home 2005 Opulent inszenierter Slapstick

Opulent inszenierter Slapstick

Die Geschichte der 3 Musketiere ist in zahllosen Filmen, Büchern und Theaterstücken erzählt worden. Der Inhalt von Alexandre Dumas’ Werk von 1844 dürfte dank Hollywood der breiten Masse wohl bekannt sein. Spätestens nachdem die musikalische Fassung der Bolland-Brüder vor 2 Jahren in Rotterdam Weltpremiere feierte, wartete der Rest der Welt gespannt auf einen Transfer des Stücks um Liebe, Freundschaft und Intrigen in andere Städte.

Einen sehr guten Eindruck von der musikalischen Intensität und Explosivität des Materials bekam man schon auf der holländischen CD mit Bastiaan Ragas als D’Artagnan, Pia Douwes als Milady de Winter und Stanley Burleson als Kardinal Richelieu. Die in Rotterdam aufgenommene DVD zeigt eine konsequente Inszenierung, bei der einzelne Kulissen wie ein Pferd oder ein Segelschiff effektvoll eingesetzt werden. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen aber die Darsteller. Einzelne Sänger in einem weißen Lichtkegel vor einer ansonsten abgedunkelten Bühne sind in der holländischen Inszenierung keine Seltenheit.

Ganz anders und komplett runderneuert kommen die Berliner Musketiere daher. Man kann guten Gewissens von einer zweiten Weltpremiere sprechen, denn mit dem holländischen Vorgänger hat die Berliner Fassung nur noch wenig gemein:

Rob und Ferdi Bolland haben für die deutsche Version sieben weitere Songs komponiert, die sich gut in das klangliche Gesamtbild einfügen.

Die Bühnenbildner und Requisiteure rund um Eric van der Palen haben Extraschichten geschoben, um jeden Quadratzentimeter der Bühne mit allen erdenklichen Kulissen und Kleinteilen zu füllen.

Ein in Deutschland neuartiges Videodesign sorgt für ständig wechselnde Hintergründe und unterstützt die 26 Szenenwechsel sehr gut.

Die mehr als 350 Gewänder, Kleider, Roben und Uniformen sind noch farbenfroher und origineller als in Rotterdam.

Oliver Mülich führt als Conférencier das Publikum an die Handlung des ersten und zweiten Akts heran.

Besonders auffällig ist das Bühne-in-und-auf-der-Bühne-System, das es Regisseur Paul Eenens ermöglichte, mehrere Szenen und Schauplätze nebeneinander vorzubereiten und durch eine kleine Überblendung ineinander greifen zu lassen.

Es wurde ein enormer Aufwand betrieben, um die „3 Musketiere“ im Theater des Westens frei nach dem Motto „größer, bunter, moderner“ in Szene zu setzen. Hierbei kommen die 46 Darsteller fast zu kurz. Doch die Protagonisten, allen voran Patrick Stanke, Pia Douwes, Uwe Kröger und Marc Clear, versuchen ihr Bestes, um sich vor all diesem Kulissen- und Technikpomp zu behaupten.

Am eindrucksvollsten gelingt dies der unvergleichlichen Pia Douwes, die die emotionale Zerrissenheit der zu Unrecht geächteten Milady de Winter hervorragend umsetzt. Dass man ihr allerdings ihren Showstopper „Männer“ in eine seicht dahinplätscherten Popmus verwandelt hat, ist unverzeihlich.

Marc Clear gibt den ewig zweifelnden und übervorsichtigen Athos, dem jeglicher Lebensmut fehlt, seitdem ihn seine große Liebe – Milady de Winter – verlassen hat. Sein „Engel aus Kristall“ geht tief unter die Haut.

Man könnte geneigt sein, Athos und Milady de Winter als das Paar des Abends zu bezeichnen. Doch laut Dumas’ Geschichte sind dies D’Artagnan und Constance.

Leider bleibt Sabrina Weckerlin hinter den Erwartungen an das von der Stage Holding verkündete „Stimmwunder“ zurück. Eher schüchtern als selbstbewusst spielt sie die große Liebe D’Artagnans. Der wiederum wird von Patrick Stanke so gut es eben geht in den Mittelpunkt gerückt. Auch hier kann der Künstler wenig dafür, dass viele Neu-Arrangements von Michael Reed seicht, fast schon schlagermäßig daherkommen und es deutlich an Energie und Kraft vermissen lassen. Hinzu kommt, dass Stanke kaum eine Chance hat, dem entschlossenen Möchtegern-Musketier den Charakter zu verleihen, den er als selbstbewusster, kämpferischer, aber auch gefühlvoller Mann des 17. Jahrhunderts hat. Dennoch: Stankes raumfüllende, schöne Stimme und sein sympathisches Spiel werden den Anforderungen an einen Hauptdarsteller in vollem Umfang gerecht.

Mit dem schwachen Buch kämpft auch Uwe Kröger als Kardinal Richelieu an der ein oder anderen Stelle. Durch seine Erfahrung kann er vieles wettmachen und so gelingen auch Szenen wie „Glaubt mir!“, die dem Fortgang der Handlung nicht wirklich dienlich sind. Seine großen Soli „O Herr“ und „Nicht aus Stein“ meistert Kröger mit Bravour. Man merkt, dass er sich in dieser Rolle sehr wohl fühlt. Hinzu kommt, dass er mit Pia Douwes eine Kollegin an seiner Seite hat, mit der er sich auf der Bühne blind versteht.

Neben Athos komplettieren Aramis und Porthos die drei berühmt-berüchtigten Musketiere. Matthias Sanders gibt einen vorwitzigen Aramis, dem man seine Gottesfürchtigkeit abnimmt. Stets bemüht um das richtige Maß an Komik, Freundschaft und Kampfkunst bietet er eine gute Bühnenshow. Christian Schleicher ist als Porthos für die Plattitüden dieses stück zuständig. Wie schon seine filmischen Vorbilder Gerard Dépardieu und Oliver Reed steht für ihn der Spaß am Leben im Mittelpunkt. Diese Rolle füllt Schleicher glaubhaft aus.

Die A-cappella-Einlagen der 3 Musketiere gehören zweifellos zu den Highlights des Abends.

Das Königspaar wird von Kristin Hölck und Hans Piesbergen dargestellt. Auch hier wird deutlich, dass das Stück irgendwie noch nicht ganz fertig ist. Beide geben sich größte Mühe, ihren Charakteren Leben einzuhauchen, doch so recht gelingen mag es ihnen nicht. So verwundert es wenig, dass beide kaum nachhaltig im Gedächtnis bleiben.

Wie bereits erwähnt, sind die neuen Arrangements von Michael Reed (u. a. „Tanz der Vampire“) äußerst fragwürdig. Auch die Orchestrierung wirkt an einigen Stellen zu zaghaft. Im Vergleich zur holländischen Version wirken die Bolland-Stücke häufig wie ein Potpourri aus Schlager, Pop und Latino-Rhythmen. Ja, richtig, Latein-Amerikanisch: Einige der Fechtszenen sind mit Sambaklängen unterlegt und führen die Leistung der stilecht kämpfenden Soldaten doch arg ad absurdum.

Dennoch gibt es auch in Berlin – neben dem bereits erwähnten „Engel aus Kristall“ – weitere Stücke, die sich im Kopf festsetzen. Dazu zählt unter anderem „Wer kann schon ohne Liebe sein?“, das sowohl inszenatorisch als auch musikalisch sehr dicht an der holländischen Vorlage bleibt. Kristin Hölck, Pia Douwes und Sabrina Weckerlin stellen eindrucksvoll unter Beweis, wie sehr einen die unterschiedlichen Spielarten der Liebe mitnehmen können. Schlichtweg großartig!

Die Liste der Kritikpunkte der Berliner Inszenierung wird angeführt von einem unausgegorenen Buch (André Breedland), das nur oberflächlich ausgearbeitete Charaktere zulässt und zudem über deutliche Längen, vor allem im ersten Akt, verfügt.

Das erfolgreiche Übersetzerteam Ruth Deny („Mamma Mia“) und Wolfgang Adenberg („We Will Rock You“, „Titanic“) hat sich an die Aufgabe gemacht, dieses Buch zu übersetzen. Während Adenberg erneut sein Talent für Sprachmelodie und Wortklang unter Beweis stellt, kann man Deny’s Dialoge durchaus kritisieren.

Das beste Beispiel liefert folgendes Zitat anlässlich des zweiten Treffens von D’Artagnan und Constance: „Oh, Constance – ein Name wie ein Romanze… Gib mir die Chance, dass ich heute Abend (nun fällt ihm Porthos ins Wort) meine Lanze in Dich pflanze.“ Ist so etwas wirklich nötig? Die 3 Musketiere sind sicherlich nicht immer ernst zu nehmen und der ein oder andere gut platzierte Witz ist durchaus angebracht. Doch Dumas’ Werk auf dieses Sprach- und Inhaltsniveau abzusenken, ist beschämend. Die „3 Musketiere“ waren in Rotterdam keine Musical Comedy und sollten es auch hier nicht sein.

Zu Lachern führte während der Premiere, neben den etwas zu platten Witzen, vor allem die Reprise von „Heut ist der Tag“ im zweiten Akt. In dieser Szene jagen die 3 Musketiere und D’Artagnan vor einer rundum per Videobeamer auf die Leinwand projizierten Landschaft auf einem Pferdewagen in atemberaubender Geschwindigkeit durchs Land, um die Katastrophe in Paris zu verhindern. Das bereits erwähnte Pferd aus Holland kommt auch hier zum Einsatz. Wem dieser Szenenaufbau bekannt vorkommt, der hat ganz sicher „Our House“, das Madness-Musical, in London gesehen. Dort fahren die Hauptdarsteller mit einem Jaguar vor ebensolcher Videoleinwand durch englische Städte und Landschaften. Aber es ist davon auszugehen, dass die wenigsten Besucher diesen Wiedererkennungseffekt erleben werden und so erfüllt diese Szene ihren Zweck: Sie macht einfach nur Spaß.

In Staunen versetzt die Zuschauer das riesige Boot, mit dem D’Artagnan von Frankreich nach England übersetzt, um eine Botschaft von Königin Anna an den Herzog von Buckingham zu überbringen. Zum Auftakt des zweiten Akts erlebt das Publikum die stürmischen Untiefen des Ärmelkanals mit und ist von der Arbeit der Bühnentechniker zu Recht begeistert. Das Zusammenspiel von Technik, Licht und Requisite erreicht in dieser Szene perfekte Ausmaße.

Die „3 Musketiere“ sind angetreten, um in Deutschland etwas Neues, noch nicht da Gewesenes zu präsentieren. In der Opulenz ihrer Ausstattung ist die Produktion sicherlich unschlagbar. Die Kreativen bedienen sich aller erdenklichen im Musicalbereich einsetzbaren Medien und machen das Stück zu einem audio-visuellen Erlebnis.

Weniger Pomp, eine weniger mit Kulissen, Hintergründen und Requisiten überfrachtete Bühne, mehr Details bei der Ausarbeitung der Charaktere sowie deutlich schwungvollere Arrangements würden dem Stück in Berlin sicherlich gut zu Gesicht stehen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater des Westens, Berlin
Premiere: 6. April 2005
Darsteller: Marc Clear, Pia Douwes, Patrick Stanke, Uwe Kröger
Regie: Paul Eenens
Fotos: Stage Holding
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