich war zwar nie so eine extreme Außenseiterin wie Scaramouche, aber dass man mit einem unüberlegten Spruch aneckt oder durch ein loses Mundwerk durchaus unangenehm auffällt, ist mir nicht unbekannt.“
Bei 1000 Shows bleibt auch den Darstellern die ein oder andere besonders im Gedächtnis. Für Vera Bolten war die beispielsweise die letzte Show von Serkan Kaya als Galileo. „Das war für mich eine sehr traurige Show.“ Aber auch lustige Ereignisse, wie die gefürchteten Lachanfälle mitten in einer Vorstellung, vergisst man nicht so leicht. „Doch am wichtigsten ist das Publikum. Es gab einige Shows, in denen das Publikum besonders gut mitgegangen ist und das überträgt sich auch auf uns auf der Bühne. An solchen Abenden macht das Spielen und Singen noch mehr Spaß. Das funktioniert aber auch in die andere Richtung: Wir stehen unter einem permanenten Druck zu funktionieren und ich stelle mich jeden Abend mit meinem ganzen Ich vor eine Masse, die mich beurteilt. Wenn dann die Zuschauer trotz aller Bemühungen von uns, nicht so recht lachen wollen oder sich von der Musik nicht mitreißen lassen, kommen schon das ein oder andere Mal Selbstzweifel auf.“ Auch die Shows, in denen Brian May im Publikum ist, sind für Vera Bolten immer wieder etwas Besonderes.
Apropos Brian May, welchen Bezug hat die junge Darstellerin zu Queen? „Live hatte ich leider nie die Chance, ‚Queen’ zu erleben, was mich immer noch ärgert. Aber die Musik von ‚Queen’ gehörte fest zu meiner Schulzeit. Ich habe viel ‚Queen’ gehört und es gab kaum eine Party, auf der wir nicht irgendwann zu ‚We Will Rock You’ auf dem Fußboden gehockt und getrommelt haben. Als Freddie Mercury dann plötzlich starb, war das bei uns in der Stufe ein großes Thema.“ Die Zusammenarbeit mit ihren Jugendidolen ist für Vera Bolten auch nach zweieinhalb Jahren immer noch beeindruckend: „Kurz vor meiner Audition vor Brain May und Roger Taylor habe ich Brian auf der Unisex-Toilette getroffen und bin erstmal erstarrt. Während meines Vorsingens zeigte sich Brian May dann aber sehr herzlich und menschlich und hat wohl auch mit den Ausschlag für mein Engagement gegeben. Natürlich ist es toll, jemanden so Berühmtes kennen zu lernen und Brian kommt immer wieder mal vorbei. Dann sitzen wir beisammen und reden und haben Spaß. Es ist wunderbar, mitzuerleben wie wenig er es zeigt, dass er ein Weltstar ist. Dann kenn ich ganz andere Möchtegern-Promis, die viel extreme Allüren haben.“
Auf die Frage, ob es etwas gäbe, was Vera Bolten immer schon einmal loswerden wollte, spricht sie die Musical-Internetforen an. „Ich finde, dass die Kommentare dort oft sehr gehässig und unfair sind, Es wird teilweise sogar persönlich über Darsteller hergezogen. Natürlich darf jeder seine Meinung haben und sie äußern, aber ich glaube die Distanz des Internets führt dazu, dass einige Leute über das Ziel hinausschießen und verletzend werden. Bevor man etwas schreibt, sollte man vielleicht überlegen, wie man sich selbst fühlen würden, wenn man so angegriffen und bloßgestellt würde.“
Vera Bolten selbst ist zwar kaum Opfer dieser Attacken, aber sie kennt diese von ihren Kollegen und bezieht klar Stellung: „Ich meide diese Foren seit „Les Misérables“ ganz bewusst. Dass die Hemmschwelle so niedrig ist, stellt für einen sehr negativen Aspekt des Internets dar. Kürzlich hat jemand in meinem Namen eine MySpace-Seite eingerichtet und sich von Hobbys über Lieblingsbücher alles ausgedacht und sich als Vera Bolten ausgegeben. Da hört für mich der Spaß auf! Von mir gibt es nur eine offizielle Seite im Internet. Das ist eine Funpage, die aber von mir unterstützt wird.“
Als Mutter eines fünfjährigen Jungen muss sich Vera Bolten ihre Kraft und Zeit einteilen. Ein Sommer-Engagement wie im letzten Jahr in Tecklenburg wird es bis auf weiteres nicht geben. „Ich kann nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen so wie früher. Ich habe mit „We Will Rock You“ einen anstrengenden Job und führe abseits der Bühne ein ganz normales Familienleben mit meinem Sohn und meinem Freund. Wenn ich Moritz vom Kindergarten abhole, möchte ich auch bewusst soviel Zeit wie möglich mit ihm verbringen.“ Dadurch liegen Projekte wie ihre eigene Band „Chaosbaby“ oder Gastauftritte bei Galas o. ä. nahezu auf Eis. „Wir haben ja noch die regelmäßigen Gigs mit dem ‚Heartbreak Hotel’ hier im Theater. Aber für andere Sachen habe ich einfach keine Energie. Momentan gehe ich nur noch zu Auditions, wenn mich eine Rolle wirklich interessiert, aber ich kann auch nicht sagen, dass mir etwas fehlt. Dazu fühle ich mir hier einfach viel zu wohl.“
Mehr Informationen unter www.verabolten.de
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical