Der Hype um die Deutschlandpremiere von „Tina – Das Tina Turner Musical“ ist groß. Endlich wieder ein Hitmusical für Deutschland! Schon für die Präsentation der Hauptdarstellerin Kristina Love hatte die Stage Entertainment im vergangenen Herbst Tina Turner aus der Schweiz eingeflogen.
Aber hält das Musical, was die Stage Entertainment verspricht? Die schon vor der Premiere am 3. März 2019 mehr als 150.000 verkauften Tickets zeigen: Die Vorfreude ist riesig! Auch im Saal des Operettenhauses ist die Stimmung von Anfang an gut – kein Wunder, beginnt die Show doch mit den Klängen von „The Best“. Sofort spürt man die Energie, welche die Drums auslösen und merkt, das Publikum möchte tanzen, singen und feiern…
Doch Pustekuchen! Tina kommt auf die Bühne, setzt sich in den Schneidersitz und meditiert erst einmal.
Während dieser Meditation erscheinen Tinas Großmutter und ihr eigenes Kind-Ich auf der Bühne. Hieraus entwickelt sich ein mitreißender Gospel-Gottesdienst in Nutbush, Tennesee. Hier beginnt die Geschichte von Anna Mae Bullock, wie Tina Turner mit bürgerlichem Namen heißt. Und diese Geschichte ist alles andere als lustig und erfolgsverwöhnt.
Anna Mae wächst mit einem gewalttätigen Vater auf, wird von ihrer Mutter verstoßen und zum Sündenbock für alles gemacht, was schiefläuft. Schlussendlich lebt sie bei ihrer Großmutter, von der sie die richtigen Werte mit auf den Lebensweg bekommt.
Ihre Schwester Alline holt sie nach St. Louis und die beiden Schwestern verbringen die Abende in mehr oder weniger verrufenen Clubs. Es dauert nicht lang, bis Bandleader Ike Turner auf Anna Maes besondere Stimme aufmerksam wird. Kurzerhand lädt er sie ein, mit auf Tour zu kommen, was Anna Mae nur zu gern annimmt. Doch die Schattenseiten – Drogen, Ikes Gewalttätigkeit, Geldprobleme – zeigen sich schnell. Als Anna Mae von einem Bandkollegen schwanger ist, setzt Ike sie unter Druck, so dass sie bei ihm bleibt.
Es folgen viele Jahre als musikalisches und bald auch privates Paar. In dieser Zeit schlägt Ike auch den Künstlernamen Tina Turner vor. Die „Ike & Tina Turner Revue“ wird ein großer Erfolg. Die Plattenfirmen haben jedoch mehr Interesse an Tina, was Ike in seinem Stolz kränkt und zu weiteren Gewaltausbrüchen führt, die Tina – inzwischen zweifache Mutter – irgendwann nicht mehr ertragen kann. Mithilfe ihrer Managerin versucht sie, es in Las Vegas allein als Künstlerin zu schaffen. Doch die Plattenfirmen lassen die bald 40-Jährige abblitzen und Ike überzieht sie mit einer Klagewelle.
Ein mutiger und gleichzeitig verzweifelter Schritt bringt Tina nach London, wo sie mit ihrem neuen Manager Roger Davies versucht, den europäischen Markt zu erobern. Doch auch dies misslingt. Erst als sie in die USA zurückkehrt und auf einem Konzert in New York „What’s love got to do“ präsentiert, bricht der Fluch. Sie rechnet mit Ike ab und sagt ihrer Mutter klar die Meinung.
Die Show endet mit der Auftaktszene: Tina sitzt meditierend hinter der Bühne des Maracana-Stadions in Rio de Janeiro, wo 180.000 Zuschauer auf ihren Auftritt warten. Nun bekommt das Publikum endlich das, worauf es die ganze Zeit schon wartet: 15 Minuten lang brennen Kristina Love, das gesamte Ensemble und das sehr gute Orchester unter der Leitung von Tobias Vogt ein Hitfeuerwerk ab!
Diese Show steht und fällt mit der Hauptdarstellerin. Mit Kristina Love wurde eine exzellente Darstellerin gefunden, welcher der Spagat zwischen den eher weichgespülten Musicalsongs und den weltbekannten Rocksongs über weite Strecken sehr gut gelingt. Einzig bei „Ich werd weiter tanzen“ („Private Dancer“ im Original) spürt man, dass hier etwas nicht stimmt. Loves Stimmlage will so gar nicht zu diesem Song passen, was sehr schade ist. Schauspielerisch zeichnet sie das bewegte Leben von Anna Mae Brown emotional glaubwürdig nach.
Als Ike Turner wurde Mandela Wee Wee besetzt. Seine Stärken liegen sicherlich mehr im Schauspiel als im Gesang. Mit seinen Ensemblekollegen kann er jedenfalls leider nicht mithalten. Denise Lucia Aquino ist Anna Maes Schwester Alline. Ihre Lebensfreude ist ansteckend und sie macht auch als Tänzerin und Sängerin eine gute Figur.
Zelma Bullock zieht als Adisat Semenitsch alle Register: Sie ist mürrisch, stark, bevormundend und unerbittlich. Nebenbei sorgt sie aber auch für den ein oder anderen Lacher… Roger Davis und Erwin Bach, Manager und „Marketing-Fuzzi“, die Tina in London wieder in die Erfolgsspur helfen wollen, werden von Nikolas Heiber und Simon Mehlich rollendeckend gespielt. Dass allerdings Mehlich als „Kölscher Jung‘“ nur 1-2 Sätze Kölsch zum Besten gibt und ansonsten hochdeutsch redet, ist sehr bedauerlich. Hier hätte man sich mehr Konsequenz gewünscht.
Etwas schwierig ist bei deutschsprachigen Musicals gemeinhin die Übersetzung von englischen, international bekannten Songs. Für „Tina – Das Tina Turner Musical“ haben sich Kevin Schröder und Sera Finale dieser Herausforderung gestellt und fast alle Songs zumindest großteils ins Deutsche übertragen. Dies gelingt zumeist sehr gut, dennoch hat das Publikum die englischen Originaltexte im Ohr. Und wenn man dann anstatt „I can’t stand the rain“ „Regen fällt wie Blei (an mein Fenster)“ hört, ist das schon etwas befremdlich. Die Mischung zwischen deutschen und englischen Texten fällt besonders im Finale auf: Zunächst singt Tina noch auf deutsch und „The Best“ kommt daher wie eine 08/15-Musicalballade, wenn sie dann aber die Treppe hinaufläuft, sich umdreht und „You’re simply the best“ schmettert, gibt es kein Halten mehr!
„Tina – Das Tina Turner Musical“ zeigt die bewegte und bewegende Lebensgeschichte der weltberühmten Sängerin. Dabei steht jedoch der Mensch Anna Mae Brown im Mittelpunkt und nicht die Musikerin Tina Turner. Mehr als zwei Drittel des Abends sehen die Zuschauer ein ungeschöntes Dramamusical, in dem Tina Turners Musik nur eine Nebenrolle spielt. Dafür werden sie die letzten 15 Minuten für ihr Durchhaltevermögen belohnt: Das Publikum steht schon nach wenigen Taktschlägen von „The Best“ und feiert!
Auch wenn sich viele wünschen, dass dieses Minikonzert nicht endet, gehen sie dennoch mit einem guten Gefühl und Tina Turners Welthits summend aus dem Theater. Und genau so soll es doch sein, oder?
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Premiere: 3. März 2019
Regie / Musik: Phyllida Lloyd & Ola Ince / Tina Turner
Fotos: Stage Entertainment / Manuel Harlan