home 2010 Tournee-Auftakt in der Hamburger ColorLineArena

Tournee-Auftakt in der Hamburger ColorLineArena

Zwei Jahre musste das Musicalpublikum auf die nächste große Gala-Tour aus dem Hause Stage Entertainment warten. Aber jeder Tag hat sich gelohnt!

Auch 2010 besticht die Musicalgala durch sehr gute Solisten, ein großartiges Orchester, stimmungsvolle Bühnenbilder, kreative Kostüme und harmonische Choreographien. Nichts stört das Gesamtbild (mit Ausnahme einiger billig anmutender Perücken).

Bei der Auswahl der verschiedenen Songs ist man dieses Jahr erfreulicherweise nicht nach Schema F vorgegangen und hat nur die bekanntesten Stücke aus den präsentierten Musical aufgeführt, sondern es ist eine gelungene Mischung aus Klassikern wie dem ,Cell Block Tango‘ aus „Chicago“ oder ,Sunset Boulevard‘ aus dem gleichnamigen Musical und Showstoppern wie ,I want it all‘ aus „We will rock you“, ,Niemand stoppt den Beat‘ aus „Haispray“, ,Er lebt in Dir‘ aus „König der Löwen“ oder ,Ich weiß, was ich will‘ aus „Ich war noch niemals in New York“.

Zudem wurden nicht nur reine Stage Entertainment Produktionen vorgestellt, sondern mit „Pippin“, „Chicago“, „West Side Story“ und „Sunset Boulevard“ Ausschnitte aus Musicals gezeigt, die in Deutschlands lange nicht mehr bzw. noch nie auf einer Ensuite-Bühne gezeigt wurden. Über die obligatorischen Teaser-Stücke für „Sister Act“ (ab Herbst 2010 in Hamburg) und „Hinterm Horizont“ (ab Herbst 2010 in Berlin) kann man da getrost hinwegsehen.

Die acht Solisten zeigen in ihren bekannten Rollen, was man von ihnen erwartet, zeigen aber in anderen Songs auch neue Facetten. Dass Pia Douwes als Norma Desmond bestechend ist und im Cell Block Tango ihre jungen Kolleginnen in Sachen Sexappeal um Längen übertrumpft, ist zu erwarten. Dass sie aber auch als TV-Moderatorin Lisa und mit Udo Jürgens Hits überzeugt, war keinesfalls selbstverständlich. Willemijn Verkaik fühlt sich in bekannten Rollen aus „Wicked“ und „We Will Rock You“ sichtlich wohl, gewinnt das Publikum aber auch als Anita der „West Side Story“ und mit Time of my life aus „Dirty Dancing“. Das Küken Elisabeth Hübert gibt eine sehr gute Jane, scheint aber mit der Rolle der Tracy aus „Haispray“ stimmlich und tänzerisch überfordert. Das Damen-Quartett komplettiert Ana Milva Gomes, die sich als Kala („Tarzan“) und Nala („Schattenland“) direkt in die Herzen der Zuschauer singt. Als Deloris rockt sie die Bühne und empfiehlt sich damit zweifelsohne für die Hauptrolle in „Sister Act“.

Den vier Leading Ladies stehen vier Kollegen zur Seite, die sich weder in Erfahrung noch Können oder Vielseitigkeit hinter ihnen verstecken müssen. DMJ alias David Michael Johnson übernimmt die Bühne als Britney („WWRY“) komplett, schlägt aber in der „Dirty Dancing“-Sequenz und als Mufasa auch wundervoll leise Töne an. Mark Seibert kann sich mit DMJ in einen Wettkampf um „Mister BoM 2010“ begeben und hätte durchaus gute Chancen. Doch neben der Optik und seinen bekannten Rollen als Fiyero und Ranger überzeugt er auch mit „Sunset Boulevard“ und „Cool“. Für die eher komischen Momente – ob freiwillig oder unfreiwillig sei mal dahingestellt – sorgt Patrick Stanke. Als Big Bopper agiert er rollendeckend; als Edna Turnblad hat er die Lacher zu 100% auf seiner Seite. Musikalisch besticht er mit einem wunderbar klaren „Maria“. Diesen Song hätte Anton Zetterholm sicherlich ähnlich herzanrührend interpretiert, doch konnte er sein Gefühl für Balladen mit „In the still of the night“ unter Beweis stellen. Als Buddy Holly hingegen scheitere sein Versuch, den Rock’n’Roll überzeugend über die Rampe zu bringen.

Trotz einiger kleiner Holprigkeiten harmonieren Songauswahl und Zuteilung auf die Protagonisten weitgehend. Erfreulich ist zudem, dass sich keiner der Darsteller als Conferencier hervortut, sondern der Staffelstab des Moderators von Szene zu Szene weitergereicht wird und so fast jeder einmal seine Kollegen ankündigen darf.

Optisch fackelt die Stage Entertainment mit „Best of Musical 2010“ da zu erwartende Feuerwerk ab: Große Bildschirme links und rechts der Bühne ermöglichen Detailblicke auch in den letzten und höchsten Reihen der Konzert-Arena. Und diese Details haben es in sich: Reto Tuchschmid schafft mit seinen Kostümen in jeder der unterschiedlichen Themenwelten die perfekte Ergänzung. In der Eröffnungsszene zeichnen sich die schwarz-weißen Kostüme durch Detailvielfalt aus – keines der Kostüme ist wie das andere. Wundervolle Roben für die Damen und schillernde Anzüge für die Herren wechseln sich mit den bekannten Kostümen aus den Musicals ab und geben dem Auge immer wieder neue Ansatzpunkte. Und wer denkt, dass die Kostüme aus der ersten Szene und die aus dem „Wicked“-Block identisch sind, sollte genau hinsehen: Kleine smaragd-grüne Accessoires zeugen von Tuchschmids Anspruch nicht zweimal das gleiche Kostüm zu erschaffen.

Dieses harmonische Kostümbild fügt sich perfekt in das Bühnenbild von Jürgen Schmidt-André ein, der jeder Sequenz den passenden Hintergrund liefert: Da wird mit Vorhängen, Zügen, mobilen Treppen und Videoprojektionen gearbeitet, die das Publikum immer wieder in eine neue Welt eintauchen lassen.

Jani Walsh-Webers Regie und Choreographie geben der Gala Schwung, ohne sie zu überfrachten. Die einzelnen Szenen gehen gut ineinander über, es gibt kaum nennenswerte sonst häufig so lästige Umbaupausen und die Personenregie stimmt ebenfalls.

Ihre Choreographien sind im allerpositivsten Sinn klassisch. Das heißt keiner der Tänzer fällt durch Asynchronität oder Extravaganzen auf, die Gruppen bilden harmonische Gesamtbilder.

Insgesamt ist die „Best of Musical 2010“ Tournee eine wirklich gelungene Gala. Das Konzept geht auf und auch die ruhigeren Szenen gehen in den großen Konzerthallen nicht unter. Und zur Freude vieler Besucher ist diese Stage Entertainment Tour keine reine Eigenwerbung, sondern huldigt dem Genre Musical im Ganzen. Solche professionellen Produktionen schaut man sich gern immer wieder an.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: ColorLineArena, Hamburg
Besuchte Vorstellung:  29. Januar 2010
Darsteller: Pia Douwes, D. M. Johnson, Marc Seitz, Patrick Stanke, Willemijn Verkaik, Anton Zetterholm
Regie:  Jani Walsh-Weber
Fotos: Stage Entertainment