home 2017 Oger und Esel erobern „Duloc“, auch bekannt als Roßdorf

Oger und Esel erobern „Duloc“, auch bekannt als Roßdorf

Schon wieder ist ein Jahr vorbei und Benedikt Vogel und sein Team haben sich einmal mehr die Aufgabe gestellt, ein großes Broadway-Musical ins hessische Hinterland, abseits jeder Großstadt zu bringen. In diesem Jahr ist die Wahl auf „Shrek“ gefallen.

Dank eines neuen Sponsors fällt diese Inszenierung besonders opulent aus. Nicht nur Kulissen und Kostüme sind deutlich ausgefeilter und größer, auch das Ensemble hat reichlich Zuwachs bekommen.

Die Kulissen und Kostüme waren auch schon in den vergangenen Produktionen für eine Low-Budget-Produktion immer sehr ansprechend, doch diesmal hat das Broadway Entertainment Team noch eine Schippe draufgelegt: Ein in den Boden eingelassenes Laufband am vorderen Bühnenrand sorgt für gute Effekte auf der Wanderung des jungen Shrek sowie als Esel und Oger sich später aufmachen, Prinzessin Fiona aus der Höhle des Drachen zu befreien. Der Ogersumpf ist sehr schön grün, die Wälder erstrecken sich über die komplette Bühnenbreite und –tiefe, Lord Farquaads Schloss ist beeindruckend und die Drachenhöhle inkl. 3,80 m hohem Drachenkopf überzeugt vollständig.

Obwohl die Kleider der drei Fionas etwas „dünn“ wirken, zeigen die Kostüme der Märchenfiguren, die Uniformen von Lord Farquaad und seiner blau-rot-gelb gewandeten Garde und natürlich Oger und Esel das Können, mit dem die Kreativen hier zu Werke gegangen sind. Es sind nur kleine Details, die nicht stimmen, bspw. die Eselsohren, die aussehen wie Hasenohren, Lord Farquaads viel zu dünne Beinchen oder die Ogermasken von Shrek und Fiona, denen man leider ansieht, dass sie eben nicht von Disney-Maskenbildern geschaffen wurden.

Da hier ein semiprofessionelles Ensemble mit vielen Nachwuchsdarstellern auf der Bühne steht, weiß man, dass man im Bereich Gesang und Schauspiel Abstriche machen muss. Hans-Tilmann Rose (Regie & Esel-Darsteller) hat jedoch sehr gut mit seinen Kollegen gearbeitet und so agieren alle Protagonisten durchaus glaubhaft.

Alexandra Mordenti spielt sehr gut, legt Fiona sehr robust an, hat eine treffsichere Mimik und ein gutes Gefühl für Pointen. Ihr Duett mit Shrek („Das schlägst Du nie“) ist auf den Punkt und unterhält das Publikum hervorragend. Mordenti und Benedikt Vogel (Shrek) sind ein eingespieltes Team, was gerade bei der nicht ganz einfachen Beziehung von Shrek und Prinzessin Fiona ein großer Vorteil ist.

Ebenso blind verstehen sich Vogel und Rose, die als Oger und Esel große Teile des Abends allein bestreiten müssen. Beiden gelingt es, sich den Wortwitz, den Kevin Schröder (Dialoge) und Heiko Wohlgemuth (Songtexte) in die Adaption des Musicalfilms eingebaut haben, zu Eigen zu machen. Wo Vogel leichte gesangliche Schwächen offenbart, springt Rose ein und rockt die Rehberghalle, wenn auch weitaus weniger soulig, als man es aus anderen Inszenierungen gewohnt ist. Rose beherrscht sein Handwerkszeug und das zeigt er! Warum er sich jedoch entschieden hat, den Esel so übertrieben tuntig anzulegen, fällt wohl unter den Begriff der künstlerischen Freiheit. Nichtsdestoweniger liefert er die überzeugendste Leistung des Abends ab.

Dafür ist Lord Farquaad der unsympathische Mini-Macho, wie man ihn aus dem Film kennt. Vinzent Grimmel hat sich offenbar viel mit dieser Figur beschäftigt und zieht die Gratwanderung zwischen ekligem, machthungrigen Lord und als vom Vater verlassener, trauriger Junge gnadenlos durch. Eine rundum gelungene Performance. Auch gesanglich kann er sich von seinen Kollegen auf der Bühne abheben („Hier in Duloc“).

Von den Märchenfiguren stechen naturgemäß Pinocchio und der Lebkuchenmann aus der Menge heraus. Das ist auch in Roßdorf nicht anders, allerdings ist Jens Emmert gesangliche Anlage des nervig-quietschenden Holzjungen so nervig, dass man am liebsten vorspulen möchte. Das gilt leider auch für den Final-Song „Freie Fahrt für Freaks“, in dem Pinocchio den Lead hat. Dafür entschädigt Hannah Heeg als Zuckerfee, die auch den Pfefferkuchenmann singt und spricht. Auch ihre Stimmlage ist rollenkonform etwas anstrengend, doch sie trifft die Töne und man hat Mitleid mit dem kleinen Gebäckstück, das den Launen von Lord Farquaad hilflos ausgeliefert ist.

Helena Lenn, kürzlich erst beim Bundeswettbewerb Gesang eine Runde weiter gekommen, leiht der Drachenlady mit vollem Einsatz ihre voluminöse Stimme. Schon in früheren Inszenierungen ist sie damit aufgefallen und bei „Shrek“ kann sie aus dem Vollen schöpfen.

Hans-Tilmann Roses Inszenierung macht viele Anleihen an der Broadway-Produktion, aber warum auch etwas ändern, was funktioniert und erprobt ist? Die Stepptanzeinlage von Fiona mit den Ratten gehört hier eindeutig dazu.

Ja, Broadway Entertainment ist keine Mehr! Entertainment GmbH und auch nicht die Freilichtspiele in Tecklenburg, die „Shrek“ ebenfalls in diesem Sommer gezeigt haben. Doch was man in Roßdorf an namhaften Darstellern weniger hat, macht man mit der ansteckenden Spielfreude dieses großen Ensembles wett!

Es ist sehr bedauerlich, dass „Shrek“ nach der Deutschlandpremiere im Herbst 2014 keine tragfähige Tour vergönnt war, denn das Musical ist perfekte Familienunterhaltung und die Ausstattung lässt keine Wünsche offen. Umso schöner ist, dass das Publikum auch in kleinerem Rahmen in den Genuss dieses fröhlich-grünen Oger-Märchens kommt.

Michaela Flint

Theater: Rehberghalle, Roßdorf
Besuchte Vorstellung: 6. September 2017
Darsteller: Helena Lenn, Vinzent Grimmel, Hans-Tilmann Rose, Alexandra Mordenti, Benedikt Vogel, Jens Emmert, Hanna Heeg
Musik / Regie: Jeanine Tesori / Hans-Tilmann Rose
Fotos: PHotografie / Broadway Entertainment