In einem fließenden Übergang verdunkelt sich der Saal und die Show beginnt. Zunächst sieht man eine weiße Rose, mit der man unweigerlich etwas Trauriges verbindet. Die Musik wird bedrohlicher, intensiver und der Hintergrund der Rose nimmt Farbe an.
Auf der Bühne wird mit Stoff und Windmaschine ein aufgewühltes Meer produziert, aus dem immer mal wieder einzelne Spitzen aufsteigen. Mit einem Mal stemmen sich Gesichter und Körper unter dem Stoff gegen den Wind. Schon in dieser ersten Szene wird ein beeindruckender Spannungsbogen erzeugt.
Viele Szenenwechsel werden durch Tierlaute – mal Vogelzwitschern, mal Affenschreie – begleitet. So auch der erste, der überleitet zu einer total schwarzen Bühne. Im Schwarzlicht tauchen Schlangen auf, die zu Ästen werden, Straußen, Phytons und Vögeln. Das Ganze dargestellt von drei Künstlern, die ihre Hände, Füße, Unterarme und Unterschenkel sehr geschickt und clever immer wieder neu kombinieren.
Leider bleibt wenig Zeit, das Gesehene mit Applaus zu honorieren, denn kaum sind die Schwarzlichtvögel von der Bühne geflattert, öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine Tänzerin, die sich auf einer schrägen Spiegelfläche aalt. Mit gezielten Bewegungen schafft sie immer neue, kreative Figuren. Dabei muss sie sich weder besonders schnell bewegen, noch verrenken. Die effektvolle Nutzung der Spiegelfläche täuscht die Sinne und man muss sich schon sehr konzentrieren, um zu erkennen, dass es die ganze Zeit nur eine einzige Frau ist, die diese Illusionen erzeugt.
Es folgt eine Szene mit einem skelettierten Urzeitviech, das einem Triceratops ähnelt und mit dem eine Tänzerin zunächst
liebevoll spielt, um schlussendlich aber doch von ihm verletzt zu werden. Während der ganzen Szene liegt rechts vorn ein schlafender, knapp bekleideter Jüngling. Mehr als Herumliegen macht er aber auch nicht. So ganz kann man diese Szene nicht nachvollziehen…
Doch auch hier bleibt keine Zeit zum Nachdenken, denn schon entspannt sich das nächste Bild, in der das Ensemble, die Arme in Plastikröhren steckend, über die Bühne tanzt und mit den Röhren immer wieder neue Formen erzeugt.
In der Folgeszene tanzen die Blätter. Drei Paare zeigen in ansprechenden, kraftraubenden und doch unendlich eleganten Figuren, was experimentelles Tanztheater ausmacht. Jede Faser der sechs Körper ist gespannt und jede Bewegung wird ganz präzise ausgeführt.
Als nächstes kullern fünf Blütenknospen auf die Bühne. Zu wunderschöner, indisch motivierter, ins klassische übergehender Musik entwickeln
sich diese Knospen vor den Augen der Zuschauer zu wunderschönen Blumen. Die Tänzerinnen verleihen dieser Wandlung viel Grazie und das Spiel mit den wandlungsfähigen Kleidern – vom Kokon über Petticoat zum eleganten Cocktailkleid – ist eine wahre Augenweide.
In den Folgesequenzen stehen mal die Männer mehr im Vordergrund: Als düstere, kraftvoll-bedrohliche Wespen erobern sie in einer raumgreifenden Choreographie die Bühne. Verstärkt von einigen Kolleginnen traben sie danach als Zentauren über die Bühne. Die Synchronität von Vorder- und Hinterteil ist bestechend, die energische Eleganz freut das Auge.
Im ersten Akt begleiten sphärische Klänge die vielen zusammenhanglosen Szenen. Das birgt die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch die „Entspannungsmusik“ sinkt und man das Geschehen nur noch vorbeiplätschern lässt, was den herausragenden Leistungen der Künstler wahrlich nicht gerecht werden würde.
Im zweiten Akt ändert sich dies. Nicht nur die Musik wird schneller, energischer und elektrisierender, auch die gezeigten Choreographien sind noch kreativer, atemberaubender, schöner.
Ein erstes Highlight setzt die Auftaktnummer, in der das Ensemble in weißen Kostümen die Bühne zurück erobert. Die komplette Szenerie wird auf der Leinwand im Hintergrund mehrfach parallel abgespielt. Wenn dann noch die Lichttechnik hinzu addiert wird und in einem Blitzlichtgewitter mal die Live-Tänzer, mal die passende Sequenz auf der Leinwand beleuchtet wird, ist das Publikum wieder begeistert bei der Sache.
Über die Tänzerin, die unter ihrem Kettenvorhang zunächst an eine altmodische Stehlampe erinnert, wundern sich die Zuschauer nur ganz kurz. Als sie beginnt sich zu drehen und der Vorhang zu einem Kreisel wird, mit dem sie immer neue Formen schafft, sitzen viele mit offenem Mund da.
Erinnern Sie sich noch, wie schwer es ist, einen Hula-Hoop-Reifen in Schwung zu halten? Versuchen Sie das mal minutenlang mit hunderten einzelnen Ketten. Über den Drehwurm, die die Tänzerin bekommt, da sie nicht ein einziges Mal die Drehrichtung wechselt, wollen wir hier gar nicht erst reden… Absolut beeindruckend!
Der von Bob Fosse choreographierte „Razzle Dazzle“ diente ganz klar als Vorlage für die folgende Sonnenblumen-Szene. Vor einem strahlend blauen Himmel tanzen drei wunderschöne Sonnenblumen, die jeweils aus zwei Straußenfederfächern zusammengesetzt werden. Wunderhübsch anzuschauen, ganz pur und mit kleinen Ideen (bspw. die „zuckenden“ Blütenbätter, während die Tänzerinnen umrahmt von den Blumen auf dem Boden sitzen) gespickt, die diese Szene einmalig machen.
Es folgt eine Liebeserklärung an (irische) Wälder. Zu gälischen Klängen und lupenreinem Gesang tanzt das komplette Momix-Ensemble mit Ahorn-Ästen. Sie schaffen wunderschöne Bilder, die Choreographien sind so abwechslungsreich wie anstrengend und das Publikum lässt sich vollends von dieser perfekten Harmonie gefangen nehmen.
Das Finale ist unerwartet ruhig: Ein einzelner Tänzer bewegt einen riesenhaften Fächer über die Bühne.
Zusammen mit seinen fließenden Bewegungen und den dazu eingeblendeten Blumen-Mustern wird man in eine traumhafte Welt entführt, wobei der Auftakt zu dieser Szene – Sternenmeer und Meeresrauschen – dazu fast noch besser geeignet ist, als die daran anschließenden Blütenmotive.
Als Zugabe zeigen die zehn Tänzerinnen und Tänzer eindrucksvoll, was man mit Pool Noodles noch so anstellen kann. Farbenfroh, schnell, mit entsprechender Vervielfältigung auf der Leinwand werden hier noch einmal alle Sinne der Zuschauer angesprochen.
„Momix Botanica“ ist unglaublich kreatives Tanztheater. Es werden wunderbare Bilder geschaffen. Das Publikum sieht noch nie da gewesene Choreographien und wird im Handumdrehen verzaubert. Die neueste Show von Moses Pendleton hat alles, was es braucht, um Menschen in eine andere, bunte, gefühlvolle Welt zu entführen.
Nicht alle Szenenwechsel sind rund und die Zuschauer wissen auch nicht immer, ob sie nun applaudieren sollen oder nicht. Manchmal wäre die Zeit, aber das Publikum ist von der Performance noch gefangen, manchmal würde man gern seiner Begeisterung Luft machen, aber die ruhige, sphärische Musik gibt einem das Gefühl, das es nicht angebracht sei.
Nichtsdestoweniger bekommen die zehn Tänzerinnen und Tänzer am Ende minutenlangen Applaus und stehende Ovationen. Ihre Leistung ist atemberaubend. Die Kostüme sind traumhaft schön und passen sich perfekt an die gestählten Körper der Künstler an.
Die Musikauswahl passt zum Gesamterlebnis. Vielleicht gehören Tiefenentspannung und Sich-Treiben-Lassen ja zu den erklärten Zielen des amerikanischen Regisseurs und Choreografen. Dann trifft er mit seiner neuen Show voll ins Schwarze.
Wenn man sich darauf einlässt, keine Handlung, sondern abwechslungsreiches, buntes, wunderschönes Tanztheater genießen möchte, dann ist man bei der neuen Tour aus dem Hause Mehr! Entertainment genau richtig.
Michaela Flint
Besuchte Vorstellung: 11. Januar 2014
Darsteller: MOMIX Ensemble
Regie & Choreographie: Moses Pendleton
Fotos: Max Pucciariello