home 2015 Musikalische Unterhaltung, bei der kein Auge trocken bleibt

Musikalische Unterhaltung, bei der kein Auge trocken bleibt

Im Mittelpunkt von Mirko Botts neuestem Zwei-Personen-Stück stehen Winona Westwood, die seinerzeit als Uschi Blum (war da nicht mal was mit Hape Kerkeling?) große Erfolge feierte, und ihr Stylist Peter von Pattnach, genannt Puschi. Beide sind von Unbekannten entführt und ausgerechnet in Winonas altem Probenkeller eingesperrt worden. Dort müssen sich die beiden stetig wachsender Kakerlaken erwehren, machen sich gegenseitig vollkommen kirre und Winonas Hund Rossini kommentiert das Geschehen mit hessischer Schnauze.

Als Hauptdarsteller der ersten Produktion, „Die Entführung aus dem Paradies“, des im Juni eröffneten „Schmidtchens“ geben sich einmal mehr Caron Fortenbacher und Nik Breidenbach die Ehre. Schon mit „Oh Alpenglühn“ stellten die beiden nachdrücklich unter Beweis, dass sie ein herausragendes musikalisches Comedy-Duo sind.

Nach einer höchst dramatischen Ouvertüre zu „Draußen ist Freiheit“ schwelgen Winona und Puschi in ihren Erinnerungen. Ob sie nun den Spice Girls Hit „Wannabe“ rappen und sich Winona dabei an den Dämpfen aus den Kellerrohren berauscht, oder Puschi in knackiger Ledershorts in Netzstrümpfen und High Heels Tina Turners „Simply the Best“ schmettert – jede Szene ist auf ihre Art extrem lustig. Die erste Sequenz gipfelt – nach einem weiteren Kostümwechsel zu schwarzen Lack-Leder-Outfits – in Beyoncés „ Single Ladies“.

Die Kakerlaken werden derweil immer größer und während sich Puschi kreischend auf einem Stuhl in Sicherheit bringt, steht Winona ihre Frau und macht ihnen knallhart den Garaus. Da sie nun schonmal im Keller mit den alten Uschi Blum Kostümen sind, werden diese kurzerhand wieder angezogen und Uschis größter Hit „Bitte Bitte“ in einem überdimensionalen Silberglitzerkleid zum Besten gegeben.

Puschi fragt sich (zu Recht), was sie hat, was er nicht hat. Aber immerhin hat er ein Engagement als Showvisagist bei Helene Fischer in Aussicht. Das wiederum passt Winona gar nicht. Wenn „die kleine zarte Tunte“ schon nicht für sie arbeiten möchte, dann aber auch auf keinen Fall für Helene Fischer. Diese Freundschaft zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend – dabei heißt Winonas neueste, wenn auch wenig erfolgreiche Single „Breathless through the Day“…

Der Kampf um das einzig verbliebene Essbare – eine Dose Ravioli – artet auf aberwitzige Weise aus. Aber auch wenn „Dosen aus Tirol“ von Fortenbacher sehr sauber gesungen wird, hat diese Sequenz leider doch Längen.

Auch die an sich sehr lustige Szene auf dem imaginären roten Teppich, zu dem die berechnende Winona Puschi einlädt, wenn sie die Entführung überstehen, gerät ein wenig zu lang. Doch auch hier: Peter Alexanders „…und die Musi spielt dazu“ wird von beiden Darstellern sehr gut und mit einer gehörigen Portion Humor interpretiert und getanzt.

Es folgt eine beeindruckende Empfehlung von Winona als Norma Desmond in ‚Sunset Boulevard’: Fortenbachers Habitus und Gesang passen exzellent zu Normas großem Solo „Nur ein Blick“. Doch das Publikum bekommt nicht lange Gelegenheit, das 5-Oktaven-Talent zu bestaunen, denn Puschi holt alle mit „Uschi mach kein Quatsch“ (Stephan Sulke) wieder auf den Boden des gemütlichen 200 Plätze Klubtheaters herunter.

Dass er mehr sein kann als die „verweichlichte Frisöse“, versucht er Winona mit Helm und mit bestem Machogehabe zu beweisen. Das Indiana Jones Thema setzt den Rahmen, doch Winona lässt die Seifenblase einfach platzen, indem sie einen nicht von der Hand zu weisenden Bezug zu Bob dem Baumeister herstellt. Die beiden Darsteller schmeißen diese Szene komplett und schütten sich vor Lachen aus. Das Publikum honoriert diese zutiefst menschlichen Aussetzer mit großen Applaus und langanhaltendem Lachen.

Im zweiten Akt wird deutlich, dass Winona die ganze Entführung selbst mit eingefädelt hat, um mehr Publicity für ihre CD zu bekommen. Ihr Gatte und Manager Gernot spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch der hat ganz eigene Pläne und teilt den beiden Eingesperrten diese per Videokonferenz mit. Winona und Puschi sind danach so verzweifelt, dass die den Geist des Mauerfalls beschwören: „Mr Gorbatschow open the Gate!“ Die Antwort folgt – unter großem Jubel des Publikums – sofort: David Hasselhoffs „I’ve been looking for Freedom“.

Berauscht von eindeutig zu vielen Ausdünstungen aus den Kellerrohren, die ganz offensichtlich aphrodisierende Wirkung haben, verschwinden Winona und Puschi auf der nach vorherigen Aussagen nicht sehr appetitlichen Toilette, um sich ihrer Leidenschaft hinzugeben.

In der Zwischenzeit lernen die Zuschauer die Kakerlaken kennen, die sich den Keller zu Eigen gemacht haben. Breidenbach und Fortenbacher sehen in den Kostümen urkomisch aus, was im Publikum ganz klar die gewünschte Wirkung erzielt.

Die folgende Nummer zeigt einmal mehr Fortenbachers stimmliche Bandbreite, auch wenn ein klassisches Stück zu der übrigen bunten Mischung aus Musicalsongs und Welthits nicht so recht passen will. Vor allem im Hinblick auf die anschließende Diskussion über nutzlose Körperteile („Deine Beine können wir essen, frisieren kannst Du ja auch im Sitzen!“). Das Duett aus „Hungry Eyes“ und einem „Help“-Medley ist wieder sehr komisch inszeniert (Corny Littmann).

Als Gernot den beiden erläutert, dass sie nun doch freigelassen werden, da die Polizei „dumme Fragen“ stellt, brennt bei Winona eine Sicherung durch. Denn Puschi hat ihr klar gemacht, dass er ihr Gehabe nicht tolerieren wird und auch ein wenig von dem zu erwartenden Presserummel abbekommen möchte.

Jeder Widerspruch („Shout!“) von Puschi ist zwecklos. Winona hat ihn an die Rohre gefesselt und mach mit „Ich will nichts mehr hören“ („Mamma Mia“) deutlich, was ihn erwartet. Winona wird „befreit“ und stellt sich der wartenden Pressemeute. Puschi hingegen sinniert „Always look on the bright side of Life“. Das Publikum geht einmal mehr richtig mit, pfeift und klatscht, was Lungen und Hände hergeben.

Und damit endet dieses aberwitzige Stück. Nicht nur das Publikum, auch die beiden Künstler auf der Bühne haben sichtlich Spaß an dieser kurzweiligen Unterhaltung. Für Musicalkenner bieten sich viele versteckte Anspielungen, die wirklich urkomisch inszeniert werden. Das gelingt aber nur, da sowohl Carolin Fortenbacher als auch Nik Breidenbach komödiantische und gesangliche Ausnahmekünstler sind, die in beiden Bereichen überzeugen können.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Schmidtchen, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 1. August 2015
Darsteller: Nik Breidenbach, Carolin Fortenbacher
Musik / Buch: Corny Littmann / Mirko Bott
Fotos: Oliver Fantitsch