home 2006 Loewes & Lerners Klassiker erfrischend kurzweilig inszeniert

Loewes & Lerners Klassiker erfrischend kurzweilig inszeniert

Helga Wolf hat nach „Jesus Christ Superstar“ und „Les Misérables“ mit „Camelot“ in der neuen Spielzeit einen bewährten Musicalstoff für die Lüneburger Stadttheaterbühne ausgewählt, den Klassiker entstaubt und daraus einen amüsanten Musiktheatergenuss gemacht.

Die Legende von König Arthur und dem Heiligen Gral, Merlin und den Rittern der Tafelrunde, Guenevere und Lancelot ist durch verschiedenste filmische und bühnetechnische Bearbeitungen den meisten Menschen ein begriff. Bei der Komplexität der Saga verwundert es wenig, dass die Ursprungsversion von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe mehr als vier Stunden lang war und wenig Anklang fand. Selbst die letztjährige Produktion im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele (Regie: Reinfried Schießler, König Arthur: Yngve Gasoy-Romdal) erforderte von den Zuschauern jede Menge Sitzfleisch und Durchhaltevermögen.

Wolf nähert sich dem Stoff nunmehr mit einer unerwarteten Leichtigkeit und macht ihn so für ein breites Musicalpublikum zugänglich.

Merlin wirkt lange nicht so übermächtig und weise wie man sich den sagenumwobenen Zauberer gemeinhin vorstellt, Arthur macht vom verspielten Jungkönig zum generösen Staatsoberhaupt eine erstaunliche Wandlung durch. Pellinore wird zum Berater des Königs, der viele Situationen mit trockenem Humor auflockert.. Guenevere ist nicht die süßliche Prinzessin, die sich widerstandslos ihrem Schicksal ergibt, sondern eine selbstbewusste Lady, die kein Blatt vor den Mund nimmt und ihrem Mann gelegentlich auch mal gehörig die Leviten liest. Selbst der sonst eher blasse Lancelot wird in dieser Inszenierung zu einem echten Sympathieträger, dem man die Freundschaft zu Arthur ehrlich abnimmt. Die Regisseurin verzichtet nahezu komplett auf die düstere, meist recht verwirrende Geschichte von Modred und seiner Mutter Morgause / Morgan le Fay und stellt den unehelichen Sohn Arthurs schlicht als Aufrührer dar.

Diese Straffung der Handlung und die spritzige, ideenreiche Umsetzung sind große Pluspunkte der Lüneburger Produktion. Auch die moderne Sprache der Akteure trägt zu einem besseren Verständnis des Stücks bei. Warum jedoch aus Guenevere Jenny, aus Pellinore Pelli und aus Lancelot Lance werden musste, bleibt das Geheimnis der Regie.

Die Besetzung mit Alexander di Capri als Arthur, Schirin Kazemi als Guenevere und Kristian Lucas ist ausgezeichnet. Di Capri zeigt als junger König kurz vor der Zwangsverheiratung einen natürlichen jungenhaften Charme, so dass Merlin (Marc Westphal) seine liebe Not mit ihm hat. Die Liebe zu Guenevere, die schlachten, das Motto „Recht ist Macht“ und schließllich der Verrat durch den geliebten Freund Lancelot verwandeln den Sagenkönig in einen ernsten nachdenklichen Mann. Aleksander di Capri kann jede einzelne Station dieser Wandlung schauspielerisch perfekt nachzeichnen. Man glaubt ihm die Verletzlichkeit genauso wie die Entschlossenheit, die Welt zu verändern. Arthur ist hier kein gefühlskalter Klotz – besonders deutlich wird dies, als er seine Frau gemäß seiner eigenen Gesetzte bestrafen muss und dafür sorgt, dass Lancelot sie befreien und retten kann.

Schirin Kazemi ist mir ihren jungen Jahren noch ein Neuling auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Doch sie lässt sich durch ihre erfahrenen Kollegen keinen Deut einschüchtern. Frech und unabhängig stellt sie eine Königin dar, die ihren Mann zu beeinflussen vermag, sich der Rechte und Pflichten ihres Standes bewusst ist, in einem Augenblick der Schwäche ihren Gefühlen für Lancelot nachgibt, die Konsequenzen ihres Handelns aber würdevoll erträgt und eine sehr weise finale Entscheidung trifft. Kazemis grazile Erscheinung geht einher mit einer unbändigen Energie und Spielfreude, die vor allem in den Schlagabtauschen mit Alexander di Capri („What Do the Simple Folk Do?“) zur Geltung kommen. Ihre junge, unverbrauchte Stimme macht Stücke wie „The Simple Joys of Maidenhood“ oder „Before I Gaze at You Again“ zu einem wahren Hochgenuss. Kristian Lucas übernimmt der Part des ehrgeizigen, erfolgreichen, Unglück verliebten Ritters Lancelot. In der aktuellen Lüneburger Produktion bekommt seine Figur jedoch wesentlich mehr Gewicht. Als Sympathieträger erster Güte gewinnt er nicht nur die Herzen des Königspaars, sondern auch das Publikum schnell für sich. Selbst das glücklose, gern ins Lächerliche abdriftende „Cest moi“ gelingt ihm überzeugend.

Während der Part von Modred (Ferdinand Steinhöfel) absolut ins Hintertreffen gerät, er auch keinen eigenen Song zum besten geben darf, wird Pellinore (Martin Edelbauer) von Wolf mit großer Bedeutung bedacht. Als vermeintlich schusseliger alter Mann kommt er an den Hof und wird schnell zum Freund und Ratgeber. Sein zu Beginn noch durch einen Jungdarsteller gespielten Hund zieht er im ganzen Handlungsablauf in Form eines Schals mit sich. Nicht nur damit hat Edelbauer die Lacher auf seiner Seite.

Der große Chor bildet den Hofstaat und füllt die Bühne mit Leben und Gesang. Das Thema Kulissen wurde von Barbara Bloch bei „Camelot“ – ganz im Gegensatz zur letztjährigen „Les Misérables“-Inszenierung – hervorragend gelöst: Eine Burg im Hintergrund, Zinnen links und rechts des Bühnenportals, große Tücher als Abgrenzung der einzelnen Gemächer ergeben ein schlüssiges Gesamtbild. Warum jedoch häufig drei Schwerter im Stein – nach dem Vorbild von Excalibur – auf der Bühne stehen und eines davon durch eine 180°-Drehung zu Gueneveres Scheiterhaufen wird, ist mehr als rätselhaft. Die Kostüme von Sabine Meinhardt sind hübsch, aber in erster Linie funktional.

Die aktuelle Musiktheaterproduktion lebt nicht von der Ausstattung. Auch das Orchester unter der Leitung von Urs-Michael Theus ist mehr Mittel zum Zweck. Im Vordergrund stehen drei Charaktere, die im Laufe der zweistündigen Aufführung reifen.

Die Intensität des Finales sorgt auch in den letzten Reihen für Gänsehaut-Feeling. Aleksander di Capri lässt Arthur mit Stolz und Würde in die finale Schlacht ziehen. „Camelot“ von Helga Wolf ist eine gelungene Inszenierung, die durch eine erfrischende Leichtigkeit in Spiel, Gesang und Dialogen gleichermaßen besticht.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater Lüneburg
Premiere: 2006
Darsteller: Alexander di Capri, Schirin Kazemi, Kristian Lucas
Regie: Helga Wolf
Fotos: Theater Lüneburg
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