Alice und ihre wundersamen Erlebnisse im Kaninchenbau sind spätestens seit der Tim Burton Verfilmung mit Johnny Depp und Anne Hathaway (2010) der breiten Masse ein Begriff. Doch Lewis Carrolls Buch von 1865 wurde schon zuvor zahlreich verfilmt; am bekanntesten wohl die Disney-Version von 1951. Auch Bühnenadaptionen gab es einige, doch in einem Musical haben verrückter Hutmacher, Grinsekatze und Märzhase bisher nichts Gutes von sich hören lassen. Frank Wildhorns „Wonderland“ floppte 2011 am Broadway mit nur vier Wochen Laufzeit. Ob die im Januar 2017 in Edinburgh gestartete UK-Tour mit Kerry Ellis als Alice erfolgreicher wird, muss sich zeigen.
In Darmstadt hat nun Sigrun Fritsch ihre sehr freie Adaption des Kinderbuchklassikers auf die Bühne der Kammerspiele gebracht. Die Berliner Initiative Rapucation (Robin Haefs) und das Freiburger Aktionstheater PAN.OPTIKUM (Sigrun Fritsch) erarbeiten seit sechs Jahren gemeinsame Projekte für und mit Kindern und Jugendlichen. Zugrunde liegt immer die Kombination von Schauspiel, Rap und Tanz. Auch für „Alice!“ haben sich zahlreiche Darmstädter Jugendliche gemeldet, die freiwillig und aus Spaß an der Freud ihr Können unter Beweis stellen. Die über 30 Jugendlichen haben unterschiedlichste Hintergründe – von Flüchtlingskindern bis hin zu tanz-, schauspiel- und gesangserfahrenen Teenagern ist alles vertreten. Diesen bunten Haufen zu einer harmonischen Einheit zu machen, war sicherlich keine leichte Aufgabe, doch es gelingt Fritsch und Haefs.
„Alice!“ wurde als ‚Schauspiel mit Musik’ angekündigt. Die Musik stellt sich als leider recht eintöniger Rap heraus, der zwar inhaltlich gute Botschaften vermitteln möchte, jedoch in fast allen Songs gleich klingt. Somit kann man nicht von einem musikalischen Highlight sprechen.
Ein so großes Ensemble sinnhaft zu platzieren, ist eine Herausforderung. Doch Fritsch hat 12 bewegliche Bühnenelemente als einzige Kulissen für ihre Inszenierung vorgesehen und die Nachwuchskünstler sind viel damit beschäftigt, diese in Position zu schieben und mit Keilen (!) zu arretieren. Außerdem bietet diese vielfältige Spielwiese unzählige Möglichkeiten, um 30 Darstellern Raum zu geben.
Die Szenenbilder, die mithilfe dieser Blöcke entstehen, sind zum Teil sehr gelungen (bspw. der Fluss, den Alice durchquert oder die Gerichtsverhandlung der beiden (!) Hutmacher), auch wenn man teilweise sehr viel Phantasie braucht, um aus dem schwarzen Raum mit schwarzen Quadern die bunte, blühende Welt zu erschaffen, in der Alice ihre Abenteuer besteht.
Der Märzhase steht bei dieser Produktion übrigens gleich sieben Mal auf der Bühne. Doch diese Hasen sind das verbindende Element. Sie sind in jeder Szene präsent – sei es nun aktiv oder als diejenigen, die sich – gern auch mal spielerisch – um die korrekte Platzierung der Blöcke kümmern. Die Hasen sind es auch, die den größten Rap-Anteil haben: „Alles, was wir können“, „Ich falle“ oder das finale „Es wird niemals wie es war, aber alles wieder gut“ sind moderne, gut getextete Raps, die einigen Jugendlichen erfrischend leicht über die Lippen gehen.
Das Tanzelement ist dagegen weniger ausgeprägt. Vielmehr bewegen sich die Darsteller in mehr oder weniger präzisen Abfolgen über die Bühne und Kulissen. Einzig nach der finalen Auseinandersetzung von Alice mit der roten Königin, in der sie die Herrscherin mit dem Glauben an sechs unmögliche Dinge in die Flucht schlägt, gibt es eine ansatzweise durchchoreographierte Szene vor einem großen Spiegel.
Die Macher richten sich mit ihrem Stück an Jugendliche, wollen mit „Alice!“ deren Probleme reflektieren und die Teenager dort abholen, wo auch immer sie gerade in ihrem Leben stehen. Alice befindet sich laut Fritsch, die mit ihrem Stück Lewis Carrolls Werk auf den Kopf stellen möchte, gerade in einem Zustand ständiger Verwandlung, mit dem sich insbesondere Heranwachsende gut identifizieren können sollen. Das ist etwas an den Haaren herbeigeholt und wird im Laufe der 80-minütigen Spielzeit auch nicht weiter vertieft.
Interessant ist, dass das Stück laut Theater-Website ab 13 Jahren empfohlen wird, während auf dem Ticket eine Altersempfehlung von 15 Jahren abgedruckt war. Ehrlich gesagt ist dieses Stück allenfalls für Abiturienten mit Deutsch-Leistungskurs und Theater-Besucher mit einer ausdrücklichen Vorliebe für experimentelles Theater geeignet. Es ist weder inhaltlich leichte Kost, noch inszenatorisch oder tänzerisch so kurzweilig umgesetzt, dass man den pädagogischen Anspruch erkennen könnte, den die Kreativen von Rapucation und PAN.OPTIKUM vertreten.
Dass „Alice!“ sehr frei nach Carroll entstanden ist, merkt man deutlich. Es fallen zwar immer wieder bekannte Namen wie Hutmacher, Jabberwocky oder rote Königin, aber die Handlung ist nur entfernt angelehnt an die Originalgeschichte und durch die Vielzahl an Hasen, den doppelten Hutmacher, die fehlende Grinsekatze, dafür aber mit Hund, fällt es dem Zuschauer schwer, einem roten Faden zu folgen. Auch diese Interpretation ist kein Baustein in der Erfolgsgeschichte von „Alice“ als Musical.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Besuchte Vorstellung: 16. Februar 2017
Musik / Regie: Rapucation / PAN.OPTIKUM
Fotos: Robert Schittko