home 2022 Sie reiten in den Sonnenuntergang

Sie reiten in den Sonnenuntergang

Nach „Oh Alpenglühn“ und „Die Entführung aus dem Paradies“ folgt mit „Der letzte Ritt nach San Fernando“ ein weiteres vielversprechendes Bühnenstück mit Nik Breidenbach und Carolin Fortenbacher in allen Rollen.

Das Leitthema ist diesmal – der Titel legt es nahe – der Wilde Westen. Im Saloon „Zum dreibinigen Pony“ lernen die Zuschauer Caro Coquette kennen, die als Waisenkind und Mädchen für alles den Laden schmeißt, dafür sorgt dass der Koch, Komm-Um Kim, niemanden mit seinen Kreationen (bspw. Muschi-Suppe zum Klang vom „Jellicle Ball“) umbringt und ihre Chefin, die herrische Delilah, keinen Grund zum Klagen hat.

Als plötzlich ein etwas tolpatschiger Cowboy in den Saloon stoplert, sieht Caro ihre Chance gekommen, diesem trostlosen Leben zu entfliehen. Ist er etwa der berüchtigte Bik Neidenbach, vor dem sogar der Sheriff, dessen Namen man nicht nennen darf, Angst hat? Keine Sorge, diese Frage wird im Laufe des Abends umfassend geklärt! Erstmal versucht Caro alles, um das vermeintliche Ehemann-Material zu testen.

Natürlich gehört es auch bei diesem Stück dazu, dass das Publikum mit einbezogen wird und so werden die beiden Darsteller nicht müde, ihre auserkorene „Horizontalfachkraft“ aus der ersten Reihe immer wieder durch den sprichwörtlichen Kakao zu ziehen.

„Die Cowboys von der Waterkant“ legen direkt los mit ihrem Nashville-Sound, der manchmal auch stark nach Popmusik oder gar Musical klingt. Fortenbachers „Nine to Five“ ist zwar vor Hall kaum noch zu verstehen, aber dafür entschädigt ihr „Sommerwein“. So wunderbar kann nur die Fortenbacher lallend lamentieren. Getoppt wird das nur von ihrem Hocker-Rodeo im zweiten Akt. Da bleibt kein Auge trocken! Natürlich fehlt auch der obligatorische ABBA-Song nicht, in diesem Fall „Money, Money“.

Als Breidenbach zum Titelthema von „Rebecca“ ansetzt, hält man zwangsläufig den Atem an. Das war eine beeindruckende Performance! Im zweiten Akt hebt er dann auch noch zu „Dies ist die Stunde“ aus „Jekyll & Hyde“ an. Und auch hier kann man nur innerlich applaudieren…

Flotte Sprüche und kreative Ideen wie „Das hab ich im ‚Echo der Frau‘ gelesen!“ oder „Kannst Du tanzen? Dann tanz ab!“ sind gleichmäßig über das ganze Buch verteilt, so dass die Zuschauer immer wieder was zum Lachen haben. Genau so kennen und lieben wir die Schmidt-Produktionen.

Das Bühnenbild (Nik Breidenbach, Florian Bänsch, Mathias Letzel) ist herrlich farbenfroh, was man von einer Western-Kulisse nicht unbedingt erwartet, und erinnert an einen Cartoon, was perfekt zu diesem abgefahrenen Stück passt. Auch der unerwartete Schwarzlicht-Effekt passt hierzu richtig gut. Die Kostüme – insbesondere von Delilah und Caro Coquette im 2. Akt sind wunderbar anzuschauen und herrlich kreativ (ebenfalls Nik Breidenbach mit Michael Kauper).

Ach so, die Handlung ist wie immer eher Nebensache: Es stellt sich heraus, dass der Cowboy nicht Bik Neidenbach ist, sondern Caros Bruder und dass Delilah die Mutter der beiden ist. Klingt verwirrend? Ist es auch. Aber das macht gar nichts, denn wenn man das Schmidt Theater nach dieser Show verlässt, hat man viel gelacht. Das ist es, was man von diesem Stück erwarten durfte und diese Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Michaela Flint

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 12. August 2022
Darsteller: Nik Breidenbach, Carolin Fortenbacher
Regie / Buch: Corny Littmann / Nik Breidenbach, Henning Mehrtens, Andreas Bierkamp
Fotos: Morris MacMatzen