home 2004 Romeo und Julia on Ice – ein Musical erweckt das Eis zum Leben

Romeo und Julia on Ice – ein Musical erweckt das Eis zum Leben

Es ist schon ein gewagtes Unterfangen drei unterschiedliche Kunstformen wie klassisches Schauspiel, Eiskunstlaufen und Musical miteinander zu kombinieren. Doch die positiven Resonanzen aus dem eigenen Land ermutigten die tschechischen Macher nach einer erfolgreichen Tournee im Herbst 2003 in diesem Frühjahr die einmalige Eisshow auch den angrenzenden Nachbarländern Schweiz, Österreich und Deutschland zu präsentieren.

Sowohl das Eiskunstlauf- als auch das Gesangs-Ensemble wurde exklusiv besetzt: Unter den 36 Eiskunstläufern finden sich zahlreiche Olympiasieger, Europameister und Landesmeister. So übernehmen die mehrfachen Eistanz-Weltmeister Anjelika Krylova und Oleg Ovsiannikov die Rolle des tragischen Liebespaars, Olympiasieger Alexei Urmanov (alt. Europameister Dmitri Dmitrenko) spielt oder vielmehr tanzt den aufbrausenden Tybalt, der sich von Eisakrobat Armen Saakian als Mercutio nur allzu gern provozieren lässt.

Für die Einspielung der deutschsprachigen Fassung wurden Musical-Darsteller engagiert, die dem Publikum aus verschiedenen deutschen Musical-Produktionen („Jekyll und Hyde“, „Jesus Christ Superstar“, „Elisabeth“) bekannt sind. Die künstlerischen Voraussetzungen für diese Großproduktion konnten besser kaum sein.

Der hohe Anspruch, den Komponist Boris Urbánek und Regisseur Jindrich Simek haben, spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Kreativ-Teams wider:

Die Choreographie übernahm Pasquale Camerlengo, der Eiskunstlaufkennern aus seiner Zeit als italienischer Paarläufer wohlbekannt ist und dessen Bilder auf dem Eis geradezu mit der Musik verschmelzen. Für Szenenbilder und Kostüme zeichnet Alexander Babraj verantwortlich, der sich auch über die Grenzen Tschechiens hinaus einen Namen als Bühnenbildner gemacht hat. Die musikalische Leitung der deutschen Fassung übernahm der Niederländer Koen Schoots, der sich dem deutschen Publikum mit seiner Arbeit für „Cats“, „Buddy – das Musical“ und vor allem „Jekyll und Hyde“ in Bremen empfohlen hat.

Die Erwartungen an eine derartig besetzte Inszenierung waren verständlichermaßen hoch. Die Story von Shakespeares romantischer Tragödie ist hinlänglich bekannt. Berücksichtigt man, dass Eiskunstlauf eine sehr harmonische, leider allzu oft ins Kitschige driftende Sportart ist, und die Tschechen darüber hinaus für ihre hoffnungslos romantischen Märchen („Drei Haselnüsse für ein Aschenbrödel“) bekannt sind, war klar, dass die Inszenierung historisch orientiert, farbenfroh und künstlerisch anspruchsvoll werden würde. Diese Erwartungen wurden auch nahezu vollends erfüllt.

Ausgehend von einem Prolog, in dem William Shakespeare höchstselbst das Publikum auf die Geschichte der Capulets und Montagues vorbereitet, wird in 17 Bildern die Leidensgeschichte des Liebespaares gezeigt. Gleich zu Beginn, auf dem Marktplatz von Verona, zeigt sich das Eiskunstlauf-Ensemble in voller Pracht. Die Schauspieler auf der Drehbühne, die stilecht einem italienischen Palazzo der Renaissance nachempfunden ist, sind in historische Gewänder gehüllt. Klare Linien und Farbgebungen machen deutlich, wer zu welcher der beiden Familien gehört: Die Capulets – zu denen auch Julia zählt – sind in warme Orange- und Rottöne gekleidet, während Romeo und die Montagues blaue Kostüme tragen. Auch am Palazzo wird durch historische Portraits von Romeo und Julia optisch deutlich hervorgehoben, welches Haus welche Familie beherbergt.

Der Einfallsreichtum von Babraj tritt während des Maskenballs besonders deutlich hervor, denn kein Kostüm ist wie das andere: Alle 36 Eiskunstläuferinnen und Eiskunstläufer tragen komplett unterschiedliche, sehr phantasievolle Kostüme, deren Farbreichtum nur noch vom Lichtdesign übertroffen wird. Angenehm ist, dass die Kostüme jedoch nur in einzelnen Szenen überzeichnet wurden und die Hauptfiguren in zeitgemäßen Kleidern des 15. Jahrhunderts auftreten. Beispielsweise tragen die Herren zumeist Strumpfhosen mit langem Wams. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die reich bestickten Gewänder der verfeindeten Elternpaare und des Herzog Escalus mit ihren originellen Kopfbedeckungen.

Das Lichtdesign von Jan Plesník unterstützt die märchenhafte Inszenierung von Simek perfekt und taucht die Protagonisten in immer wieder neue Farbwelten. So gestehen sich Romeo und Julia ihre Liebe mit der wunderschönen Ballade „Ich gehör Dir“ in hellblauen und zart-rosé Lichtkegeln, die einige Zuschauer durchaus als „Zuviel des Guten“ empfunden haben mögen. Jedoch passt es einwandfrei zu dem anvisierten Stil der tschechischen Macher. Dass Julia am Ende dieser Szene klassisch korrekt auf einem Balkon ihre Pirouetten dreht, ist das i-Tüpfelchen.

„Romeo und Julia On Ice“ vereint gleichermaßen poetische und akrobatische Momente, zu denen zweifelsohne auch der Fechtkampf zwischen Tybalt und Mercutio zählt. Dmitri Dmitrenko als Tybalt und Armen Saakian (Mercutio) fliegen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit über das Eis, vollführen Mehrfachsprünge, Salti und bekämpfen sich mit echten Degen. Trotz oder gerade wegen seiner Frechheit und Akrobatik entwickelt sich Armen Saakian zum Publikumsliebling, obwohl er schon im ersten Akt einen hingebungsvollen Tod stirbt.

Weitere mehr oder weniger kitschige und monumental inszenierte Bilder sind die Kirche von Pater Lorenzo, in der Romeo und Julia getraut werden, die durch ein riesiges weißes Kreuz auf pinkfarbenem Grund symbolisiert wird, die trotz der Farbenfreude sehr beklemmend wirkt als sie zum Ort von Julias Trauerfeier wird.

Grenzwertig ist die Szene, in der Graf Paris auf einem mit Pfauenfedern reich geschmückten Schlitten ins Haus der Capulets einzieht, um Julia zu heiraten. Diese hat jedoch schon längst das Gift genommen und sich in einem ergreifenden Solo, indem sie mit Engelsflügeln geschmückt mehrere Meter über der Einfläche schwebend, von ihrer Welt verabschiedet. Nicht zu vergessen ist der voll funktionstüchtige Springbrunnen im Garten der Capulets der gleich in mehreren Szenen im Mittelpunkt steht.

Man kann es mögen oder auch nicht, aber Eiskunstlauf lebt von ausladenden Gesten, bunten Farbwelten sowie harmonisch fließenden Bewegungen und diese Eigenschaften wurden mit der Musik von Urbánek perfekt in Einklang gebracht. Eingespielt vom Symphonieorchester der Prager Philharmoniker bieten die Kompositionen alles auf, was ein an einem historischen Theaterstück orientiertes Musical verlangt: romantische Balladen, aggressive Kampfesklänge, große Chornummern, leidvolle Duette…

Nicole Seeger und Sascha Th. Krebs liehen Julia und Romeo ihre Stimmen und sind damit für die Romantik zuständig. Duette wie „Ich gehör Dir“ und „Ich schwöre Dir die Liebe“ machen deutlich, worum es in diesem Stück geht – bedingungslose Liebe abseits aller Konventionen. Auch ihre leidenschaftlichen Soli klingen lange nach. So trauert Romeo (Sascha Th. Krebs) zunächst noch seiner vermeintlich großen Liebe Rosalind nach („Was ist Liebe?“) und Julia (Nicole Seeger) lässt ihren Gefühlen in „Einer Nacht voller Träume“ und beim „Todeskuss“ freien Lauf.

Darius Merstein-MacLeod und Zoltán Tombor liefern sich als Mercutio und Tybalt verbale Gefechte der Extraklasse – es ist eine Freude ihrem Kampf zuzuhören (und ihren Eiskunstlaufenden Alter Egos zuzuschauen), der sich in „Fluch über Euch!“ entlädt. Doch zuvor stellt sich jeder in einem Solo vor: Während Mercutio (Darius Merstein-MacLeod) mit „Königin Mab“ charmant und provokant daherkommt, legt Zoltán Tombor in „Tybalt, das Tier“ eine gehörige Portion Aggressivität, die seinen Widersacher das Fürchten lehren soll.

Vertraute Stimmen hört man in dem traurigen Duett der beiden Mütter, die den Tod ihrer Kinder beklagen: Brigitte Oelke (Gräfin Capulet) und Nicole Sieger (Gräfin Montague) harmonieren stimmlich perfekt und machen die ergreifende Szene „Es ist so wenig Liebe in uns“ zu einem der Höhepunkte der Show. Carsten Axel Lepper und Karim Khawatmi haben als verschmähter Graf Paris und besonnener Herzog Escalus ebenfalls je einen Song auf der CD wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Während der strenge Herzog Escalus (Karim Khawatmi) sein Volk ermahnt („Genug davon!“) und sich jegliche Streitigkeiten zwischen den verfeindeten Familien verbittet, möchte Graf Paris vor lauter Glück über die bevorstehende Hochzeit mit seiner angebeteten Julia am liebsten die ganze Welt umarmen („Ein goldener Ring“).

Während die Musik abwechslungsreich und stimmig mit eingängigen Melodien komponiert ist, lassen die deutschen Texte von Melitta Edith (alias Susanne Dengler) an vielen Stellen doch sehr zu wünschen übrig. Teilweise bleibt sie dicht an Shakespeares Vorlage, was sich nur schwer mit den Melodien vereinbaren lässt, an anderer Stelle werden Schüttelreime gebildet, die einem einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Doch diese textlichen Unebenheiten, trüben das Gesamtbild kaum.

Was jedoch einen negativen Beigeschmack verursacht, ist, dass die tschechischen Schauspieler der deutschen Playbacks ihrer Musical-Kollegen nicht Herr wurden. Abwechselnd wurde eine Szene von Eiskunstläufern oder Schauspielern dargestellt. Während sich die Eiskunstläufer jedoch auf ihren Sport konzentrieren durften und nicht „mitsangen“, waren die Schauspieler offenbar verpflichtet, die deutschen Dialoge und Songs mitzusprechen. Schade nur, dass kaum einer seine Texte kannte. Bei einigen Schauspielern war es sogar so, das man meinte, sie würden lediglich den Mund nur auf und zu machen wie ein Fisch im Aquarium. Dies ist ein Manko, das erwähnt werden muss. Die Darsteller von Graf Paris und Herzog Escalus setzen sich hier von ihren übrigen Schauspiel-Kollegen ab, denn sie beherrschten nicht nur die Dialoge, sondern konnten auch die Soli nahezu fehlerfrei „mitsingen“. Für die geplante Tour im Herbst muss an der Phonetik der Schauspieler ganz intensiv gearbeitet werden, denn dieser Fauxpas passt so gar nicht zu der ansonsten hochkarätigen Besetzung und dem hohen Anspruch der Kreativen.

„Romeo und Julia On Ice“ ist eine außergewöhnliche Idee, die absolut sehenswert ist – vorausgesetzt, man lässt sich auf die harmoniesüchtige Farbwelt des Eiskunstlaufs und die fließenden Klänge eines romantischen Musicals ein. Wer damit nichts anfangen kann, wird auch dieser mutigen Inszenierung nichts abgewinnen können.

Michaela Flint
veröffentlicht in Da Capo

Theater: Arena, Hannover
Premiere: Mai 2004
Darsteller: Brigitte Oelke, Darius Merstein-MacLeod, Zoltán Tombor
Regie / Choreographie: Jindrich Simek / Pasquale Camerlengo