home 2015 Literarische Bühnenadaption auf technisch und künstlerisch sehr hohem Niveau

Literarische Bühnenadaption auf technisch und künstlerisch sehr hohem Niveau

Im deutschsprachigen Raum ist Robert Louis Stevenson’s berühmter Abenteuerroman „Die Schatzinsel“ nicht annähernd so bekannt wie beispielsweise in Großbritannien. Doch auch hierzulande gab es Versuche, den Stoff für ein weniger lesefreudiges Publikum aufzubereiten, zuletzt mit Hansjörg Thurn’s Verfilmung mit Ritchie Müller in der Hauptrolle (2007).

Die Spotlight Musicals GmbH geht noch einen Schritt weiter und bringt in diesem Jahr die Uraufführung des gleichnamigen Musicals auf die Bühne des Fuldaer Schlosstheaters.

Schon mit der Herleitung der Handlung wird die volle Aufmerksamkeit des Publikums gefordert: Louis’ Vater erzählt seinem kleinen Sohn Piratengeschichten zum Einschlafen (in Hintergrund durch sehr gelungene Projektionen eines Segelschiffs unterstützt). Plötzlich wird einer der Piraten von Käpt’n Flint angeschossen und bricht zusammen. Der kleine Louis stellt sein Spielzeugsegelboot neben den vermeintlich toten Piraten und verlässt die Bühne.

In der nächsten Szene wacht dieser Pirat auf und entpuppt sich als erwachsener Louis, der sich – sehr zum Leidwesen seines Vaters – wieder einmal in seinen Traumwelten verloren hat. Das intensive Duett von Vater und Sohn zeigt direkt zu beginn, dass Dennis Martin ein ausgeprägtes Händchen für typisch musicalesque Kompositionen hat. Hingegen sind die Choreographien der Piratenbande und der Pariser Künstlertruppe weniger originell.

Die szenischen Wechsel zwischen dem Wohnzimmer der Stevenson’s und beispielsweise der Pariser Schaffensstätte der Bohemians gelingt ganz hervorragend: Der Blick auf das Geschehen auf der jeweiligen Hälfte der zweigeteilten Bühne wird durch entsprechend hälftig emporgezogene Vorhänge fokussiert. Schlicht, aber effektvoll.

Von Lloyd, dem aufgeweckten Sohn von Fanny Osborne, wird Louis dazu gebracht, seine Piratengeschichte als Kinderroman zu Papier zu bringen. Fortan entwickeln sich beide Handlungsstränge parallel und es ist manchmal nicht leicht, den schnellen Szenenwechseln zu folgen. Dies liegt aber vor allem auch daran, dass Friedrich Rau sowohl als Louis Stevenson als auch als Dr. Livesey (dem Arzt in der „Schatzinsel“) zu sehen ist. Gleiches gilt für Benjamin Klein, der als Lloyd die spannende Geschichte von Jim in der „Schatzinsel“ liest und zuvor noch als junger Louis auf der Bühne zu sehen ist. Auch Anna Thorén (Fanny Osborne, Mrs Hawkins), Norbert Lamla (Vater Stevenson und Käpt’n Smollett) und Andreas Lichtenberger (Käpt’n Flint und Long John Silver) spielen Doppelrollen. Da diese Figuren jedoch alle charakterlich nicht sehr weit voneinander entfernt sind, kann es durchaus etwas dauern, bis man die Folgeszene komplett verortet hat.

Die musikalische Vielseitigkeit zeigt sich in Szenen wie „Seid willkommen“, in der die Pariser Künstler die alleinreisende Amerikanerin Fanny mit ihrem Sohn Lloyd begrüßt: Die Ensemblenummer erinnert stark an Country-Musik der Südstaaten.

Auch „Ich bin das Kommando“ von Käpt’n Smollett, in dem der altgediente Flottenkapitän seine zusammengewürfelte Schiffsmannschaft einnordet, macht Spaß und hat schon beinahe Gassenhauerqualität.

Bei „Alles auf eine Karte“ stimmt nicht nur der Song, auch die Hintergrundprojektion der Hispaniola ist mehr als gelungen.

Zum Ende hin, als Stevenson’s Roman „Die Schatzinsel“ zu einem Erfolg geworden ist und er mit Fanny und Lloyd von New York nach Edinburgh reist, um sich von der Stadt entsprechend ehren zu lassen, zeigt sich auch das Feingefühl der Kostümbildner: Die Kleider und Anzüge der schottischen adligen Gesellschaft sind sehr detailliert ausgearbeitet.

Leider endet die Ehrung für einen der heutzutage erfolgreichsten britischen Autoren in einem Eklat: Die schottische Gesellschaft kann die wilde Ehe von Louis und Fanny nicht akzeptieren und ergeht sich in bösen Lästereien. Der freiheitsliebende Autor nimmt dies zum Anlass mit seiner neuen Familie erneut ein Schiff zu besteigen und auf der Suche nach neuen Abenteuern in See zu stechen. Kurz bevor das Stück endet, bittet er noch Lloyd seine „Schatzinsel“ zu Ende zu erzählen, woraufhin dieser sich mit dem bösen Piratenanführer Long John Silver versöhnt, in dem er seinen verschollenen Vater gefunden hat.

So verwirrend es manchmal ist, der Handlung in jeder Sekunde zu folgen, so gut ist die Auswahl der Darsteller gelungen: Friedrich Rau überzeugt als verzweifelter, gefühlvoller junger Autor voller Ideen genauso wie als Arzt, der sein letztes Hemd gibt, um für den kleinen Jim da zu sein. Anna Thorén zeigt die starke Frau, die Fanny als Alleinerziehende sein muss, um in einer männerdominierten Welt ernst genommen zu werden, aber auch sehr viel Beschützerinstinkt und Liebe, wenn es um Lloyd oder Louis geht.

Die Rolle des strengen Vaters liegt Norbert Lamla genauso wie die des versierten Flottenkommandanten. Seine erhabene Bühnenpräsenz und sein beeindruckender Bariton unterstützen diese starken Charaktere perfekt. Andreas Lichtenberger tritt sowohl als egozentrischer Käpt’n Flint als auch als einbeiniger Long John Silver gekonnt robust auf. Doch im Zusammenspiel mit dem kleinen Jim gelingt es ihm auch, die weiche Seite des Piraten zu zeigen. Einer von Flint’s Weggefährten ist Billy Bones, gespielt von Frank Logemann, dem es sichtlich Freude zu bereiten scheint als raubeiniger Pirat sein Umfeld zu erschrecken. Lutz Standop vereint als Squire Trelawney sowie als Bürgermeister viele Lacher auf sich und kann mit diesem exzentrischen Charakter durchaus überzeugen.

Ein besonderes Eregnis – insbeondere für die jüngeren Zuschauer im Publikum – ist die Schatzsuche der Piraten. Denn natürlich führt sie ihr Weg auch durch den Saal, wo sie lautstark jeden sprichwörtlichen Stein umdrehen, um HInweise auf den legendären Schatz von Käpt‘n Flint zu finden.

„Die Schatzinsel“ bietet auch als Musical sehr viel Stoff, der erst einmal verdaut werden will. Doch es fällt leicht, sich darauf einzulassen. Zum einen ob der durchaus charmanten Protagonisten, zum anderen, weil es den Kreativen durchaus gelungen ist, das Stück trotz zweier paralleler Handlungsstränge kurzweilig und auch für kleine Musicalbesucher unterhaltsam zu

Michaela Flint

Theater: Schlosstheater, Fulda
Besuchte Vorstellung: 26. Juli 2015
Darsteller: Friedrich Rau, Ana Thorén, Andreas Lichtenberger, Frank Logemann, Norbert Lamla
Musik: Dennis Martin
Fotos: Spotlight Musicals GmbH