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Mal was anderes gefällig?

Wer die hohen Ticketpreise der Stage Entertainment für die Ensuite-Musicals nicht zahlen möchte, bekommt in den letzten Wochen immer mehr Gelegenheiten geboten, sich andere, noch nicht da gewesene, neuartige Musik- und Entertainment-Shows anzusehen. blickpunkt musical hat sich in diesem Bereich einmal genauer umgesehen und vier aktuelle Produktionen ausgewählt, die wir Ihnen aus unterschiedlichsten Motiven gern näher bringen möchten.

Zunächst ist dort „Afrika, Afrika“ zu nennen, André Hellers neueste Zirkusshow, die sich mit allen Facetten des afrikanischen Kontinents auf musikalische und akrobatische Weise auseinandersetzt. Die Art und Anzahl der Darbietungen ist so vielfältig wie das Land – von Stammestänzen, über nordafrikanische Gesänge bis hin zu den Slums von Johannesburg und Kapstadt – wird ein breites Spektrum geboten. Choreograph Georges Momboye sorgt für ein abwechslungsreiches Tanz-Feuerwerk.

Die mehr als 100 Artisten sind Spitzenklasse, sie zeigen als Jongleure, Kletterer, menschliche Pyramiden, Schlangenmenschen oder einfach nur Tänzer eine atemberaubende Körperbeherrschung, die sie mit schier unbändiger Lebensfreude präsentieren.

Farbenfrohe Kostüme, nicht minder bunte Videoprojektionen an die Zeltwände und eine gut eingestimmte Band runden das Vergnügen ab.

Die Fröhlichkeit des Ensembles ist ansteckend und man geht nach einem Abend im geheizten und stilistisch passend eingerichteten Zeltbau gut gelaunt in die nordeuropäische Welt hinaus.

Die neuartige Show „Voxpop“ lockt mit sechs jungen Engländern, die sich selbst zu ihren Gesängen begleiten: eine Musik-Show ohne Instrumente. Den Zuschauer erwartet weder ein reines Musikkonzert, noch eine weitere A-Cappella-Truppe, die zum hundertsten Mal „Only You“ von den Flying Pickets zum Besten gibt.

Wie man nach einer schrägen Auftaktnummer mit E-Gitarren und auseinander fallenden Drums sehr schnell feststellt, besteht die Eigenbegleitung aus zwei jungen Künstlern Andy Frost und Derek Elroy, die als menschliche Rhythmusmaschinen eingesetzt werden. Die beiden begleiten die anderen vier Kollegen (Steve Trowell, Nic Doodson, Michael Welton und James Fortune), die sich durch diverse Boygroup-Songs kämpfen, sich aber mit ihren dünnen Stimmen kaum gegen die Übermacht der beiden Beatboxer durchsetzen können.

Ein sehr gutes Lichtdesign rückt die sechs jungen Männer immer wieder ins rechts Licht und zeigt, dass die Kreativen etwas von ihrem Handwerk verstehen. Etwas missglückt wirken hingegen die steifen Choreographien, die die Hälfte der Darsteller zur Deutschlandpremiere am 8. März in Hamburg nicht beherrschte.

Leider suchten die Künstler auch nur wenig den Kontakt zum Publikum und spulten in erster Linie ihr Programm ab. Einige Nummern wirkten sehr gut und stimmig, aber am Ende überwiegt das Bedauern, dass mehr Beatboxing zu hören war als richtiger A-Cappella-Gesang. Dieses Missverhältnis lässt den Abend eher unglücklich ausklingen, denn sich zwei Stunden überwiegend das „Wummern“ von beatboxenden Künstlern anzuhören anstatt des Gesangs von ausgebildeten Sängern, wird spätestens nach dem ersten Akt tendenziell langweilig.

Fast ganz ohne Gesang kommt das Kehrwieder Varieté aus. Mit dem dritten Programm „Blind Date“ wird ganz wie früher bodenständiges Varieté geboten – Moderation, Komödianten und Akrobaten  – vorwiegend aus dem osteuropäischen Raum – wechseln sich über zwei Stunden ab und sorgen für gleichermaßen für lachende und erstaunte Gesichter im Publikum.

Moderator Matthias Brodowy führt –noch nicht ganz so souverän – durch die bunte Show. Verschiedene Akrobaten, Jongleure und Comedy-Gruppen zeigen ihr Können auf der Bühne, an den Ringen und haben sich rund um ihre Vorführungen charmante Rahmenhandlungen oder musikalische Untermalung ausgedacht. Der Moderator selbst ergänzt das Programm durch ansatzweise politisches Kabarett und selbstgeschriebene Stücke wie beispielsweise den „Jammer-Song“, der dem Publikum deutlich die den Deutschen nachgesagte Jammer-Mentalität vor Augen führt.

Varieté-Veranstaltungen sind nichts Neues, doch in einem ausgebauten Speicher, bei dem die alten Träger Bestandteil der Bühne sind, und mit einem sehr gut zusammengestellten Menü aus der hauseigenen Küche, ist ein Abend im Kehrwieder Varieté mehr als einen Versuch wert. Übrigens: Noch im Mai beginnt das neue Programm „Männer für Kenner(innen)“, das sich explizit an alle unfreiwilligen Fußball WM-Opfer wendet.

Ein echtes Kleinod der Kleinkunst ist der Dean Martin Abend mit Musical-Darsteller Thorsten Tinney. Die Gastspieldirektion Wolfgang Jansen schickt das Vegas Lounge Trio, bestehend aus einem Drummer, einem Bassisten und einem Pianisten, zusammen mit Thorsten Tinney seit einigen Monaten erfolgreich auf Tournee durch deutsche Lande. Mit seinem „tribute to Dean Martin“ nimmt Tinney die Zuschauer mit auf eine Zeitreise durch das bewegte Leben von Dean Martin. Beginnend mit dem kleinen italienischen Jungen, der in Amerika aufwächst, über diverse geschiedene Ehen, musikalische Erfolge, die eigene TV-Show, berühmte Wegbegleiter wie Jerry Lewis bis hin zu seinem Krebstod am 25. Dezember 1995.

Dabei gibt der ehemalige „Jekyll & Hyde“- und „Pinkelstadt“-Darsteller den charmanten Entertainer, der – immer mit Zigarette und Whiskey-Glas bewaffnet – die Damen im Publikum anflirtet, Anekdoten aus dem Leben erzählt und vor allem all die Songs zum Besten gibt, die Dean Martin weltberühmt gemacht haben. Dazu zählt neben „Volare“ und Everybody loves somebody“ natürlich auch „That’s Amore“.

Tinney gefällt sich sichtlich in der Rolle des Alleinunterhalters und unter Berücksichtigung, dass es sich ja um eine tribute-Show und nicht um einen Imitatorenabend handelt, gereichen auch die dargebotenen Musikstücke zu großem Vergnügen. So unaufwändig die Ausstattung daherkommt, so pur und hautnah ist der Künstler zu erleben. Augenzwinkernd führt er durch mehr als zwei Stunden amerikanische Unterhaltungsgeschichte. So macht Musiktheater Spaß!

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: verschiedene Spielstätten, Hamburg
Premiere: März / April 2006
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