home 2023 Pompös, atemberaubend und wahnsinnig intensiv

Pompös, atemberaubend und wahnsinnig intensiv

Wenn man den Saal des eigens für diese Show komplett renovierten Musical Dome in Köln betritt, findet man sich sofort im vor Kreativität sprudelnden, aber immer leicht anrüchigen Montmartre wieder. Eingehüllt in die Farben Rot und Gold, wird das Publikum von der Namensgebenden Roten Mühle willkommen geheißen. Der durch den gleichnamigen Film bekannte (im Theater blau erstrahlende) Elefant bildet einen großartigen Kontrast hierzu. Tänzerinnen und Tänzer räkeln sich lasziv in den „Käfigen“ links und rechts des 1. Rangs. Ja, „sex sells“ – wenn nicht hier, wo dann?

Langsam füllt sich die Bühne, Darsteller bewegen sich durch den Saal und plötzlich geht es los: „Lady Marmalade“ ist der einzig zulässige Opener für diese so emotional aufwühlende Show. Optisch sind die Damen ein Hingucker, da verzeiht man vielleicht den ein oder anderen schiefen Ton. Mindestens genauso erwartungsgemäß wirbeln die Damen (und Herren) zu „Can Can Can“ über die Bühne. Dieses Tempo, das einem kaum die Luft zum Atmen lässt, wird im gesamten ersten Akt aufrechterhalten. Puh!

Ein umfassendes musikalisches Konzept bleibt „Moulin Rouge“ schuldig. Aber vielleicht ist es auch gewollt, die Zuschauer durch einzelne Zeilen aus bekannten Songs (bspw. „Über den Wolken“, „Je ne parle pas francais, aber bitte red weiter“ oder „Ich seh in Dein Herz“) kurz aufhorchen zu lassen, um sie dann wieder in das musikalische Labyrinth der Bohemians zu entlassen.

Auch Lieder, die man aus dem Baz Luhrmann Film kennt (und vielleicht liebgewonnen hat), werden nur angeschnitten, miteinander vermischt und so in das gefühlte kompositorische Chaos eingegliedert. „Children oft he revolution“ gehört bspw. dazu. Dennoch wird jeder Songschnipsel aufwändig inszeiert und bekommt seinen eigenen Applaus.

Satines erster Auftritt (sie schwebt auf einer Schaukel über die Köpfe hinweg durch den Saal) ist sehr gelungen. Sophie Berner wirkt zwar nicht so elegant und scheint weniger zerbrechlich als Nicole Kidman im Film, doch gerade bei „Diamonds are a girl’s best friend“ in Kombination mit „All the single ladies“ passt diese spürbare Dominanz perfekt.

Das erste Treffen von Satine und Christian findet zu einer spannenden Version von „Shut up and dance with me“ statt. Wenn Christian dann feststellt, dass das feeling inside „a little bit funny“ ist, weicht die Verwunderung darüber, dass Christian anstelle des Duke diesen Song singt, umgehend der Begeisterung für Jonas Heins wunderbar gefühlvolle Stimme.

Der selbstherrliche Duke de Monroth stinkt vort Geld und weiß, dass er am längeren Hebel sitzt. Da können die „Bohemians“ noch so ausdrucksstark und kraftvoll insistieren. Carsten Lepper spielt den von Satines besessenen Financier einschüchternd und unnachgiebig und lässt keinerlei Zweifel daran, welche Macht er besitzt (bzw. zu besitzen glaubt). Sympathie bringt man für ihn schwerlich auf – und genau so soll es sein. Der Song „Can’t always have what you want“ unterstreicht Monroths Ambitionen nur allzu deutlich.

Nur wenige Songs sind nicht bis zur Unkenntlichkeit reduziert, „Nature Boy“ – Toulouse-Lautrecs ruhige, melancholische Hymne auf Christian, ist einer von ihnen. Alvin LeBass verleiht dem Stück den nötigen Tiefgang und sorgt für einen Moment der Ruhe in der ansonsten atemlosen Inszenierung.

Das leidenschaftlich-komische „Elephant Love Medley“ ist eine ausufernde Aneinanderreihung von Welthits wie All You Need is Love, Just One Night, Can’t Help Falling In Love, Don’t Speak, I Love You Always Forever, It Ain’t Me Babe, Love is a Battlefield, Play the Game,Take On Me, What’s Love Got To Do with It, Up Where We Belong, Heroes, Your Song und I Will Always Love You. Die ganze Szene wirkt etwas zu parodistisch, auch wenn man natürlich aus dem Film die Verworrenheit der Situation gut kennt.

Eine der größten Enttäuschungen ist die Umsetzung von „Roxanne“. Genauergesagt, die Nicht-Umsetzung dieses wahnsinnig intensiven, ausdrucksstarken Songs, mit dem Santiago so viel von sich und über seine Angebetete preisgibt. Stattdessen gibt es eine „Backstage Romance“ bestehend aus Bad Romance, Tainted Love, Seven Nation Army, Toxic, Sweet Dreams Are Made of This von Santiago (Vini Gomes) und Nini (Annakathrin Naderer), die zwar Leidenschaft erkennen lässt, aber deutlich hinter den Erwartungen und Hoffnungen zurückfällt. Manchmal bleibt das Publikum bei „Moulin Rouge“ einfach mit einem „Warum?“ im Gesicht zurück. Diese Szene ist eine der Ursachen. Dafür ist das Lichtdesign in dieser Szene sehr gelungen. Justin Townsend hat wirklich tief in die Lichtkiste gegriffen, um eine ganz besondere Atmosphäre zu erschaffen.

Zum Träumen regt dann aber (zum Glück) auch auf der Bühne Christians sehnsuchtsvolles „Come what may“ an, das durch sehr schlaue deutsche Texte besticht, Jonas Hein aber genug Raum lässt, diese wunderbare Adaption bis in die Herzen in den letzten Reihen des Theater zu zaubern.

Recht unerwartet findet sich das Publikum nun in der Welt vom Duke de Monroth wieder: Alles ist in Pastelltönen, mondän, der Duke trägt einen standesgemäßen fliederfarbenen Anzug und wirkt völlig harmlos. Doch musikalisch ist „Only Girl In A Material World“ dies ganz und gar nicht: von Rihanna über Marilyn Monroe bis hin zu Madonna wird ein großer Bogen gespannt, der den großen Konflikt zeigt, in dem Satine steckt.

Im Folgenden macht Satine ihre Schwindsucht unter den Kollegen publik, was wiederum in einer völlig absurden Absinth-Sause mündet. Mit „Chandelier“ verarbeiten der Zidler, Christain, Toulouse-Lautrec, Santiago und die Kollegen ihre Gefühle und suchen einen Ausweg aus der angespannten Situation des „Moulin Rouge“. Und plötzlich wird sie doch noch besungen: „Roxanne“; allerdings von Christian im Absinth-Nebel und in einer viel zu braven Fassung. Da fehlen einem die Worte…

Satine begehrt gegen den herrischen Duke auf, was dem naturgemäß nicht gefällt. Doch ihr Widerstand ist nur von kurzer Dauer. Weit weniger dramatisch als in Baz Luhrmanns filmischer Vorlage haucht sie nach einem traurigen „Your Song“ ihr Leben aus und Christian trauert mit einem nochmals sehr gefülvollen „Come what may“.

Wahrheit, Schönheit, Freiheit und Liebe – darum geht es in dieser Show. Und davon möchte nicht nur der Zidler „More More More!“ und bringt mit dem Finalsong noch einmal alle Zuschauer in Bewegung.

Nach dieser Show braucht das Publikum erstmal Zeit zum Verschnaufen. Wurden sie doch gute zweieinhalb Stunden in atemberaubenden Tempo durch das Leben der Pariser Bohemians gescheucht. Optisch hält „Moulin Rouge“ was es verspricht: Catherine Zuber hat farbenfrohe Kostüpme entworfen, die perfekt mit Derek McLanes Bühnenbild harmonieren. Gut eingesetzte Kulissen tun ihr übrigens, um die Menschen, um die es an diesem Abend geht, in Szene zu setzen.

Über den fehlenden musikalischen roten Faden habe ich schon genug gesagt, aber auch dieses vermeintliche akustische Chaos gehört zur Idee von künstlerischer Freiheit im Sinne der Bohemians. Sehr gute Unterhaltung ist garantiert, aber man muss sich anschnallen, damit man währenddessen nicht aus der Bahn fliegt.

Protagonisten und Ensemble sind großartig gewählt und verleihen ihren Alter Egos zu jeder Zeit den passenden Ausdruck. Berner, Hein und Lepper überzeugen in ihren Rollen 100%ig. Alvin LeBass, Vini Gomes und Gavin Turnbull (Zidler) haben allesamt starke Momente und man merkt ihnen die Spielfreude an.

Doch es bleibt die Frage: Wieso lässt man die Stärken des Film links liegen und schafft eine noch verstörendere Welt, in der sich die Zuschauer kaum zurechtfinden? Etwas weniger musikalisches und szenisches Durcheinander wären leichter zu vearbeiten gewesen, aber natürlich zeigt ein Mainstream-Musical nicht das wahre Gesicht des Moulin Rouge. Also ist es am Ende vielleicht doch genau richtig so wie es ist?!

Michaela Flint

Theater: Musical Dome Köln
Besuchte Vorstellung: 26. August 2023
Darsteller: Sophie Berner, Jonas Hein,
Carsten Lepper, Gavin Turnbull, Alvin LeBass, Vini Gomes, Annakthrin Naderer

Regie / Musik: Alex Timbers / Justine Levine
Fotos: Steffi Wunderl