Tap Stars

Nicht nur die sieben Tänzer sind am Ende der Show außer Atem. Auch das Publikum verlässt das Theater verschwitzt vom Mittanzen bei den Zugaben, mit brennenden Händen vom frenetischen Applaudieren und stimmlos vom lautstarken Johlen und Pfeifen. Und alle wollen mehr – mehr von der Energie, mehr von der Lebensfreude, mehr von der eindrucksvollen Kunst, die Rasta Thomas‘ Bad Boys of Dance lautstark auf der Bühne des St. Pauli Theaters darbieten.

Nur selten erlebt man das im allgemeinen eher zurückhaltende Hamburger Publikum so entfesselt. Doch wer schon einmal Rasta Thomas‘ erste Show „Rock the Ballet“ miterleben durfte, hat eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was tänzerisch möglich ist.

Für die selbst ernannte Dance Revolution „Tap Stars“ wählte Rasta Thomas sieben erfahrene Tänzer aus seiner Kaderschmiede aus, die sich bei verschiedenen Stepptanz-Shows weltweit einen Namen gemacht haben: Christopher Erk, Jason Janas, Michael Keefe, Anthony J. Russo, Jumaane Taylor, Cartier Williams und Joseph Monroe Webb überzeugen durch atemberaubende Körperbeherrschung, Füße, die in Lichtgeschwindigkeit über die Bühne donnern, einen Drehmoment, der seinesgleichen sucht, nicht enden wollende Kraft und Energie und jede Menge Spaß!

Die Show selbst besteht aus zwei 50-Minuten-Akten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Akt 1 erzählt die Geschichte eines alternden Tänzers in New York (wunderbare Eröffnungsnummer zu Alicia Keys‘ „New York“). Eine Gruppe Streetdancer lässt sich von ihm die Geschichte des Stepptanzes erzählen und begleitet den „Oldie“ in vielen liebevoll arrangierten Episoden auf seiner Reise durch die Vergangenheit. Klassiker wie „My Way“ und „Singin in the rain“ fehlen genauso wenig wie Musicalhits (Sondheims „Send in the clowns“). Mit Claude Debussys „Clair de Lune“ aus seiner Suite bergamasque (bekannt u. a aus dem Film „Sieben Jahre in Tibet“) kommt auch die klassische Musik nicht zu kurz. Am Ende des ersten Aktes geht der alte Tänzer ins sprichwörtliche Licht und die sechs Streetdancer huldigen ihm mit DEM Stepptanz-Klassiker schlechthin: „Mr. Bojangles“ in der Interpretation von Robbie Williams. Stepptanz ohne Erinnerung an Bob Fosse, den Broadway-Tanzmeister der 50er und 60er Jahre, wäre unvorstellbar.

Das Besondere an der ersten Hälfte ist nicht nur die durchgängige Geschichte, was für Rasta Thomas durchaus schon ungewöhnlich ist, sondern wie die verschiedenen Musikstücke stepptänzerisch umgesetzt werden. Bei Gute-Laune-Stücken wie „Singin in the rain“ mag das noch recht selbsterklärend sein, aber wenn die Tänzer bei „My Way“ und „Send in the clowns“ – zwei weltbekannten Balladen – mit überbordender Energie und teilweise sogar aggressiv über die Bühne wirbeln, muss man schon sehr genau auf den Text hören, um nachvollziehen zu können, dass sich hier Trauer und verletzte Gefühle Bahn brechen. Einfach genial!

Der zweite Akt ist musikalisch und inszenatorisch sehr typisch für Rasta Thomas: Zu schmissigen Poprhythmen wird mal freestyle, mal stark akkurat durchchoreographiert über die Bühne getanzt, dass die Bretter vibrieren und die Schweißperlen fliegen. Das Publikum klatscht bei „Under Pressure“ von Queen im Takt, freut sich bei den (durchaus bekannten) Gummipuppen in James Brown‘s „It‘s a Man‘s World“ und kommt bei Eminem‘s „Lose Yourself“ aus dem Staunen nicht mehr heraus. Man sieht sich geballter Manneskraft gegenüber, die sich in scheinbar verknoteten Beinen, meterhohen Sprüngen und bis zum Bersten gedehnter Sehen entlädt.

Natürlich spielen die sieben Tänzer die Hauptrolle – und ohne eine zweite und dritte Zugabe lässt das Publikum die Bad Boys of Dance auch nicht von der Bühne – doch auch Lichtdesign und Videoinstallationen, in bewährter Tradition von Lutin Tanner und William Cusick entworfen, machen diese Show zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk.

Stepptanz? Ein alter Hut? Langweilig und angestaubt? Mitnichten – Rasta Thomas zeigt mit seinen „Tap Stars“ wie modern, mitreißend und stimulierend dieser einmalige Tanzstil ist.

Michaela Flint

Theater: St. Pauli Theater, Hamburg
Premiere: 7. Juni 2011
Darsteller: The Bad Boys of Dance
Regie: Rasta Thomas
Fotos: St. Pauli Theater / Oliver Fantitsch
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