home 2007 Liebevoll inszenierter Klassiker

Liebevoll inszenierter Klassiker

Immer wieder gern hört man „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ – weiß man doch, dass Eliza damit den entscheidenden Schritt vom Blumenmädchen aus der Gosse zur jungen Dame der Londoner Gesellschaft geschafft hat.

Die Plakate in Hamburg ließen eine moderne Produktion des Lerner/Loewe-Stücks vermuten, doch Regisseur Willi Welp hatte eine Überraschung parat. Anstatt die Handlung wie üblich in London nachzuzeichnen, hat er das ganze auf ein Kreuzfahrtschiff verlegt. Dieser Ortswechsel wird durch schräg stehende Möbel, Wassermotive auf der Bühnenrückwand, Algenähnliche Gewächse in Mrs. Higgins Räumlichkeiten (Bühne: Matthias Moebius) und durch das unverkennbare Erklingen von Schiffshörnern (als auch Prof. Higgins endlich merkt, dass er Eliza liebt und sie in seine Arme schließt) vielleicht sogar etwas zu dezent umgesetzt.

Spannend versprach auch die Besetzung zu werden: nur neun Darsteller und eine sechsköpfige Band traten an, um dieses üblicherweise groß und ausladend klingende Musical auf die Bühne des Altonaer Theaters zu bringen. Gleich vorweg: Akustisch lässt „My Fair Lady“ nichts zu wünschen übrig. Matthias Stötzel (musikalische Leitung) hat Frederick Loewes Kompositionen für die kleine Band, das Songbird Orchestra, neu arrangiert und so machen die sechs Musiker, die während der ganzen Vorstellung im hinteren Bühnenbereich stehen bzw. sitzen, jedem großen Orchester spielend Konkurrenz. Dass anstatt einer Vielzahl von Darstellern ganze zwei Herren das Ensemble von „May Fair Lady“, also die Bettler am Covent Garden, die Saufkumpanen von Alfred P. Doolittle, die feine Gesellschaft in Ascot und auf dem Diplomatenball, wirkt zunächst befremdlich, funktioniert aber tadellos. Das liegt aber vor allem auch daran, dass Sascha Kraft und Andreas Busch in den verschiedenen Charakteren ihre Wandlungsfähigkeit sowie ausreichend komödiantisches Talent beweisen und ganz nebenbei auch noch gesanglich überzeugen.

Als Mrs. Higgins steht mir Hannelore Droege eine sehr erfahrene Theaterschauspielerin zum wiederholten Mal auf der Bühne in Hamburg-Altona. Als schrullig-liebenswerte Mutter des unangepassten Henry Higgins hat sie die Sympathien auf ihrer Seite. Torsten M. Krogh, unverkennbar und unüberhörbar ein Hamburger Urgewäschs, gibt einen wundervoll vertrottelten Alfred P. Doolittle. Es kommt kein Zweifel auf, dass man mit diesem unfreiwillig zu Reichtum gelangenden Herrn, jede Menge Spaß haben kann, er aber dennoch an den richtigen Stellen Tiefgang und Seele zeigt. In der Doppelrolle von Mrs. Pearce, der Hausdame von Prof. Higgins, und Mrs. Eynsford-Hill, der Mutter des unsterblich in Eliza verliebten Freddy, ist Claudia Reimer zu sehen. Sie versucht das Beste aus diesen undankbaren Rollen herauszuholen und erntet vor allem als Mrs. Pearce für ihren trockenen Humor so manchen Lacher. Der in allen Inszenierungen von „My Fair Lady“ mitleidig belächelte, bis über beide Ohren verliebte Freddy Eynsford-Hill wird in Hamburg von Tino Andrea Honegger gegeben. Wie so oft erweist sich diese scheinbar einfache Rolle auch in dieser Produktion als Knackpunkt, denn stimmlich ist der junge Schweizer der Rolle bei Weitem nicht gewachsen, auch wenn er durch sein charmantes Spiel und seine liebevolle Art vieles wieder wett macht.

Kommen wir zu den drei Hauptfiguren: Prof. Higgins, der mit Oberst Pickering darum wettet aus der rüden Eliza Doolittle innerhalb von nur sechs Monaten eine feine Dame machen zu können. Den unangenehmen, sehr von sich eingenommenen Sprachlehrforscher spielt Thorsten Tinney. Das herrische, unnachgiebige Wesen des Charakters nimmt man ihm sofort ab. Mitfühlend erlebt der Zuschauer mit, wie sich Higgins alias Tinney gegen seine Gefühle für Eliza wehrt und möchte ihm doch eigentlich zurufen, dass sie ihm und seinem Herzen aus Stein nur gut tun kann. Gesanglich meistert Tinney, der in den letzten Jahren in „Jekyll & Hyde“, dem „Kleiner Horroladen“ und „Pinkelstadt“ zu sehen war, auch die leisen Töne mit viel Gefühl. Seine Bühnenpräsenz stellt alle anderen in den Schatten. Klaus Falkhausen gibt den gar nicht so strengen Oberst Pickering, den Ersatzvater von Eliza. Seine jahrelange Erfahrung auf und hinter der Bühne kann er voll ausspielen und ist zu jeder Sekunde glaubhaft. Besonders Freude machen die Szenen mit Mrs. Higgins, in der sich Pickering in Ausreden verstrickt und sich kaum mehr selbst zu befreien vermag.

Als Gegenstand der Wette zwischen diesen beiden älteren Herren, das Blumenmädchen Eliza Doolittle, wurde von Kira Primke engagiert. Ihre Rolle macht ihr sichtlich Spaß. Gesanglich ist an der ausgebildeten Opernsängerin nichts auszusetzen, sie nimmt jede Hürde scheinbar im Vorbeigehen. Auch von ihrem Auftreten her taugt sie durchaus als Sympathieträgerin. Einzig die Trennschärfe zwischen Straßendirne und späterer Lady hätte sie noch deutlicher herausarbeiten können. Zu häufig sind die beiden Mädchen sich akustisch zu ähnlich. Noch etwas mehr Mut zu Straßenslang (auch und gerade im Gesang) und auch dieses winzige Manko löst sich auf.

„My Fair Lady“ im Altonaer Theater macht Freude, das Publikum geht beschwingt und mit einem Lied auf den Lippen aus dem Theater. Wer sich von dieser Spiel- und Lebensfreude anstecken lassen will, hat dazu auf der Norddeutschland-Tournee der Inszenierung in den nächsten Wochen Gelegenheit dazu. Im Winter kehrt die Produktion dann wieder in ihr Stammhaus nach Hamburg zurück.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Altonaer Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: August 2007
Darsteller: Tino Andrea Honegger, Kira Primke, Thorsten Tinney
Regie: Willi Welp
Fotos: Altonaer Theater