Michaela Flint: Seit Mitte Februar sind Sie offiziell wieder Geschäftsführer der Stage Entertainment Deutschland. Wie fühlt es sich an, in Hamburg wieder die Zügel in der Hand zu halten?
Maik Klokow: Es ist wie ein Déjà-Vu: Ich war nie ganz weg und es kommt einem noch alles vertraut vor. Aber ich bin nicht auf den gleichen Platz zurückgekommen und habe eine veränderte Unternehmenssituation vorgefunden. Die letzten eineinhalb Jahre habe ich mich intensiv mit dem internationalen Markt befasst und sehe viele Dinge jetzt mit anderen Augen. Für Themen, bei denen ich damals vielleicht etwas kritikloser war, finde ich jetzt Ansatzmöglichkeiten, die sich an Russland, Spanien oder England orientieren. Meine Aufgabe besteht darin, diese Ideen so zu adaptieren, dass sie für den deutschen Markt passen. Sicherlich ist Deutschland der größte Musicalmarkt, aber das heißt nich,t das wir automatisch alles Richtig machen. Unser Anspruch, immer perfekt zu sein, das Beste für unseren Gast zu geben und sich dafür jeden Tag selbst neu zu definieren, lässt sich einfacher umsetzen, wenn man zwischendurch „weg“ war.
Michaela Flint: Wie kam es dazu, dass Sie Ihren „alten“ Job wieder angenommen haben?
Maik Klokow: Als ich mich im Sommer 2005 meiner neuen Aufgabe gewidmet habe, mich in Amsterdam um den internationalen Bereich zu kümmern, war es für die Mitarbeiter, die seit Jahren ein und dieselbe Führungsfigur hatten nicht leicht. Es war schwierig für ein Unternehmen, das wie unseres, so schnell gewachsen ist, einen Ersatz zu finden, der perfekt passte. Das hat leider nicht funktioniert, auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte. Das kann man nicht an der Persönlichkeit festmachen – Jan-Pelgrom de Hass ist ein hervorragender Manager. Aber was ihm sicherlich gefehlt hat, ist das theaterspezifische Know-How, die unbedingte Liebe zum Theater, die man nur empfindet, wenn man dort selbst gearbeitet hat. Man kann zwar eine distanzierte Liebe zum Produkt Musical aufbauen, aber das ist etwas anderes als authentische Begeisterung, weil man jeden Abend gern im Theatersaal sitzt.
Wenn der Geschäftsführer diese Leidenschaft nicht 100%ig verkörpert, kann man nicht erfolgreich sein. Da es für beide Seiten keine mittel- und langfristige Perspektive gab, war es ein ganz normaler Vorgang, sich zu trennen.
Michaela Flint: Ihren Aufgabenbereich in Amsterdam haben Sie aber nicht delegiert, sondern sind auch weiterhin für die Commercial Affairs und International Production zuständig, oder?
Maik Klokow: Im Moment mache ich tatsächlich noch beide Jobs, aber das geht fast gar nicht, da das deutsche Geschäft 100 % operative Aufmerksamkeit erfordert. Jeden Morgen, wenn die aktuellen Zahlen auf meinem Tisch liegen, sind Reaktionen erforderlich. Meine Mitarbeiter wollen Entscheidungen und es gibt jeden Tag einen großen Entscheidungsstau, den ich abarbeite.
„Nebenbei“ kümmere ich mich um den internationalen Bereich, d. h. Produktentwicklung, Lizenzgeschäfte und Aufbau neuer Produktionen in den verschiedenen Ländern, in denen die Stage Entertainment zurzeit aktiv ist.
Da diese Aufgabenteilung so nicht dauerhaft funktioniert, haben wir Mitte April den Vorstand erweitert und mit Erwin van Lambaart einen Kollegen aufgenommen, der die Geschäfte der Niederlande seit Jahren erfolgreich führt. Mit ihm, den anderen Board-Mitgliedern Bart van Schriek, Caspar Grewe und unserem neuen CEO Henk Kivits wird zurzeit eine neue Aufgabenverteilung erarbeitet, die im September stehen muss. Ich bin ja nicht nur als Ersatz wieder in Deutschland, sondern als mittel- und langfristige Option.
Michaela Flint: Bei diesen beiden zeit- und entscheidungsintensiven Positionen – kommen Sie da überhaupt noch zum Luftholen?
Maik Klokow: Im Moment nicht. Bis Ende letzten Jahres hatte ich ein ziemlich normales Leben mit Freizeit, die ich mit meinen beiden Söhnen aus erster Ehe und meiner Lebensgefährtin verbringen konnte. Das hat sich deutlich geändert. Meine Arbeitswoche fängt montags morgens um 5.30 Uhr an, wenn ich nach Amsterdam fliege, um an wöchentlichen Board- und Abteilungsmeetings teilzunehmen. Zwischendurch telefoniert man mit der Welt – tagsüber mit Europa, nachts mit den USA und Australien. Mein Job ist mit sehr vielen Reisen verbunden. Ich komme im Regelfall nicht vor 22 Uhr aus dem Büro. Wenn man sich zudem anschaut, dass wir international ca. 40 Premieren pro Jahr haben und mindestens zwei Wochenenden auf Strategiemeetings und Präsentationen entfallen, kann man sich leicht ausrechnen dass nur noch zehn Wochenenden übrig bleiben, um aufzutanken.
Auch wenn man ein solches Pensum nur eine begrenzte Zeit schultern kann, ist das für mich kein Grund zu klagen. Denn das ist der Anspruch, den ich an mich habe: Das Management muss alles dafür tun, dass die Stage Entertainment erfolgreich ist. Das bedarf immer und jederzeit 100 % Aufmerksamkeit. So etwas kann man nur aushalten, wenn man alles mit der entsprechenden Leidenschaft lebt.
Michaela Flint: Die STELLA-Insolvenz ist jetzt fünf Jahre her. Gibt es Entscheidungen, die Sie bereut haben oder hätten Sie vielleicht das Ganze einen Gang langsamer angehen sollen?
Maik Klokow: Nein, auf keinen Fall! Der größte Fehler, den ich gemacht habe, war das Potential von „Starlight Express“ zu unterschätzen. Da stand die Angst im Vordergrund, dass wir uns übernehmen könnten: ‚Was machen wir, wenn die Show nicht läuft? Wir können ja schlecht das Theater abreißen und die Mitarbeiter nach Hause schicken.’ Es hatte für mich zu wenig Zukunftsperspektive.
Aber diese Fehlentscheidung hat uns nicht geschadet. Im Gegenteil, für uns ist Konkurrenz wie „We Will Rock You“, „Starlight Express“ oder auch das Deutsche Theater in München gut. Wir brauchen den Austausch, um uns immer wieder vor Augen zu führen, wo wir hinwollen, nämlich die Besten zu sein.
Was ich heute sicherlich anders machen würde, wäre, dass ich nicht so schnell zu Produktentscheidungen kommen würde. Den ersten Spielplan haben wir im Hauruck-Verfahren aufgestellt, weil wir uns haben drängen lassen, aus Sorge, dass unzählige Theater längere Zeit leer stehen würden. Heutzutage hätte ich einen Sechsmonats-Roll Out-Plan.
Michaela Flint: Die Stage Entertainment kündigt seit Jahren Eigenproduktionen an und bringt nun anstatt „Wind of Change“ „Ich war noch niemals in New York“ als erste Eigenproduktion. Woran liegt das?
Maik Klokow: Wir haben mit den „3 Musketieren“ in Berlin angefangen und machen jetzt mit „Ich war noch niemals in New York“ einen Riesenschritt voran. Trotzdem sind wir uns der Herausforderung und dem damit verbundenem Risiko bewusst. You’ll never know! Ich bin überzeugt von „Ich war noch niemals in New York“, es ist ein tolles Stück, auch der Zuspruch, den wir jetzt schon erfahren, ist gigantisch. Aber letztendlich entscheidet das Publikum. Trifft die Show den Zeitgeist? You’ll never know! Wichtig ist, dass die Geschichte die Show trägt. „Ich war noch niemals in New York“ ist keine Compilation-Show. Das wäre zu kurz geschossen. Auch ohne die Songs muss die Geschichte für die Zuschauer interessant sein. Mit Gabriel Barylli und Christian Struppeck haben wir ein Team gefunden, das sich sehr gut ergänzt. Auch für das Genre Musical in Deutschland hoffe ich sehr, dass es klappt. Es wäre ein Meilenstein. Und mit „Der Schuh des Manitu“ und „Die unendliche Geschichte“ haben wir zwei weitere großartige Eigenproduktionen in Arbeit.
Bei „Wind of Change“ haben wir bisher vier Bücher bekommen und keins hat wirklich gepasst. Wir werden das Stück aufführen, keine Frage. Aber erst, wenn wir eine Geschichte gefunden haben, die wir auch wirklich erzählen wollen. Ich habe einmal den Fehler gemacht, zu sagen, „Wind of Change“ kommt in 18 Monaten. Das mache ich ein kein zweites Mal. Ein Stück dauert so lange wie es dauert und wenn es 20 Jahre sind. Man darf bei der Geschichte und den Kreativen keinen Kompromiss eingehen.
Michaela Flint: Wie wichtig sind Hit-Produktionen vom Broadway oder West End für den Standort Deutschland?
Maik Klokow: Sehr wichtig, aber hierbei darf man die Historie nicht außer Acht lassen. Da wir aufgrund der kurzen Erfahrung des Genres Musical in unserem Land noch nicht in der Lage sind, uns selbst zu versorgen, hängen wir am Transfusionsschlauch vom Broadway und West End. Es ist unglaublich schwer, Autoren und Komponisten zu finden, die auf Broadway-Niveau produzieren. Vieles von dem, was wir angeboten bekommen, ist einfach katastrophal, weil es sich die Schöpfer zu einfach machen und die Komplexität des Musicals unterschätzen. Wir sind aber seit Jahren dabei, uns einen Pool an Kreativen aufzubauen, der nach und nach das gewünschte Niveau bekommt.
Wir brauchen Produktionen wie „Wicked“ und wollen die hier zeigen, auch wenn sie unsere eigene Kultur nicht widerspiegeln. Nur alle fünf Jahre gibt es so einen Hit – „König der Löwen“, „Mamma Mia!“ und jetzt „Wicked“, auch wenn das nicht so schnell um die Welt gegangen ist, weil es eine sehr spezielle Geschichte hat.
Aber es gibt auch viele Produktionen, die wir machen möchten und nicht dürfen. „The Producers“ ist so ein Beispiel. Alle Welt denkt, wir hätten die Lizenz, aber Mel Brooks möchte einer Aufführung in Deutschland im Moment nicht zustimmen. Wir würden dieses Stück sehr gern mit den Vereinigten Bühnen Wien co-produzieren, denn diese Show muss einfach nach Europa kommen! Wäre sie ein Erfolg bei uns? Vermutlich nicht, aber das ist in diesem Fall zweitrangig.
Michaela Flint: „Wicked“ am Standort Stuttgart und die dritte „Mamma Mia!“-Produktion in Essen scheinen rein wirtschaftliche Entscheidungen zu sein…
Maik Klokow: „Mamma Mia!“ in Essen ist zunächst einmal nicht die dritte Produktion, sondern die erste nach Hamburg und Stuttgart, die beide im September schließen werden. Danach ist Essen erstmal der einzige Standort, bis wir am 21. Oktober in Berlin im Theater am Potsdamer Platz eine weitere Produktion aufmachen. Bisher haben wir die Produktion im Süden und Norden, ab Herbst dann in Ost und West.
„Wicked“ ist keine wirtschaftliche Entscheidung, sondern eine strategische. Es ist eine Verbeugung vor dem Stuttgarter Publikum. Jeder Produzent möchte mit seinen Shows nach Hamburg, aber wir meinen, mit Stuttgart ein Pendant zu Hamburg zu haben, es hat das gleiche Einzugsgebiet, den gleichen Durchschnittspreis und die Menschen dort lieben Musicals. Wir haben in Stuttgart große Erfolge gefeiert, auch wenn nicht alles erfolgreich war. Aber wenn man sich die Alternativen Berlin, Essen, Oberhausen ansieht, war es keine Frage, dass eine solche Blockbuster-Produktion nicht nach Essen oder Oberhausen kommt. Und Berlin ist noch nicht reif für eine Deutschlandpremiere dieser Größenordnung. Der Berliner Markt ist ein zu entwickelnder Markt, der sich zwar nach und nach angleicht, aber immer noch liegen die Durchschnittspreise 20 Euro unter den von Hamburg und Stuttgart. Wenn man sich dann überlegt, dass man ca. 750.000 Besucher im ersten Jahr braucht, um die Produktionskosten einzuspielen, ist bei einer Differenz von 20 Euro pro Ticket klar, über welche Summen wir hier reden und dass Berlin das noch nicht tragen kann. Wir entwickeln uns langsam dahin und ich möchte nicht ausschließen, dass es im kommenden Jahr eine Weltpremiere in Berlin geben wird, aber dieses Jahr klappt das noch nicht.
„Wicked“ passt noch aus einem weiteren Grund sehr gut nach Stuttgart. Das Stück hat einen ähnlichen Kultcharakter wie „Tanz der Vampire“ und das lief in Stuttgart hervorragend. Es hat vom Potential her sehr viel gemeinsam mit „Tanz der Vampire“, außerdem hat es – auch wenn Geld nicht alles ist – mehr eingespielt als „Der König der Löwen“, die Vorverkaufsrekorde in New York und London gesprengt und ist dabei künstlerisch eine sehr anspruchsvolle Produktion. Ich habe noch nie so viele Künstler gesehen, die bei einem Stück mitspielen wollten. Elphaba und Glinda sind unglaublich tolle Rollen. Die beiden Künstlerinnen, die wir für diese Rollen engagiert haben, sind sicherlich für viele eine große Überraschung, da viele andere Kolleginnen auf dem Zettel hatten. Aber diese Rollen können nur sehr wenige singen und noch weniger spielen.
All das hat dazu geführt, dass wir glauben, dass Stuttgart diese Show tragen kann. Wissen wir, ob es klappt? In unserem Geschäft gibt es nur eine Wahrheit: You’ll never know – and nobody knows! Erst wenn das Publikum die Show gesehen hat, weiß man, ob es klappt oder nicht.
Michaela Flint: Das Stück ist großartig und sehr erfolgreich im Ausland, keine Frage. Aber ist der Standort Stuttgart wirklich mit Hamburg im Hinblick auf Bustourismus o. ä. vergleichbar? Zudem sieht man in Norddeutschland bisher werbetechnisch kaum etwas von Ihrem neuesten Import.
Maik Klokow: Der Bustourismus ist ein Märchen. Das Busgeschäft ist seit über 15 Jahren rückläufig und macht einen Anteil von 10 % aus. 90 % wegzuargumentieren, damit man sich auf diese 10 % konzentrieren kann, ist Quatsch. Die einzige Ausnahme ist „Der König der Löwen“, der auch nach sechs Jahren noch von Zuschauern aus dem ganzen deutschsprachigen Raum lebt. Aber die Mehrzahl der Besucher unserer anderen Shows sind Individualreisende.
Dass wir zurzeit noch keine nationale Werbung für „Wicked“ machen, liegt daran, dass der Effekt jetzt verpuffen würde. Im Internet und auf der „Best of Musical“-Gala, die in ganz Deutschland zu sehen war, zeigen wir die Show. D. h. die Fans, der Inner Circle, wissen sowieso schon Bescheid. Das Internet wird für diesen Bereich immer wichtiger. Die Fans machen natürlich keine 90 % aus, daher werden wir die Mehrheit der Zuschauer nach dem Sommer abholen. Die Premiere ist ja erst am 15. November. Die Kampagne, die wir im September starten, hat durchaus nationalen Charakter, denn wir wollen das Stück auf jeden Fall bundesweit positionieren.
Michaela Flint: Was antworten Sie Kritikern, die Ihrem Unternehmen die Kreativität und Theater- bzw. Musicalleidenschaft absprechen und Sie, auch und gerade im Zusammenhang mit „Mamma Mia!“, nur noch als Gelddruckmaschine bezeichnen?
Maik Klokow: Bei vielen von diesen Kritikern herrscht eine große Unwissenheit. Die sehen nur drei Mal „Mamma Mia!“, den „König der Löwen“ und mit Zürich bald zwei Mal „Dirty Dancing“ und denken, dass wir nichts anderes als Geld im Sinn haben. Ich kann das nachvollziehen und natürlich ist es auch so, dass wir Geld verdienen müssen, wir bekommen ja keine Subventionen.
Dass wir aber mit „Titanic“ und „Tanz der Vampire“ in der Neuen Flora und „42nd Street“ in Stuttgart unglaublich viel Geld verloren haben, sieht keiner. Wirtschaftlich und sachlich korrekt durchdringt kein Außenstehender diese Materie und am Ende interessiert es auch keinen wirklich, dass wir mit den beiden großen Flops jeweils ca. 20 Mio. Euro verloren haben. Oberflächlichkeit ist ja so viel einfacher und bequemer.
Bis „Mamma Mia!“ in Essen profitabel ist, dauert es zwei Jahre. Das kann sich keiner vorstellen. Unsere Produktionen kosten sehr viel Geld und damit meine ich nicht nur die reinen Produktionskosten; wir haben als seriöses, langfristig ausgerichtetes Unternehmen ein strategisches Interesse daran, Künstler auszubilden, Musiker zu fördern und den Neuproduktionsbereich auszubauen. Die Flexibilisierung von Spielplänen – müssen wir überall acht Mal pro Woche spielen? – und unterschiedliche Preisstrategien – die „Blue Man Group“ hat zwei Preise, „Der König der Löwen“ acht – all das kostet auch Geld. Wir versuchen seit einiger Zeit, die Preise insgesamt zu senken, aber draußen sieht man nur, dass die Preise in den niedrigen Preiskategorien angehoben wurden. Tatsächlich spricht aber niemand darüber, dass die „Blue Man Group“ die niedrigsten Preise überhaupt hat und im Sommer gehen wir damit noch mal herunter. Es geht uns nicht darum, möglichst viel zu verdienen, sondern eine gesunde Balance zwischen Kosten und Einnahmen herzustellen. Durch niedrigere Preise erreichen wir eine höhere Auslastung und damit trotzdem unsere finanziellen Ziele. Das versuchen wir jetzt nach und nach in allen Häusern umzusetzen.
Michaela Flint: Nach der Trennung vom „Quatsch Comedy Club“ und der Schließung des Kehrwieder Theaters sieht es so aus als würde wieder das Kerngeschäft im Mittelpunkt stehen. Geht die Stage Entertainment ‚back to the roots’?
Maik Klokow: Ja, aber das liegt sicherlich auch daran, dass wir viele Sachen ausprobiert haben. Einige Sachen haben sehr gut funktioniert, andere weniger. Das Ausprobieren fing aber an, dem Kerngeschäft zu schaden und da musste man sofort die Notbremse ziehen, dafür ist das Hauptgeschäft viel zu wichtig.
Michaela Flint: Was ist Ihnen an Ihrem Job besonders wichtig?
Maik Klokow: Die Freiheit, Dinge anders zu machen. Nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu sein, sondern frei zu gestalten, natürlich mit dem Feedback des Eigners Joop van den Ende. Ich versuche das mit meinem Team gemeinsam zu machen. Es macht mir sehr viel Spaß, mal darüber zu diskutieren, wie wir die Preise senken können und nicht erhöhen… Oder zu sagen, warum müssen wir immer achtmal pro Woche spielen, warum muss montags immer frei sein? Auszuprobieren, ob etwas Neues geht, das ist es, was ich an meinem Job liebe. Ich habe einen großen Gestaltungsspielraum, der bei mir eine große Leidenschaft weckt. Wichtig ist mir, auch Dinge machen zu können, die kein Geld bringen: „Pinkelstadt“ oder „De La Guarda“ waren für mich eine große Freude. Die „Blue Man Group“ hingegen war ein großes Risiko, aber es hat geklappt.
Was mich nervt und herunterzieht ist, wenn wir uns nur noch mit uns selbst beschäftigen. Mich interessiert am Ende, was das Publikum will und nicht interne Strukturen und Hierarchien. Das ist der Nachteil, wenn man so groß ist. Wir haben 2500 Mitarbeiter, die einen jährlichen Umsatz von 330 Mio. Euro erwirtschaften. Wir sind alle alte Theaterhasen. Meistens ist das von Vorteil, manchmal auch ein Nachteil, weil wir zu sehr in unserer Sichtweise gefangen sind. Aber für alle gilt, dass wir so wenig Energie wie möglich an uns selbst verschwenden, sondern dass wir für unseren Gast da sind, um ihm mehr Freude zu bereiten. Ich bin sehr stolz auf unsere Mitarbeiter.
Mir ist wichtig, dass wir jeden Abend 400-500 Darsteller auf den Bühnen haben, die nichts anderes machen als dem Publikum den besten Abend seines Lebens zu bereiten. Zu honorieren, was diese Menschen auf der Bühne, im Orchester, backstage oder im Vorderhaus leisten, ist mir eine Herzensangelegenheit. Das wird viel zu wenig gewürdigt.
Das klingt immer so, als würde ich die Kollegen vorschieben wollen. Nein, das ist meine ehrliche Meinung. Wir als Produzenten schaffen nur die Plattform und die Rahmenbedingungen, um das möglich zu machen. Ich kann weder singen noch tanzen, wahrscheinlich kann ich noch nicht einmal Menschen gut unterhalten. Die Würdigung der Künstler ist das Entscheidende an meinem Job.
Michaela Flint: Seit Jahren scheinen Sie nur noch für die Stage Entertainment zu leben. Gibt es noch einen privaten Maik Klokow mit Hobbies außerhalb der Theaterwelt?
Maik Klokow: Auf jeden Fall. Ich habe sehr viele Hobbies, die ich aber leider gerade vernachlässige. Am wichtigsten sind natürlich meine Kinder Felix und Franz – zwei wahnsinnig intelligente Jungs und die schönsten Kinder der Welt. Wenn ich die beiden sehe und mit ihnen und meiner Lebensgefährtin etwas unternehme, brauche ich keinen Urlaub, Da geht mir einfach das Herz auf.
Darüber hinaus bin ich leidenschaftlicher Zigarren- und Weinsammler. Überall, wo ich auf der Welt herumkomme, kaufe ich ein und fröne diesem Hobby. Wenn ich Zeit habe, male ich sehr gern – aber nur für mich und nicht für die Öffentlichkeit. Und ich interessiere mich sehr für Politik, lese gern und viel, um mich weiterzubilden. Geistiger Stillstand ist für mich undenkbar.
Michaela Flint: Gewähren Sie uns einen Ausblick in die Zukunft. Werden Stücke wie „Spamalot”, “Mary Poppins” oder “Tarzan” in absehbarer Zeit in Deutschland zu sehen sein?
Maik Klokow: Ich persönlich bin ein großer Fan von „Spamalot“, „Wicked“, und „Mary Poppins“. „Tarzan“ haben wir in den Niederlanden schon gemacht und es wird auch nach Deutschland kommen. Aber nicht, bevor es in Scheveningen seinen erfolgreichen Run hinter sich hat.
„Spamalot“ wollen wir unbedingt machen, aber in unserer eigenen Interpretation. Etwas Ähnliches haben wir mit „Pinkelstadt“ bereits gemacht. Mir nützt es nichts, wenn ich ein englischsprachiges und sehr auf den englischen Humor abgestelltes Stück in Deutschland präsentiere. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Wir brauchen eine Note des deutschen Humors in der Adaption und wenn das für die Songs, Texte und Dialoge nicht gestattet ist, habe ich kein Interesse.
„Mary Poppins“ ist ein zauberhaftes Stück. Am Broadway gefällt es mir noch besser als in London, da dort das klassische Bild des liebenswerten Kindermädchens noch mehr herausgearbeitet wurde. Aber die Show ist kein Stück für Deutschland. Es ist ein klassisches Kinderstück, aber man kann ja nicht nur Kinder ins Theater holen, dafür ist die Produktion viel zu aufwendig und damit zu teuer.
Auch „Billy Elliot“ werden wir zeigen, fragt sich nur wann. Der Film ist auch in Deutschland wahrgenommen worden, die Geschichte ist einfach herzzerreißend. Natürlich ist sie mit Maggie Thatcher ein bisschen zu englisch, aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt im gesamten Stück. Der Rest ist so generalistisch, dass es in jedem Land spielen könnte. Die Show berührt schon sehr und ich mag auch die Musik von Elton John, gerade weil es nicht so ein Einheitsbrei ist.
Aber das schönste Stück, was ich in den letzten fünf Jahren gesehen habe, ist „Spring Awakening“. Es hat den tiefsten Eindruck mit der überraschendsten künstlerischen Interpretation hinterlassen. Die Schönheit des Stücks liegt in der Simplifizierung der Ausstattung und der Integration des Publikums. Die alte Sprache in den neuen Songs, die allesamt großartig arrangiert sind. Dafür lohnt es sich, nach New York zu fliegen. Ich weiß nicht, ob es hier in Deutschland funktioniert, aber es gibt Stücke, die muss man einfach machen!
Michaela Flint: Wir danken Ihnen sehr herzlich für die Zeit und den spannenden Einblick in Ihren Arbeitsalltag.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical