Das aktuelle Musical „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ basiert auf Thea von Harbous und Fritz Langs Tonfilm von 1931. Er ist einer der ersten deutschen Tonfilme überhaupt und wurde 2008 als beste deutsche Filmproduktion aller Zeiten gelistet.
Aber Moment – wieso Musical? Das Imperial Theater ist doch seit vielen Jahren bekannt für seine exzellenten Krimi-Stücke. Und überhaupt, in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gibt es nicht einmal im Film Musik!
Die Erklärung hierfür ist ganz einfach: Frank Thannhäuser und sein Team wollten anlässlich des 25-jährigen Bestehens eine Brücke schlagen zu den Anfängen als Musiktheater. Marko Formanek hat daher „kurzerhand“ die düstere Geschichte musikalisch aufgearbeitet. Entstanden ist ein kurzweiliges, abwechslungsreiches Krimimusical.
Es geht in diesem Stück um einen Kindermörder, der eine kleine Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Schon acht Kinder sind tot aufgefunden worden! Die Dorfbewohner bekommen die neuesten Informationen aus der Zeitung und fangen an, sich gegenseitig zu verdächtigen („Was in einer Stadt in der Zeitung steht“).
Das Publikum sieht im Hintergrund, wie ein Mann der kleinen Elsi Beckmann (das Mädchen „erscheint“ nur verbal) einen roten Luftballon schenkt und sie mit ihm mitgeht. Elsi ist das nächste Opfer des Mörders. Ihre Mutter, gespielt von der großartigen Iris Schumacher, wartet verzweifelt auf Nachrichten („Du bist alles, was ich hab“).
Derweil führt die Polizei eine Razzia im Rotlichtmilieu durch. Auch in Theodoras Puff bleibt kein Stein auf dem anderen. Dabei stellt sich heraus, dass Theordora (Bianca Arndt) und Kommissar Karl Lohmann (Dieter Schmitt) eine gemeinsame Vergangenheit haben, welche sie aber vor den anderen Kleinkriminellen verbergen können.
Da die städtischen Verbrecher unter der Führung von dem Schränker (der mehr als nur vage an Kenneth Branagh erinnernde Sönke Städtler) sich nicht länger wegen des Kindermörders gängeln lassen wollen – denn naturgemäß geraten sie im Zweifelsfall sehr schnell ins Kreuzfeuer der Ermittler – beschließen sie, ihn selbst zu fangen.
Im Gegensatz zur Polizei, die sich an die Spielregeln halten muss und auch lange nicht so gut vernetzt ist, wie die Kriminellen, erreichen sie in kurzer Zeit ihr Ziel, auch wenn es noch einige Verwirrungen auf dem Weg dahin gibt. Am liebsten würden sie den Kindermörder direkt umbringen, allerdings setzen die Kommissare eines der Bandenmitglieder so lange unter Druck setzen, bis dieser das Versteck der Verbrecher verrät, und so kann die Polizei den Kindermörder und einige Kriminelle verhaften.
Es stellt sich heraus, dass die Polizei ebenfalls den richtigen Riecher hatte und Hans Beckert, dem Untermieter von Witwe Winkler, dicht auf den Fersen war. Beckert ist ziemlich unscheinbar, doch er hat eine Persönlichkeitsstörung, der er gänzlich ausgeliefert ist: Brutalste Mordgelüste nehmen von ihm Besitz und bestimmen in regelmäßigen Abständen sein Handeln.
Marko Formanek übernimmt die sehr spannende Rolle des Kindernmörders. Den Kampf der beiden in Beckert wütenden Charaktere bringt er ausdrucksstark über die Rampe. Einerseits sehr schüchtern und zurückhaltend, dann wieder nah am Wahnsinn und sehr bedrohlich. Sein Ausbruch am Ende des ersten Akts jagt einem Gänsehaut-Schauer über den Rücken. Anleihen bei der „Konfrontation“ aus „Jekyll & Hyde“ sind sicherlich nicht ganz zufällig.
Gleichermaßen bekommt man aber auf sehr seltsame Weise Mitleid, wenn er am Ende des zweiten Akts um Erlösung fleht.
Normalerweise stehen die elf Darsteller vorrangig in Theaterstücken und nicht in Musicals auf der Bühne. Singen ist demnach nicht ihre Stärke, doch Formanek und Hiller haben clevere Songs geschrieben, die die Darsteller allesamt gut meistern.
Musicalprofis wie Iris Schumacher, Bianca Arndt und Marko Formanek stechen hier hervor. Arndt vor allem durch ihre klangvolle Stimme und den akzentuierten Gesang. Iris Schumacher legt so viel Gefühl in ihre Songs, dass man sich als Zuschauer regelrecht umarmt fühlt. Formanek kombiniert intensives Spiel mit einer starken Stimme. Sein Hans Beckert regt zum Nachdenken an: Kann man einen Kindermörder zum Tode verurteilen, der seine Mordgelüste aufgrund einer psychischen Störung nicht kontrollieren kann?
Aber bei aller Grausamkeit der Handlung, gibt es auch lustige Momente. Hierfür sind in erster Linie die manchmal leicht schusseligen Polizisten (Dieter Schmitt und Janis Zaurins) verantwortlich. Aber auch die glücklosen Verbrecher, allen voran Franz (Ulrich Schaller), sowie das wahnsinnig hilfsbereite (und für ihr Umfeld nervtötende) Ehepaar Kubitzke (Stefanie Wennmann und Gosta Liptow) sorgen für Lacher.
Durch die Gestaltung der Bühne mit zwei rollenden Treppen, einer Galerie und vielen Nischen (Alexander Beutel, Sven Wiehe, Mariele Kaiser) sind die Darsteller immer in Bewegung und es gibt unzählige Spielebenen. Genau diese Vielseitigkeit machen die Produktionen im Imperial Theater so charmant.
Doch am Ende bleibt ein Kloß im Hals, für den einmal mehr die trauernde Mutter Beckmann verantwortlich ist: Die Kriminellen wollen Selbstjustiz an Beckert üben und ihn umbringen. Frau Beckmann, deren kleine Elsi von ebendiesem Beckert aus dem Leben gerissen wurde, kommentiert diese Pläne: „Hass macht nichts ungeschehen. Beckert umzubringen, bringt die Kinder nicht zurück.“
Michaela Flint
Theater: Imperial Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 14. November 2019
Darsteller: Marko Formanek, Iris Schumacher, Bianca Arndt, Dieter Schmitt, Janis Zaurins, Stefanie Wennmann, Gosta Liptow
Regie / Musik: Frank Thannhäuser / Marko Formanek
Fotos: Oliver Fantitsch