Inhaltlich geht es um den erfolglosen Broadway-Produzenten Max Bialystock, der seinen Buchhalter Leo Bloom dazu anstiftet, sich mit den Investitionen von wohlmeinenden Gönnern ins Ausland abzusetzen. Damit ihr Plan gelingt und die geplante Show auch ganz sicher ein Flop wird, brauchen die beiden das schlechteste je geschriebene Musical, den unfähigsten Regisseur und die unbegabtesten Darsteller. Mit Franz Liebkind finden Sie den vermeintlich untalentiertesten Musicalautor, als Regisseur wird die alternde Transe Roger DeBris verpflichtet. Bei den Darstellern hilft der Zufall in Form der schönen schwedischen Ulla mit, die die beiden Produzenten mit ihren offensichtlichen Talenten direkt überzeugt.
Schon im ersten halben Jahr wechselten die Hauptdarsteller rege. Nathan Lane, der original Max Bialystock vom Broadway, blieb nur zwei Monate und dreht seit Anfang 2005 die Verfilmung von „The Producers“. Brad Oscar, der ebenfalls über Erfahrung als Max Bialystock aus mehreren hundert Vorstellungen in den USA verfügt, sprang als Ersatz ein, dicht gefolgt von Fred Applegate, der die Hauptrolle seit April verkörpert.
Lee Evans spielte die Rolle des schüchternen Buchhalters ebenfalls nur ein knappes halbes Jahr und wurde im April von John Gordon Sinclair abgelöst.
Normalerweise sind häufige Darstellerwechsel, gerade am West End, ein untrügliches Signal für Shows, die nicht erfolgreich sind. Dies gilt jedoch nicht für Mel Brooks’ komödiantisch-musikalisches Meisterwerk. Auch nach mehr als sechs Monaten ist das Theater bis auf den letzten Platz gefüllt.
Was genau ist es, das den Reiz an diesem Musical ausmacht und in London und den USA das Publikum scharenweise in die Theater lockt?
Neben der Aufbereitung im Stil einer großen Musikrevue, die an allen Ecken klotzt und der Inbegriff für Broadway-Theater ist, scheint die skurrile Vorstellung eine Musical-Comedy über den schlimmsten Diktator des 20. Jahrhunderts
zu sehen, mehr als anziehend. Auch der Name Mel Brooks, der mit seinen Filmen schon Millionen Zuschauer bestens unterhalten hat und bei „The Producers“ für Buch und Musik verantwortlich zeichnet, ist ein weiterer Grund, sich diese Show anzusehen. Die Übertragung des Films von 1968 (mit Gene Wilder als Bloom und Zero Mostel als Max Bialystock) in ein Bühnenmusical stellt für viele eine spannende Herausforderung dar, die sie sich nicht entgehen lassen wollen.
Wohl kaum jemand kann vollkommen unbefangen an diese Revue herangehen. Gerade deshalb ist es äußerst amüsant mitzuerleben, wie steppende Großmütter, eine stets um alles bemühte Klischee-Schwedin, ein schüchtern-vertrottelter Buchhalter, ein schlitzohriger Broadway-Produzent und schlussendlich ein überkarikiert tuntiger Adolf Hitler beim Publikum ankommen: Von anfänglichem Erstaunen bis zu spontanem Jubel und Gelächter sieht man um sich herum alle Spielformen der Mimik.
Spätestens wenn das Kreativteam von „Springtime for Hitler“ bestehend aus dem hyper-sensiblen Assistenten Carmen Ghia und einer Truppe, deren Ähnlichkeit mit den Village People nicht von Ungefähr kommt, vorgestellt wird, tobt der Saal. „Keep it gay“ ist einer der großen Showstopper dieses Abends.
Herausragende Szenen sind u. a. das von Ulla (Leigh Zimmermann) renovierte Büro der beiden Produzenten. Dass sie dabei nicht nur die Wände weiß gemalt hat, sondern jeden Millimeter inkl. Telefon, Aktenkoffer, Mantel und Hut unterstreicht ihren charmanten Übereifer. Das Little Old Lady Land“ kurz vor dem Ende des ersten Akts ist einmalig und urkomisch: Da treten 20-25 Großmütterchen auf und hoffen, durch ihre Spende von Max Bialystock etwas Zuneigung zu bekommen. In ihrem Wahn steigern sie sich in eine eigene Welt, in der sie mit ihren Gehhilfen einen Stepptanz hinlegen, der seinesgleichen sucht.
Die Szenen mit Franz Liebkind (Nicolas Colicos) im Mittelpunkt sind schräg und sehr originell inszeniert. Der Komponist und passionierte Tauben-züchter lässt Max und Leo den „Guten Tag Hop Clop“ tanzen, um ihre Eignung als Produzenten seines Werks zu bestätigen. Wenn er während der Proben den Darstellern vorführt, wie sie singen müssen („Haben Sie gehört das deutsche Band?“), überzeugt seine Ernsthaftigkeit jeden Zuschauer von seinem Spleen.
Fred Applegate hat seine stärkste Szene im zweiten Akt, wenn er in seiner Zelle in Sing Sing sein Leid klagt und an allem und jedem zweifelt. Dieser gesungene Monolog ist an Intensität kaum zu überbieten. Plötzlich bekommt man Mitleid mit dem hinterhältigen Broadway-Produzenten, der kurz zuvor noch alte Damen um ihr Erspartes geprellt hat.
Die Vorbehalte mancher deutscher Produzenten kann man kaum nachvollziehen. Weder der tuntige Hitler noch die „notgeilen“ alten Ladies wirken so authentisch, dass man sie ernst nehmen könnte. Lediglich die Rolle des Franz Liebkind ist phasenweise etwas grenzwertig. Wenn er den Darstellern der SS-Männer und -Frauen den Hitlergruß beibringt, bleibt dem einen oder anderen Zuschauer schon das Lachen im Hals stecken. Doch wenn man diesen Mann als das sieht, was er darstellen soll: nämlich als paranoiden vergangenheitsfixierten Spinner mit mittelmäßigem Komponiertalent – dann gehören die genannten Szenen einfach dazu und runden das Bild dieses Charakters perfekt ab. Man kann nur hoffen, dass ein Theaterintendant oder Musicalbetreiber den Mut findet und dieses Stück auf eine deutsche Bühne bringt. Der Spaß ist das Risiko alle Mal wert.
„The Producers“ bietet von der ersten bis zur letzten Minute erstklassige Unterhaltung. Keine Szene ist wie die andere, herrlich schräge und überzogene Figuren sorgen für einen abwechslungsreichen und kurzweiligen Abend. Klassisch angehauchte Revue-Melodien und –Choreographien, farbenfrohe Kostüme und ein originelles Bühnenbild ergeben einen gelungenen Theaterabend.
Dass in London mit Fred Applegate (Max Bialystock), John Gordon Sinclair (Leo Bloom), Ulla (Leigh Zimmerman), Conleth Hill (Roger DeBris) und James Dreyfuss (Carmen Ghia) eine erstklassige Cast auf der Bühne steht, zollt dem hohen Anspruch Rechnung, mit dem Mel Brooks and die Umsetzung seines Musicals herangegangen ist.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Darsteller: Fred Applegate, John Gordon Sinclair, Nicolas Colicos, Leigh Zimmermann
Buch / Musik: Mel Brooks
Fotos: Tristram Kenton