home 2015 Rosenstolz-Musical überzeugt Open Air mehr als Indoor

Rosenstolz-Musical überzeugt Open Air mehr als Indoor

Da das Theater Kiel krankheitsbedingt eine Produktion aus dem Spielplan nehmen musste, hat man sich kurzerhand entschlossen, das im letzten Sommer so erfolgreiche Musical „Romeo & Julia“ auf die Bühne des Schauspielhauses zu bringen. Notwendige Anpassungen des Bühnenbildes wurden gekoppelt mit der Ankündigung neuer Szenen und Texte. Insofern durfte das Publikum durchaus gespannt sein, was sich das Kreativteam Neues ausgedacht hatte.

Das Bühnenbild wurde wie auch schon in der Inszenierung am Hafen bestimmt von der weißen Treppe, auf der sich alle Szenen abspielen. Jedoch ist die Treppe nun nicht mehr strahlend, jungfräulich weiß, sondern zerschrammt, mit Einkerbungen, kleinen Zeichnungen und Sprüchen versehen. Links und rechts flankiert wurde die Bühne von überdimensionalen Buchstaben, die jeweils die Namen der Hauptfiguren bilden. Auch ins Lichtdesign wurden diese Elemente mit eingebunden. Darüber hinaus gab es optisch wenig Neues. Die drei LED-Screens am Ende der Treppe wurden unverändert dazu genutzt, das Geschehen auf der Bühne in einen größeren Kontext einzubinden oder die Wirkung der Songs mit Videoeinspielungen zu intensivieren.

Die erste Szene zieht das Publikum sofort ins Geschehen: Die verfeindeten Gangs der Capulets und Montagues treffen aufeinander und es entbrennt ein lautstarker, chaotischer Straßenkampf.

Ministerpräsident Torsten Albig als Escalus, der sich nachdrücklich gegen dieses Gebaren wehrt, verfehlt seine Wirkung auch indoor nicht. Auch der Wortwitz, mit dem die Shakespeare-Zeilen mit den zeitgenössischen Dialogen kombiniert werden, funktioniert einmal mehr sehr gut.

Für fragende Gesichter sorgt die Einblendung von Julia auf der Leinwand, während Romeo in seinem ersten Song noch der von ihm so heiß geliebten Rosalinde hinterher trauert. Da hat man es sich etwas sehr einfach gemacht.

Ebenso schade ist es, dass die Szene, in der Julias Mutter ihrer Tochter die Hochzeitspäne präsentiert, nicht gestrafft wurde. Sie ist sehr langatmig und die im Vergleich zum Sommer deutlich albernere Amme macht es nicht besser. Auch die Szene, in der Benvolio und Mercutio den liebeskranken Romeo aus seinem Versteck hervorlocken wollen, ist zu lang und droht ins Trashfach abzugleiten.

Die weltberühmte Balkonszene musste für die Indoor-Variante komplett verändert werden, da der schiffsähnliche Bühnenaufbau in der Mitte fehlte. Nun muss kurzerhand ein Geländer an der linken Bühnenseite dafür herhalten. Wie jedoch Romeo ebenjenen Balkon erklimmt, ist sehenswert. Er versucht die glatten Wände mit allen möglichen Tricks zu bezwingen, schlussendlich hilft eine Palette Pils bei der Überwindung der Höhenmeter. Ob Johannes Merz hierfür einen Kletterkurs besucht hat? Zum Standardrepertoire eines Schauspielers und Sängers gehört dieses sportliche Herumturnen in vier Metern Höhe jedenfalls nicht. Leider ist man seitens der Regie (Daniel Karasek) nicht so weit gegangen, dass man die unleidliche „Titanic“-Szene ebenfalls gestrichen hat. Plausibel wäre es gewesen – immerhin fand sie im Sommer noch auf einer Art Schiffsdeck statt – auf dem Geländer wirkt sie recht deplatziert.

Durch die fehlende Weite des Himmels wirkt die ganze Inszenierung deutlich kompakter. Das wird auch beim Song „Natur“ deutlich, in dem ein offenbar sehr weltlicher Pater Lorenzo mit seinen offenherzigen Nonnen tanzt, um dann am Schuss mit seiner „Holy Davidson“ von dannen zu brausen. Leider kommt man nur in den Genuss ihres satten Klangs, auf den Anblick der Maschine muss das Publikum indoor leider verzichten.

Die Kämpfe der Banden sind durchweg gut gestaged. Die Darsteller bemühen sich um Authentizität und die Zuschauer fiebern mit. Beim finalen Kampf von Tybalt und Mercutio fliegt jedoch ein (Plastik-)Messer ins Publikum. Das ist sicherlich so nicht geplant gewesen, birgt aber durch die Nähe des Publikums zur Bühne einige Verletzungsgefahren.

Mercutios Tod als solcher wurde entschärft. Er stirbt lange nicht mehr so theatralisch wie noch im letzten Sommer, was einer modernen Inszenierung gut zu Gesicht steht.

Zwei Szenen, die durch den Transfer von draußen nach drinnen verlieren, sind die Bettszene von Romeo und Julia sowie die Gruft, in der Julia im künstlichen Tiefschlaf  ihren Liebsten erwartet. Beide Szenen wirkten auf der Open Air Bühne zarter und intimer.

In der besuchten so genannten „B-Premiere“ wird Julia von Magdalena Neuhaus gespielt. Neuhaus gibt eine sehr frische, freche Julia. Ihr gelingt es, die jugendliche Naivität auch mit dem Gesang zu transportieren. Sie wirkt in jeder Szene süß, quirlig und sehr authentisch. Sie singt klar und druckvoll, aber irgendetwas fehlt. Vielleicht ist es die (Bühnen-)Erfahrung, die man bei Maxine Kazis (Erstbesetzung Julia) erleben durfte, die man bei Neuhaus vermisst.

Ansonsten gibt es bei der Besetzung nur wenige Änderungen. Paris wird von Marius Borghoff gegeben. Eine Alternative zu Romeo stellt dieser eher schmierig-opportunistische Heriatskandidat aber vermutlich für niemanden im Publikum dar. Auch die von der Mutter so hoch gelobten Attribute des schönen Paris sucht man leider vergebens.

Romeo wird erneut von Johannes Merz gespielt. Insbesondere beim „Ticken einer Uhr“ zeigt sich seine Wandlungsfähigkeit: Er singt sehr aggressiv und spielt nah am Wahnsinn, um dann in der nächsten Szene wieder der sensible Montague zu sein, der alles für seine Julia tun würde.

Als Eltern polarisieren Zacharias Preen und Ellen Dorn erneut durch ihre etwas schräge Interpretation des Veronaer Fürstenpaares. Rudi Hindenburg übernimmt wieder die Rolle von Mercutio, Romeos bestem Freund und lässt es gesanglich wie schauspielerisch an Nichts vermissen. Ob Yvonne Ruprecht an der weniger fürsorglichen als vielmehr gänzlich überdrehten Interpretation der Amme Spaß hat, lässt sich schwer beurteilen. Aber auch diese Besetzung ist sehr gelungen.

Rückblickend sucht man nach den angekündigten Neuerungen und findet sie in kleinen Details. Die Eröffnungsszene ist neu, wirkt aber leider nicht nach. Romeo und Julia blicken sich in der Sterbeszene noch einmal in die Augen – aber ob jeder diese Änderung zur Sommer-Inszenierung bemerkt?

Doch über die kaum ins Gewicht fallenden inhaltlichen / szenischen Anpassungen kann man gut hinwegschauen. Dennoch funktioniert ‘Romeo & Julia’ im Theater grundsätzlich genauso gut wie open air am Kieler Hafen. Allerdings fehlt ein wenig der Zauber, der das Stück im vergangenen Sommer im Freien umgeben hat. Ob es die untergehende Sonne, der warme Wind oder das Möwengeschrei war – im Sommer 2014 wurde die Geschichte von Romeo und Julia viel intimer und persönlicher erzählt. Durch die Nähe zum Publikum (die erste Reihe sitzt direkt am Bühnenrand) wirkt alles viel plakativer. Fraglich ist nur, ob die Regie dieses ganz besondere Flair überhaupt hätte einfangen können.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Schauspielhaus, Kiel
Besuchte Vorstelung: 23. Mai 2015
Darsteller: Magdalena Neuhaus, Johannes Merz, Rudi Hindenburg, Yvonne Ruprecht
Musik / Regie: Peter Plate, Ulf Leo Sommer / Daniel Karasek
Fotos: Theater Kiel